Kompaktseminar

 

Für die Seminaristen stellt es sich immer wieder als fast unzumutbare Belastung heraus, wenn sie an Wochenenden, in den Semesterferien zumal, sogenannte Kompaktseminare belegen müssen, weil sie sonst keine Chance haben ihre Scheine zusammen zu bekommen. Von der Fragwürdigkeit der Dozenten einmal ganz abgesehen, ist es wirklich schrecklich, wenn man sich nur vorstellt, dass man sich in der eigentlichen zum wahren Studium freien Zeit in die Provinz der Universitätsstadt begeben muss. Herr Nipp dachte immer wieder mit Grausen daran, dass er gerade in den letzten zwei Semestern vor der Examensarbeit einige Male dort aufschlagen musste, dabei gab es doch nun wirklich Besseres zu tun. Man konnte sich mit Freunden treffen, immer wieder, fast jeden Tag, am See herumlungern oder abendlich Trips in die Natur machen, mit dem Auto natürlich. Ja, man konnte auch ungestört viel lesen, was dem Studieren wohl am nächsten kam, in irgendeiner Werkstatt arbeiten, vielleicht auch mal einen Monat jobben gehen oder die diversen Praktika absolvieren. Dann konnten diese am Stück angebotenen Seminare schon ganz schön stören. Da allerdings die Scheine für bestimmte Bereiche nur hier zu erwerben waren, machte man eben mit. Notgedrungen. Man saß also drei Tage, meist Freitag, Samstag und Montag mit anderen Leidensgenossen in einem mehr oder weniger stickigen Raum, irgendwo am Rand der Uni, vielleicht muffiger Keller. Man musste bis zur nächsten Cafeteria mindestens zehn Minuten gehen und dann kam man mit Sicherheit zu spät zur nächsten Einheit und konnte sich noch einen Rüffel einfangen. Letztlich hatte er auch diese Situation überstanden.

Vor einigen Tagen hatte ihm eine junge Studentin folgende Neuerung erzählt. Sie habe ein Blockseminar in Siegen besucht, letztes Wochenende. Die Dozentin ging so, kurz vor Ruhestand, nicht gerade motiviert, immerhin habe sie ihren Stoff ganz gut vorbereitet gehabt. Vor allem aber, und das habe vorher noch niemand der Kommilitonen erlebt, habe sie vor Beginn der Stunden ein Büffet aus Kaffee, Tee, Saft, Kuchen und Plätzchen aufgebaut. Im Wissen, die jungen Menschen würden Hunger entwickeln. Erstaunen allerdings sei ausgebrochen, als man auf den verschiedenen Tellern auch direkt die Preise ausgezeichnet fand. Nicht gerade ausgezeichnet, dies wurde als Frechheit empfunden. Zergerei. Wer isst, muss zahlen. Wer trinkt, muss zahlen. Die Kasse hatte nun eine elektronische Münzerkennung und zeigte sofort an, ob zu viel oder zu wenig eingeworfen wurde. Am Ende jedes Seminartages aber überprüfte die Seminarleiterin das Verhältnis zwischen Verbrauch und Einnahme und ließ die Studierenden erst gehen, nachdem auch der letzte Cent passend bezahlt war. Wieder einmal der Beweis, dass die angestellten und freien Dozenten an Deutschlands Unis effektiv unterbezahlt sind.

 

 

***

Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Weiterführend →

Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter ist Mikroblogging eine auflebende Form. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein.