Rodtschenko. Eine neue Zeit

Alexander Rodtschenko gehörte zu den treibenden Kräften der russischen Avantgarde. In seinen Werken – Gemälden, Collagen, Photomontagen, Photographien, Skulpturen, Werbedesign und Typographie – brachte er die dynamische Umgestaltung der Gesellschaft in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution ins Bild: die Gestaltung einer neuen Zeit.

Das Leben, dies einfache Sache, hat man bis jetzt nicht gesehen, nicht gewußt, daß es so einfach und so klar ist, daß man es nur organisieren und von allem Überflüssigen befreien muß. Für das Leben arbeiten und nicht für Paläste und Tempel, nicht für Friedhöfe und Museen! Arbeiten unter allen, für alle und mit allen. Es gibt nichts Ewiges, es ist alles vergänglich. Bewußtsein, Erfahrung, Ziel, Mathematik, Technik, Industrie und Konstruktion – das steht hoch über allem. Es lebe die konstruktive Technik. Es lebe die konstruktive Haltung bei jeder Tätigkeit. Es lebe der Konstruktivismus.

Alexander Rodschenko 1921

Rodtschenko war der erste Künstler in der UdSSR, der anfing, mit der Technik der Collage zu arbeiteten. Der Künstler bevorzugte abstrakte Collagen, bei denen er aus nichtfigürlichen Elementen oder durch Kombination von Zeitungs- bzw. Lichtbildfragmenten und nichtfigürlichen Elementen abstrakte Kombinationen bildete. Von der Collage ging Rodtschenko zur Fotomontage über.

Herausragend die Zusammenarbeit mit Wladimir Majakowski. Rodtschenko schuf Illustrationen für dessen Poem >Pro eto<, in dem der Dichter seine Liebe zu Lily Brik besingt und wo Rodschenko deren Porträtaufnahmen in verschieden Altersstufen in allen möglichen Variationen und Zusammenstellungen montiert. Es entsteht eine einzigartige Verbindung zwischen Photomontage und konstruktivistischer Gestaltung, wobei gleichzeitig die Verse Majakowskis visuell nachempfunden werden.

 Schon schlepp ich mein Herz
von Kummer zerrüttet,
schon heule ich,
der Dunkle, Devote.
So trägt
ein winselnder Köter
zur Hütte
die
von der Lok plattgefahrene Pfote.

Wladimir Majakowski

Zusammen verfertigten Rodtschenko und Majakowski in knapp zwei Jahren etwa 50 Plakate, fast 100 Firmenschilder, Pack- und Bonbonpapiervorlagen, Leuchtreklamen sowie Bildreklamen für Zeitungen und Zeitschriften. Sie arbeiteten für das Warenhaus GUM, Mosselprom, Gosisdat, Resinotorg und für die Gewerkschaften. Der Inhalt von Majakowskis und Rodtschenkos Reklametätigkeit wuchs weit über die Werbung für Produkte der staatlichen Unternehmen hinaus. Der Dichter und der Künstler agitierten auch für die Entwicklung der Technik, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und andere gesellschaftliche Belange. Rodtschenkos Stil der Reklamegraphik war einfach und klar und harmonierte mit den lakonischen, wortspielerischen Zweizeilern von Majakowski. Die Werbetexte und Bilder waren maximal funktionsgerecht, frei von jeder überflüssigen Information. Rodtschenko arbeitete mit großen, einfach geformten, leicht lesbaren Buchstaben und benutzte oft große Ausrufe- und Fragezeichen. Die Anwendung des Pfeils in der Komposition, der Symmetrie der Anordnung der Buchstaben und anderer graphischer Elemente erleichterte die Entschlüsselung des Plakats für den Betrachter.

