Abendmuse

 

Ans Blumenfenster wieder kehrt des Kirchturms Schatten

Und Goldnes. Die heiße Stirn verglüht in Ruh und Schweigen.

Ein Brunnen fällt im Dunkel von Kastanienzweigen –

Da fühlst du: es ist gut! in schmerzlichem Ermatten.

Der Markt ist leer von Sommerfrüchten und Gewinden.

Einträchtig stimmt der Tore schwärzliches Gepränge.

In einem Garten tönen sanften Spieles Klänge,

Wo Freunde nach dem Mahle sich zusammenfinden.

Des weißen Magiers Märchen lauscht die Seele gerne.

Rund saust das Korn, das Mäher nachmittags geschnitten.

Geduldig schweigt das harte Leben in den Hütten;

Der Kühe linden Schlaf bescheint die Stallaterne.

Von Lüften trunken sinken balde ein die Lider

Und öffnen leise sich zu fremden Sternenzeichen.

Endymion taucht aus dem Dunkel alter Eichen

Und beugt sich über trauervolle Wasser nieder.

 

 

 

Die nachhaltige Faszination der Gedichte von Georg Trakl liegt darin begründet, daß sich dieser  österreichische Dichter nicht eindeutig zuordnen läßt. Wir lesen eine Variante des Expressionismus mit starken Einflüssen des Symbolismus. Eine eindeutige Zuordnung seiner poetischen Werke zu einer der annähernd gleichzeitigen Strömungen ist  nicht möglich. Als erstem Rockstar der Lyrik ist auch bei ihm die Einflüsse von Arthur Rimbaud und Charles Baudelaire deutlich zu erkennen. Der Lyriker nahm an vielen Stellen seiner Gedichte auf seine Schwester Bezug. In Trakls Gedichten wird Margarethe Trakl als „Fremdlingin“ und „Jünglingin“ bezeichnet. Eine inzestuöse Beziehung wird im Gedicht Blutschuld angedeutet. Als Vorgänger der Yippies gestattete er sich Experimente mit Drogen (Chloroform, Morphium, Opium, Veronal und Alkohol). In seinem verschatteten Werk überwiegen die Stimmung und die Farben des Herbstes, dunkle Bilder des Abends und der Nacht, des Sterbens, des Todes und des Vergehens. Zwar sind die Gedichte reich an biblisch-religiösen Bezügen, und vielen eignet eine kontemplative Offenheit zur Transzendenz, doch nur selten bricht das Licht der Erlösung in das Dunkel. Ein Dunkelheit, die ihn am 3. November 1914 in Krakau, Galizien erreichte.

Weiterführend → Eine Annäherung von Peter Paul Wiplinger an Georg Trakl finden Sie hier.

 Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.