Buchmanns Babel

Jürgen Buchmann ist ein Phänomen, ich möchte fast sagen, eine Speerspitze der Romanischen Sprachen und vielleicht des Romanischen Sprechens und Denkens im deutschen Gelände, wenn dieser eher bellizistische Ausdruck nicht an der Art vorbei zielte, wie Buchmann Sprache zelebriert und feiert.

Man kann sich diesem Autor mittlerweile Dank der Verlage Freiraum aus Greifswald  und Reinecke & Voss aus Leipzig auf verschiedene Art nähren; entweder greift man zu seinen Übersetzungen (aus dem Französischen, dem Italienischen oder dem Katalanischen zum Beispiel) oder eben zu seinen traumhaft schönen eigenen Texten. Und egal wofür man sich entscheidet, denke ich, wird deutlich, wie das, was Benjamin in seinem Text Die Aufgabe des Übersetzers als Gespräch zwischen den Sprachen einfordert, eine Wirkung entfaltet, weit über ein  momentanes Übersetzungsprojekt hinaus. Es entsteht, ohne das explizit aufs politisch Utopische abgezielt würde, die Vision eines weltweiten Babel, in dem die Vielsprachigkeit keine Last, sondern einen Reichtum darstellt, und zumindest in der Lektüre für mich eine Quelle der Leselust.

Nun legte also im Januar 2013 der Greifswalder Verlag Freiraum mit der Lüneburger Trilogie ein weiteres Buch mit Texten Buchmanns vor. Wie schon die anderen Bücher des Autors keine dicke Schwarte sondern eine kleine Publikation von knapp einhundert Seiten. Sie enthält die Teile Einschiffung nach Cythera, Phantastische Topografie der Hansestadt Lüneburg und Logbuch vom Meer der Finsternis.

Die Anordnung der Texte, die inhaltlich keinem sogenannten Roten Faden folgen, die narrativ also nicht miteinander verwoben sind, scheint formale Gründe zu haben. Man kann das Buch als eine Art Meditation über Prosa und Prosagedicht lesen und vielleicht eben als einsickern eines französischen Gedankens in einen deutschen Text. Während im ersten Text die Sprache im Gestus noch zwischen lyrischer Beschreibung und Handlungsprosa changiert und die entsprechenden Passagen auch voneinander abgesetzt sind, werden sie im Fortgang des Buches immer weiter enggeführt, bis so etwas wie ein geradezu barockes Sprachmuster entsteht, das auch ein Sinnmuster ist.

Diese Vorstellung breitetet sich wahrscheinlich auch deshalb in mir aus, weil ich kurze Zeit vorher Buchmanns Übersetzung von Bertrands Gaspard de la Nuit gelesen habe. Eine Sammlung von Prosagedichten aus dem Frankreich des neunzehnten Jahrhunderts, die man als Initial zur französischen Moderne bezeichnen könnte, die untergründig wirkte und formal auch schon Strukturen der Postmoderne vorweg nahm.

Ähnlich wie Bertrand in seinem Text Dijon beschreibt, stellt uns Buchmann im zweiten, der mittleren Tafel des Triptychons, in Lüneburg ein Stadt vor, die dem Raum und der Zeit enthoben ist, in der Geschichte sich aber sedimentiert hat und als sirrender Nachhall in den Mauern und Gebäuden zum Klingen kommt.

Und zitternd verzeichneten die Turmspitzen der Kathedralen in den Wolken die Beben in der Tiefe, die Auslaugung der Anhydris und den Einbruch der Höhlen vierzig Meter unter der Stadt.

Dabei wirkt der Text an keiner Stelle wie ein sentimentaler Rückgriff auf vergangene Formen, sondern in seiner Verspieltheit als zeitgemäßer literarischer Ausdruck. Geschichte ist hier Gegenwart, auch die Literaturgeschichte.

Im Logbuch der Finsternis letztlich findet die Entgrenzung einen Höhepunkt, der formal wahrscheinlich nicht zu überschreiten ist:

Die Dinge wirkten nicht länger wie getrennte eigenständige Körper, sondern wie Muster auf einer einheitlichen Oberfläche, auf der sie sich wie durch feinste, elektrostatische Ladungen in einem spannungsvollen Gleichgewicht der Anziehung und Abstoßung verteilten.

 

 

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Jürgen Buchmann, Lüneburger Trilogie, Freiraum Verlag Greifswald