Die Ausstellung „Rodtschenko. Eine neue Zeit“ gibt einen Überblick über die mediale Vielfalt seines Schaffens. Im Zentrum steht das malerische Werk, das seinen Höhepunkt in dem 1921 geschaffenen Triptychon der Farben Rot, Gelb und Blau findet. Auch in der Skulptur ging Rodtschenko experimentelle Wege. Seine schwebenden Raumkonstruktionen mit ihren Variationen geometrischer Grundformen geben im Spiel von Licht und Schatten eine Verräumlichung des Konstruktivismus und dessen utopischer Ideen.

Wir müssen unser optisches Erkennen revolutionieren. Wir müssen den Schleier von unseren Augen reißen und die interessantesten Blickwinkel der Gegenwart sind die von oben nach unten und von unten nach oben und ihre Diagonalen.

Alexander Rodschenko

Die experimentellen Skulpturen von Tatlin und Rodschenko vom Anfang der 20er Jahre mit ihrer Betonung des einfachen Materials, des Technischen, des Funktionalen und der standardisierten Formen haben vieles gemeinsam mit den späteren Zielen und Ideen des Minimalismus, wie sie etwa von Andre and Donald Judd formulierten. So benutzte Rodschenko einfache unbearbeitete Vierkanthölzer gleicher Länge, die er ohne Sockel in verschiedenen Formationen zusammenstellte.

Ein weiterer Schritt in der Entwicklung bedeutet die Serie der Objekte von 1920-21. Es sind frei von der Decke hängende, bewegliche Konstruktionen. Die Konstruktionen bestehen aus dünnem Sperrholz, das der Künstler in verschiedene geometrische Formen geschnitten hat: Quadrate, Sechsecke, Ellipsen, u.a. Aus diesen Figuren schnitt der Künstler wiederum gleich breite konzentrische Elemente heraus, die im Raum sich automatisch >ausklappen<, so dass aus der Fläche eine dreidimensionale Skulptur wird. Durch die Bewegung verändern sich die Ansichtsseite und der Lichteinfall ständig.

Ich habe die Malerei zu ihrem logischen Ende gebracht und habe drei Bilder ausgestellt: ein rotes, ein blaues und ein gelbes, und dies mit der Feststellung: Alles ist zu Ende. Es sind die Grundfarben. Jede Fläche ist eine Fläche und es soll keine Darstellung geben. Jede Fläche hat bis an ihre Grenzen eine einzige Farbe.

Alexander Rodschenko

Rodschenko widmete sich zusammen mit seiner Frau Stepanowa intensiv der Kunst als Experiment; der Künstler ist hier gleichzeitig Forscher und Wissenschaftler, die Konstruktion, das System, der zweckmäßige Materialgebrauch stehen im Vordergrund der künstlerischen Analysen und Experimente. Beide sind zentrale Figuren der zweiten Phase der russischen Avantgarde, des Konstruktivismus, mit seiner Betonung der technischen Entwicklung, der Produktion, des Zweckmäßigen. Bei aller praktischen Anwendung schwingt aber in Rodschenkos Theorie des Konstruktivismus ein stark utopischer Zug mit, der Glaube an eine Welt, die nach klaren Prinzipien organisiert ist, an eine uverrückbare Ordnung, in der alles Lebendige seinen festen Platz hat.

Alexander Rodschenko stellte 1921 in der Ausstellung >5 x 5 = 25< in Moskau ein Triptychon aus, das aus drei monochromen Leinwänden (je 62×52,5 cm) in den Farben Rot, Gelb und Blau bestand. Der Künstler sagte dazu: „Ich habe die Malerei zu ihrem logischen Ende gebracht und drei Bilder ausgestellt: ein rotes, ein blaues und ein gelbes, und dies mit der Feststellung: alles ist zu Ende. Es sind die Grundfarben. Jede Fläche ist eine Fläche, und es soll keine Darstellung mehr geben.“ Vierzig Jahre später überraschte Yves Klein die Kunstwelt mit seinem >Triptychon Rot-Gold-Blau< (1960).

***

Rodtschenko. Eine neue Zeit, noch bis zum 15. September 2013 im Bucerius Kunst Forum in Hamburg