Warten

 

Helle Rosen liebt sie und die schwarze Vase. Abtönung! ich werde sie entblättern. der Duft! toll! ein Mädchen auf meinem Zimmer! das hätt ich nicht von ihr gedacht. sie ist so fein. aber wer nicht nimmt. ich bin immer zu zach gewesen. damals die Rote. ich will auch genießen. die Rosen vor ihren Platz. herrlich. hier auf dem Sofa soll sie sitzen. ich setze mich neben. ich kann sie umfassen. ich fühle ihre Brust. nein! nichts vorwegnehmen. überhaupt. ich werde mich umwerben lassen. ganz kühl werde ich sein. sie ist auf meinem Zimmer. auf mein Zimmer gekommen. überhaupt wenn ich kühl bin. ich werde sie zerreißen. die Kleider reiß ich ihr vom Leibe. nackt soll sie stehen hier. vor mir liegen. die Haare wühl ich ihr auf. Unsinn! wo ist der Wein? schwerer echter! Burgunder! ja aufziehn. das stört nachher. zwei Flaschen. das genügt. ausziehn. aufziehn. entkorken. meine Haut ist mir zu eng! ein schöner Kerl! ja! Körper. Wuchs. im Spiegel sogar. eigentlich? ich habe nicht viel Glück gehabt bei den Weibern. zu zach! zu zach! zu zach! jawohl. heute nachholen! heute. das Bett aufdecken. ach was! wir gehn ja gar nicht zu Bett. rauschen will ich! rauschen! ein Glas trink ich vor. Flammen. Blut! Lodern! alles vergessen. richtig! Gebäck. Weihnachten. Ja. meine Mutter. hahaha! wenn sie ahnte, was ich damit ködere. ahnt nicht, sicher nicht. schlechter Kerl. schlecht? ich. nein. ich tus wohl lieber nicht. lieber nicht. wenn sie kommt. sie ist ein anständiges Mädchen. sicher, ohne Zweifel. das zeigt ihr Blick. sie tuts nur. sie liebt mich. ich bin der Verführer. pfui Teufel! Verführer! ich will leben. leben. leben. Ja. ich will. und wenn sie dran glauben will. sie soll dran glauben. sie muß dran glauben. der Teufel holt sie. ich fetze sie auseinander. die weiche Haut streichen will ich. alle Geheimnisse. ein Glas noch. wild. wild. wild. ein Stier. ich renne die Wand ein. hier soll sie sein. säß sie da. Ja. wenn sie jetzt da säße. du du du! verrückt! ich küsse das dreckige Sofa. alles zittert. Arme. Beine. die Adern sind gequollen. ich halte nicht mehr aus. sie käm. wenn sie nur kommt? wenn sie nun nicht kommt? nichtkommt? sicher nicht. kommt nicht! Satan! ich hole sie. ich hole sie aus dem eigenen Hause. ich schlage. ich schlage sie auf der offenen Straße. ich werfe sie in den Rinnstein. in den Rinnstein. die Dirne! Dirne! Dirne! ooo! ich schieße. ich schieße sie nieder. die ganze Qual. Muskeln. Sehnen. Fieber. mit dem Revolver schieß ich sie nieder. wie leicht er in der Hand liegt. zierlich. flach. die Mündung vorn. und rund. fein. zum Küssen. Lippen. haha! ich bin verliebt. der Revolver ein Mädchen! ich hab noch nie mit ihr geschossen. jungfräulich. und die kleinen Patronen. sie hinein passen. schlüpfen. Donnerwetter! jetzt wirds aber Zeit! sie müßte schon hier sein. wahrhaftig. sie kommt nicht. nein. sie kommt nicht. ich wollte doch. ich wollte sie käme nicht. Gott! laß sie nicht kommen. laß sie nicht kommen. laß sie verhindert sein. verhindert. flöße ihr Scheu ein. Scheu. Scheu. fortbleiben. ja fort. besser. ja. ich behalte ein reines Gewissen. mein ganzes Leben lang werde ich den Vorwurf nicht mehr los. ich bin kein Verführer. ich will kein Verführer sein. meine Mutter. doch! aber braucht doch nicht gleich? braucht denn? wenn sie nun käme? wir plaudern. plaudern. gewiß. nein. da braucht doch nicht. haha! Mann und Frau. gewiß. Freunde wirkliche Freunde. warum nicht? ich lache. sie wird mich auslachen. auslachen. mich die rothaarige damals. tückisch. heimlich. der Blick. äh! Blicke! die halt ich nicht aus. das ertrage ich nicht. nie mehr. nein. ich gehe fort. ich bin nicht da. sie wird nicht kommen. aber ich gehe fort. das ist das beste. mir wird ordentlich leichter. ganz leicht. gesiegt. ja. ich. jaja. ist? ja? ist? o? rauscht? trippeln. ja? und? es? ja? klopft. Donner. wahrhaftig. klopfen. äää! Frechheit. unverschämt. schamlos. Dirne. Dirne. sie will mich. Verführerin. sie will mich nein. ä. nein. ich kann nicht. nein. ich will nicht. nein. klopfe nur. ja. klopfe. ich kann nicht. will nicht. kann nicht. will nicht. klopfe nicht! klopfe nicht! klopfe! ja! klopfe doch! klopfe doch! klopfe! ja! klopfe! paff!!!

 

 

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Am 1. September 1915 ist August Stramm bei Horodec östlich Kobryn, in einem sinnlosen Krieg gestorben. Seine Texte fallen auf durch ihre schlichte, reduzierte Sprache. Oft wird kein Wert auf Grammatik gelegt; Substantive, substantivierte Verben und Neologismen bilden den Hauptbestandteil.

Stramms Stil war überraschend und neu. Durch seine Knappheit, Härte und die weit vorangetriebenen Sprachexperimente heben sich Stramms Gedichte deutlich von denen anderer, früher Expressionisten wie beispielsweise Georg Heym und Theodor Däubler ab. Während letztere meist noch deutlich von der Neuromantik und dem Symbolismus beeinflusst sind, reißen Stramms Sprachmontagen den Horizont in die Moderne auf. Die zerhackten Rhythmen, die Satz- und Wortfetzen machen Stramms Gedichte zudem zu den überzeugendsten lyrischen Zeugnissen des Weltkriegs, umso mehr, da es kaum einem anderen Autor gelungen ist, das Grauen dieses ersten Maschinenkriegs in einer dieser ganz neuen Erfahrung angemessenen Form zu verarbeiten.

Schon mit den ersten Veröffentlichungen im Sturm nahmen junge Autoren Stramms Stil auf, darunter Kurt Heynicke, Walter Mehring und Kurt Schwitters. Auch auf die expressionistische Prosa von beispielsweise Alfred Döblin hatte Stramms Sprachduktus Einfluss. Zu späteren Stramm-Anhängern gehören u. a. Arno Schmidt, dessen frühe Prosa (1946–1956) auch stilistisch von Stramms Lyrik beeinflusst ist, Gerhard Rühm, Ernst Jandl und der Stamm-Adept Thomas Kling.

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.