Ausstellung hinter der Stirn

Es gab ein Tor, sie wollte schauen, eindringen, die Wirrungen betreten, erörtern, anfassen, auseinander nehmen, vielleicht ordnen. Er kam, klingelte, sein bezauberndes Lächeln lenkte ab von den Inhalten, den Motiven, den Verschlingungen hinter seiner Stirn. Immerhin war er gekommen, auch wenn sein Lächeln das Wesentliche in Nebel hüllte, verdunkelte, es sich verflüchtigen ließ. Die Nelke – brachte sie Licht ins Vordergründige, ein Friedensangebot, oder war sie ein manipulatives Spiel, eine Finte, sollte den Blick verschleiern, verhüllen, das Wesentliche verdecken?

Versteckte er sich hinter Blumen, Charme und Liebesnächten, nicht nur bei ihr?

Der Wille war stark, das Fleisch fand sich inmitten heißer Umarmungen und Liebkosungen, ließ das Wesentliche schrumpfen zu einem winzigen Punkt in einer dunklen Nische. Die sich ausbreitende Wollust hinter ihrer Brust, die durch Leidenschaft ertränkten Gedanken, die verflogenen Zweifel, verschmolzen zu einem violett – violinen Orchester im Sopranissimo und verliefen sich in paradiesische Höhen.

Sie nippte an ihrem schweren roten Wein, ihre Gedanken begannen sich zu formen, erneut Zweifel freizusetzen, Bewusstsein stellte sich allmählich wieder ein. Ihr Bauch riss auf, Wunden klafften aufs Neue, bohrende Schmerzen, Schwerter durchzogen die Gedärme, blutende Gedanken tropften zu Boden, erhoben sich, spannten ihre Netze gen Decke. Kurz vor dem Niederschlag ergriff sie ihr Mobiltelefon und schrieb: »Komm zurück«. Verwässerte Erleichterung, ebbende Qualen, gepolsterte Wolken mündeten in veilchen-farbenen Plüsch und betteten die Wunden des Gemetzels.

Ein Aufschrei, Dolche gruben sich weit in ihren Körper, Reue stieg auf, bar jeden Echos versank sie Wein trinkend in rot-grünen Galle speienden Gefilden. Ein eisblauer Blitz, zartes Grün erschien am Horizont und erhellte ihren kreisenden Lauf: not tat eine Ausstellung hinter seiner Stirn. Sie veranstaltete ein Fest, eine Vernissage, zur gebührenden Ehrung der Ausstellungsstücke und lud ihn ein.

Er kam, entkleidete sich und positionierte die Exponate. Das weiße, penibel gebügelte Hemd in der hintersten Ecke erzählte von der stetig zurückgewiesenen Liebe zur Mutter, die rote Hose auf dem Tisch der Gaben – von schneidenden Hieben im Schmuckband des Vaters. Die schwarze Jacke verdeckte den Torbogen: die Festung, die er um sich gebaut hatte. Elegante Schuhe zierten den Seidenteppich: die Empore des Berufes. Ein String wehte auf dem Fenstersims seine Bindungslosigkeit in die Welt; abschließend präsentierte er blaue Socken jonglierend seine Freiheitsliebe.

Dramatische Szenen seines Lebens skizzierte er, ein lockeres Band knüpfend, ihr Herz erobernd: den Mittelpunkt genießend, die Aufmerksamkeit: um Verständnis heischend, beschrieb er sein heldenhaftes Leben. Sie hörte zu, die Kunstwerke bestaunend, den nackten Mann betrachtend, irritiert.

Das bizarre Fest krönte das Klirren der Sektgläser und seine Frage:

„Darf ich jetzt noch nackt putzen?“

 

 

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Weiterführend → Anja Wurm, sizzierte, warum Netzliteratur Ohne Unterlaß geschieht. Vertiefend ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur, sowie ein Recap des Hungertuchpreises.

KUNO dankt dem Mainzer Künstler Andreas Liebich für die den Text begleitenden Arbeiten.