Begegnungen mit Bob Dylan. Ein Roman in 30 Kapiteln (Auszug)

 

vorsatz

einmal in der dämmerung grüßte ich einen fremden, den ich für bob dylan hielt.

1. kapitel

ein andermal, als ich mich in arkansas verlaufen hatte, schenkte mir ein mann fünf haushaltskerzen und ein päckchen zündhölzer. dieser mann war bob dylan.

2. kapitel

manchmal kommt es mir vor, als würde ich ihn schon jahrzehnte lang kennen. manchmal aber auch, als wärenes nur tage. das sei vollkommen normal, sagte bob dylan, als ich ihm davon erzählte, und er bot mir tee an.

3.kapitel

hin und wieder gingen wir aneinander vorbei, ohne uns zu grüßen. meist schrieb mir bob dylan dann nach ein paar tagen eine email, aber er ging nicht auf den versäumten gruß ein. er schickte verschiedene Rezepte zur zubereitung von garnelen.

4.kapitel

ob ich das nicht aufschreiben wolle, fragte bob dylan, als ich ihn einmal an der autowaschanlage traf. wir waren beide ohne auto da und fotografierten nur. später dann tauschten wir die bilder, und ich sagte: ja.

5. kapitel

als ich bob dylan zum ersten mal traf, erkannte ich ihn nicht. ich erinnere mich aber an seinen festen Händedruck.

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Über die kleine Form. Schreiben und Lesen im Netz von Jan Kuhlbrodt

Erscheint am 6. September 2017 ca. 60 Seiten auf dem Smartphone ISBN 978-3-944543-57-4

Als der Nobelpreis für Bob Dylan verkündet wurde, teilten sich die Geister in Enthusiasten und Enttäuschte: ein gefundenes Fressen für alle diejenigen, die online ihre literarischen Meinungen kundtun, verteidigen und weiterentwickeln. Jan Kuhlbrodt stellt Dylans Songtexte in eine Linie mit dem heutigen Schreiben (und Lesen) kleiner Formen. Er reflektiert die Tagebuchliteratur der Digital Natives. In Zeiten nachlassender Aufmerksamkeitsspannen sind die sogenannten Sozialen Medien und diese kurze Form des Erzählens sicher gute Mittel um gehört zu werden, wenn man etwas zu sagen hat. Davon mag man halten, was man möchte, aber Kuhlbrodt hat viel zu sagen. Seine Gedanken, die er teilweise wie einen Bewußtseinsstrom präsentiert, sind pointiert, sozialkritisch und ironisch gebrochen. Ferner kommt die Stasi vor, Stephan Porombkas Schaukelpferd, Stefanie Sargnagels digital detox-Überlegung und Christiane Frohmanns Madeleine-Moment.

Und hätte nicht auch Friedrich Nietzsche heute eher gebloggt, als sein Notizheft vollzuschreiben und so lange auf Reaktionen zu warten, bis ein Buch mit Aphorismen erschienen wäre?

Welche offenen Bühnen sind das, auf denen heute sowohl Text produziert als auch kommentiert wird?

Und brauchen wir nicht ein komplett neues, also auch offeneres Literaturverständnis?

 
Auf digitalen Kanälen wie Facebook, Twitter und Blogs entstehen serielle, scheinbar momenthafte, konzeptuelle Kurz- und Kürzesttexte. Jan Kuhlbrodt nimmt diese kleinen Formen essayistisch-biographisch unter die Lupe und stellt seine eigene komische digitale Serie vor, in der Bob Dylan ihm einen Filzstift zurückgibt.

Weiterführend →

Bestand die Modernität des Aphorismus bisher in der Operativität, so entspricht diese literarische Form im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Denkgenauigkeit der Spätmoderne. Es ist Twitteratur.

Zu diesem Thema → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.

Twitteratur, eine Anthologie. Erweiterte Taschenbuchausgabe mit der Dokumentation des Hungertuchpreises. Herausgegeben von Matthias Hagedorn, Edition Das Labor 2016.