Über Bilder und Sehen II

 

Filmische und fotografische Grausamkeit zwischen Dokumentation und Sensationslust

Videos und Fotografien mutieren zu Waffen – UND  wer diese Bilder zeigt, macht sich zum Komplizen. Wie beantwortet man aber die weiter zu stellende Frage: Wo hört Dokumentation auf und wo beginnt die Sensationslust.

Gewiß. Pasolini hat den Genußanteil, der im Wesen der Folter liegt verdeutlicht. Auch bei hm gibt es Bilder von „Menschenhaufen“, angeleinte und vorgeführte Menschen. Auch von Dali gibt es ein Foto, das eine „angeleinte“ Frau zeigt, die aus dem Hundenapf ißt. Entlehnt die Kunst hier nur einer vorhandenen Perversion ihre Bildgedanken? Mildert sich der Gedanke durch eine künstlerische Erhöhung (oder Entblößung).

Natürlich hat das nichts damit zu tun, was wir derzeit im Fernsehen an menschlichen Grausamkeiten und Entfesselungen zu sehen bekommen. Natürlich hat die Gegenwart der Kamera Nicolas Berg zum Tode verurteilt und ist das Auffinden seiner kopflosen Leiche die authentische Beglaubigung des Gezeigten. Und natürlich sind die grausamen Bilder aus den Gefangenenlagern sozusagen die Voraussetzung der nachfolgenden Grausamkeit. So gebiert sich der Teufel in uns immer wieder neu. Neu dabei  ist aber auch die bildnerische Verfügbarkeit und deren teuflische Nutzbarmachung. Auch ein „Segen“ des Internets. Bedenken wir: Das Bild aus der Zeit des Vietnamkriegs, das einen Vietnamesen kurz vor der Erschießung durch einen „Landsmann“ zeigte, zeigte den Todesmoment in der ängstlichen Verzweiflung des Mannes, der eine Sekunde später starb. Das Bild wurde zum Dokument einer unmenschlichen Situation – gerade auch, weil es den Vollzug konkret verschwieg und unser Entsetzen berührte. Das Video mit Nicolas Berg zeigt sehr wahrscheinlich einen völlig Ahnungslosen, der sich vielleicht „nur“ als Geisel vernutet und von diesem barbarischen Akt  möglicherweise völlig überrascht wurde. Das Internet macht alles zugänglich – bedenken wir, auch für Perverse, die sich daran goutieren. Was benötigen wir noch Horrorvideos, wenn wir diese Realität „erleben“.

Die Bildmaschine – und ich glaube in der Tat, daß Bilder mehr Aufmerksamkeit wecken, als dies Sprache tun kann – benötigt ständig Steigerungsmomente, damit sie den Konsumenten und Quotengaranten bei der Stange halten.

Es mutet schon fast pervers an, den Menschen als eine höhere Gattung des Tieres zu bezeichnen. Die meisten Tiere töten aus Notwendigkeit. Der Mensch hat „Dank“ seines „Intellekts“ die „Fähigkeit“ entwickelt, daran auch noch „Lust“ zu „Empfinden“. Die Perversion ist die Entfesselung unserer verdrängten Instinkte und nimmt sich den Freiraum, sobald alle sozialen und gesellschaftlichen Fäden reißen und wenn dafür keine Strafe droht.

Es gibt spontane Wut und Verzweiflung, die zur Gewalt führt, und es gibt die Kalkulation, die diese Gewalt zur Demonstration ihrer Macht „nutzt“ – im privaten wie im politischen Bereich.

Wie pervers ist die bildgeifernde Meute vor dem Haus von Bergs Eltern? Was werden uns die Printmedien noch als „Nachlass“ dieser Grausamkeiten vor die Augen werfen?

Können wir nicht froh sein, die Grausamkeiten in den Collosseen nicht gesehen zu haben – das stumpfe Gemetzel im Mittelalter?

Die „Lust“ des Menschen am Schrecklichen und Grausamen ist wohl latent angelegt. Fast jeder kennt auch den Zwang, etwas, was man lieber nicht sehen möchte, doch ansehen zu müssen. Was machen die Autobahngaffer anderes?

In dem Film „Peeping Tom“ hält der Protagonist (ausgerechnet Karlheinz Böhm) die Todesangst des im Augenblick des Fotografierens getöteten Menschen fest. Ist das die Allegorie, daß Fotografieren tötet? Vielleicht hat Berg gerade dieser Aspekt der Fotografie tatsächlich umgebracht.

Wenn ich mir eine ästhetische, aber auch ethische Weiterbetrachtung des Gedankens erlauben darf. Fotografie zeigt, das ist ihr Noema, immer Gegenwart im Übergang zu ihrer Vergangenheit. Wir legen die Gegenwart sozusagen ab, indem wir sie sichern wollen.

Peeping Tom empfand im Augenblick seiner Handlung Lust – war ansonsten „natürlich“ der schüchterne, vor Frauen geradezu ängstliche Mensch. Der Gedanke, daß (möglicherwiese auch verdrängte) Sexualität sich in Gewalt Luft und der Tötung von Menschen Lust verschafft, könnte nahe liegen.

Die meisten Musikvideos heute sind mit sexuellen und gewaltandeutenden Inhalten angefüttert. Längst gibt es in Amerika Rapper, die zu ihrem Video eine pornografische Variante drehen.

Die Perversion der Medienanstalten zeigt sich unter anderem darin, daß sie mit lächerlichen schwarzen Balken mögliche Nacktheiten verbergen, mit einem Piep das Worten Ficken vermeiden und bei Titeln wie Fuck off mit Sternchen arbeiten. Sie geben sich damit den Anschein, offenbar letzte Barrieren noch halten zu wollen und vielleicht die würde empfindlicher Menschen schützen zu wollen.

Die damit verbundene Prüderie ist ein verlogenes pseudo-moralisches Muster, angelegt in einer Welt, die mittlerweile ihren Arsch zu Markte trägt und für alle davon Betroffenen eine virtuelle Hose anbietet.

Die Verlogenheit ist grenzenlos geworden – gerade in ihrer zur Schau gestellten Aufrichtigkeit.

Kein Hitchcock mehr, der seine Spannung in der Andeutung eines Geschehnisses tatsächlich filmerisch-ästhetisch formulierte. Fast ausschließlich nur noch Dumpfbackigkeit, die hinter der Andeutung eines Geschehnisses längst alles gezeigt hat.

Was können wir Künstler daraus noch lernen. Die Leugnung unserer Hilflosigkeit in der Vermittlung von Ästhetik, Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit (ich weiß, dies sind hehre Worte) und die Umwandlung dieser Leugnung in die Trotzigkeit des Weitermachens.

Vielleicht können wir damit wenigstens uns selbst retten und auf dem Grab unserer verloren gegangenen Idealismen ein trotziges Unkraut sein.

 

 

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Weiterfühend →

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