DAS MYSTERIUM DER AKUSTIK

 

Man hat mich gefragt, ob der Bösendorfersaal erhalten werden solle. Der frager ging wohl von der voraussetzung aus, daß es eine sache der pietät wäre, einen saal, der in der musikgeschichte Wiens eine so große rolle gespielt hat, nicht zu demolieren.

Aber diese frage ist nicht eine sache der pietät, sondern eine frage der akustik. Diese frage will ich nun beantworten. Es war gut, daß ich gefragt wurde, sonst hätte ich die antwort mit ins grab genommen.

Seit jahrhunderten beschäftigen sich die architekten mit der frage der akustik. Sie wollten sie auf konstruktivem wege lösen. Sie zeichneten gerade linien vom tongeber nach der decke und meinten, daß der schall wie eine billardkugel im selben winkel von der bande abspringe und seinen neuen weg nehme. Aber alle diese konstruktionen sind unsinn.

Denn die akustik eines saales ist nicht eine frage der raumlösung, sondern eine frage des materials. Einen akustisch schlechten saal kann man durch weiche stoffe, durch vorhänge und wandbespannungen verbessern. Ja, ein mitten durch den saal gespannter zwirnsfaden kann die akustik eines raumes völlig verändern und verbessern. Das aber sind surrogate. Denn diese weichen stoffe saugen den ton auf und nehmen ihm seine fülle. Da wußten die griechen besser bescheid. Unter den sitzen ihrer theater hatten sie in gleichen abständen kammern angebracht, in denen sich jeweils ein riesiges metallenes becken befand, das mit trommelfell bespannt war. Sie versuchten, den ton zu verstärken, nicht, ihn zu schwächen. Und der Bösendorfersaal hat die herrlichste akustik, ohne alle vorhänge, mit geraden, nackten mauern.

Also gilt es wohl, einen neuen saal zu bauen, mit den genauen abmessungen des alten, um den anhängern der bisherigen akustiktheorie recht zu geben, und aus demselben material, um mir recht zu geben? Das resultat: der saal wäre vollständig unakustisch.

Man hat diese versuche schon gemacht. In Manchester wurde der berühmte bremer konzertsaal genau kopiert, der als der bestakustische weltberühmt ist. Mit negativem erfolge. Aber bisher war jeder neue saal schlecht akustisch. Manche erinnern sich der eröffnung der wiener hofoper. Man klagte damals, daß es mit der wiener gesangskunst durch das unakustische haus für immer vorbei sei. Und heute gilt die oper als das muster eines akustischen theaters.

Haben sich unsere ohren geändert? Nein, das material, aus dem der saal besteht, hat sich geändert. Das material hat durch vierzig jahre immer gute musik eingesogen und wurde mit den klängen unserer philharmoniker und den stimmen unserer sänger imprägniert. Das sind mysteriöse molekularveränderungen, die wir bisher nur am holze der geige beobachten konnten.

Um einen raum akustisch zu machen, muß man also darin musik machen? Nein, das genügt nicht. Gute musik muß man drinnen machen. Denn die seelen der menschen kann man wohl betrügen, aber nicht die seele des materials. Säle, in denen man bisher nur blechmusik gespielt hat, bleiben ewig unakustisch. Aber, so fein empfindlich ist die seele des materiales: man lasse durch acht tage eine militärmusik im Bösendorfersaal schmettern, und die berühmte akustik des raumes ist sofort beim teufel. Wie die geige eines Paganini durch einen stümper sofort ruiniert werden würde. Überhaupt wird blechmusik vom baumaterial nicht gut ertragen. Daher ist immer die eine seite eines opernhauses weniger akustisch. Säle, in denen nie blechinstrumente spielen, weisen mit der zeit die beste akustik auf. Im mörtel des Bösendorfersaales wohnen die töne Liszts und Meschaerts und zittern und vibrieren bei jedem tone eines neuen pianisten und sängers mit.

Das ist das mysterium der akustik des raumes.

 

 

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Adolf Loos war ein österreichischer Architekt, Architekturkritiker und Kulturpublizist. Er gilt als einer der Wegbereiter der modernen Architektur. Seine bekanteste Schrift ist der Vortrag Ornament und Verbrechen (1910). Darin wird argumentiert, dass Funktionalität und Abwesenheit von Ornamenten im Sinne menschlicher Kraftersparnis ein Zeichen hoher Kulturentwicklung seien und dass der moderne Mensch wirkliche Kunst allein im Sinne der Bildenden Kunst erschaffen könne. Ornamentale Verzierungen oder andere besondere künstlerische Gestaltungsversuche an einem Gebrauchsgegenstand seien eine ebenso unangemessene wie überflüssige Arbeit.

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.