Phonokratie

Eine Würdigung des Hörspielkomponisten Tom Täger

Der Hörspielkomponist Tom Täger braucht zur Darstellung seiner Klang-Farben- Vorstellungen die Vielfalt der Instrumentalpalette. Seine Kompositionen sind nicht bloße Begleitung, sondern strukturell und diskpositiv ebenso gewichtig wie die Sprecherstimmen. Der Mülheimer hat im Terrain der Musik stets die schwierigen, scheinbar unbegehbaren Routen oberhalb der Baumgrenze gewählt. Man glaubt beim Hören schrundiges Felsgestein unter den Füßen zu spüren. Erkaltete Lavaboasen und schwarzes Geröll, scharfkantige Krater und gähnende Erdspalten; er assoziiert Reliefstrukturen mit dem Rumoren des Papiers, fauchende Fumarolen mit tonlosen Anblasgeräuschen. Tägers Musik hat keinen illustrativen Charakter. Seine Klanglandschaften in Unbehaust sind abstrakt und trotzdem von eindringlicher Bildhaftigkeit.

A text that alludes to Eliot’s Waste Land, was set to music by Tom Täger,using minimalist techniques and sound effects like the rustle of paper.

Judith Ryan · The Long German Poem in the Long Twentieth Century

Bibiana Heimes, Darstellerin der Jo Chang

Die Komposition zum Monodram Unbehaust, die ausschließlich aus Papiergeräuschen besteht, handelt vom unermüdlichen Tägerschen Forschergeist, von der ewigen Suche nach unverbrauchten Ausdrucksformen. Tom Täger hat versucht, die Form des Monodrams, die Gedanken der Hauptfigur auf musikalische Verhältnisse zu übertragen und generiert mit seiner Komposition zu Unbehaust eine subtile Kongruenz von Wort-Ton-Bezügen. Die Anlage der Papier-Collage ist schlicht und raffiniert zugleich. Tempomäßig und im Grundcharakter stiftet sie eine Bogenform. In den Zeitdauern ist sie ansteigend, die dynamisch intensivste Stelle steht etwa in der Mitte. Die Komposition ist durchgeformt. Das Tonmaterial kombiniert mit Papiergeräuschen und Komplementärakkorden, wird stringend ausgeführt. Ein Zug des Schweifenden, des locker Gelösten ist diesem Hörstück eigen, das von Bibiana Heimes als Sprecherin gestaltet wird. Ihre gezackte Rezitation ist rasch als Parodie auf Rene Polesch Vokalstil zu verstehen. Sie gilt als Verrückte – oder mimt zumindest eine exaltiert Abgehobene. In ihren poetopathologischen Aufzeichnungen kämpft Bibiana Heimes als Patientin Jo Chang gegen das Vergessen, das Verlassenwerden, die Gesellschaft, Gott, und den Tod. Die seelischen Grenzüberschreitungen, die das lyrisches Monodram thematisiert, vollzieht es formal in der Aufhebung der Gattungsgrenzen nach. Es wird ganz ohne Psychologie erzählt, eher als Status quo eines Experiments. Sie ist auf der Suche nach ihrem Ursprung und findet Einzelteile einer versprengten Existenz. Das Langgedicht handelt nicht nur von großer Not, es ist auch selbst in Not. Mit schlankem Federstrich zeigt die asiatische Emigrantin die Neurosen und die Zerstörtheit der westlichen Warenwelt auf. Sie scheint mit den Worten zu schweben: eine Sprechmusikerin.

Señora Nada ist ein lyrisches Monodram über das Überwinden von Trauma und Schmerz durch Erkenntnis dank des Eindringens in die unoffenbarte Zwischenwelt. Die Welt zwischen Haben und Sein, zwischen Bestimmung und Freiheit, zwischen Jetzt und Immer.

Ioona Rauschan, Regisseurin des Hörspiels

Die Produktion Señora Nada provoziert mit einem stream-of-consciousness durch Inhalte und nicht durch Dolby-Surround. Darin begleitet Tom Täger die Schauspielerin Marina Rother mit einer Musik der befreiten Melodien. Seine Komposition zu Señora Nada ist durchsetzt von minimalistischen und improvisatorischen Erfahrungen, das Klangbild wird von experimentellen Klängen zu Trivialklängen in Bezug gesetzt. Die Vertonung ist rasch im Grundtempo. Crescendo- und Decrescendo-Verläufe schaffen fiebrig-erregte Ausdruckszonen wie die buchstäblich hervorbrechenden Forte- und Fortissimo-Attacken. Tägers Klanglichkeit bleibt Weigonis Exaltiertheit nichts schuldig. Es gibt Momente, da berühren sich Musik und Sprache, wie eine Fingerkuppe vorsichtig in eine gespannte Wasseroberfläche eintaucht, ohne sie zerstören zu wollen. Diese behutsamen Momente sind die Augenblicke, in denen für ein paar Takte kaum etwas zu hören ist. Es sind Sekunden von viel größerer Kraft als jedes Crescendo. Das Angebot, das in dieser Musik liegt, ist eine Herausforderung.

Wenn sich gegen Ende von Señora Nada, die Komposition zu einem leeren Quintklang zusammenzieht in der Pianissimo-Dynamik, haben die Takte dieses Hörstücks Welten an Ausdruck, Dynamik, Ambitus durchschritten. Man weiß es nicht so genau, ob die Ruhe nach dem Sturm nachklingt oder eine im statischen Quintklang erstarrte Erschöpfung. Die Vertonung Tägers fügt sie – mit allen Kontrasten von Tempoverläufen, Klangdichten, dynamischen Abstufungen – über die Wortbedeutungen hinweg zu einer einleuchtenden Zyklik. Die Klänge und Strukturen sind eigenartig: ähnlich und doch immer wieder neu, streng und doch offen. Das Zuhören führte an ein Zeitempfinden heran, wie es in dieser Weise selten zu erleben ist. Jedes Kunstwerk erinnert an den Geist und die Erweiterbarkeit des menschlichen Horizonts. Jedes bedeutende Werk hat das Bewußtsein geöffnet und nicht einfach nur die öffentliche Nachfrage nach Schönheit bedient.

Ioona Rauschans wachsame, im Erzähl-Augenblick so genau beobachtende Regie vergegenwärtigt jedes dieser literarisch möglichen Leben so intensiv, daß sich niemals das Gefühl eines bloß spielerischen Als ob einstellt. Jedes mögliche Leben ist in dem Moment wahr, da es erzählt wird.

Heterophone Stimmgewalt

Marion Haberstroh

Das Projekt Wortspielhalle wurde unlängst mit dem Förderpreis des lime_lab  im Rahmen des „steirischen herbst“ unterstützt. Dieser Preis fördert die Entwicklung experimenteller, medienüberschreitender Hörspiele. Es ist folgerichtig, dass es eine akustische Umsetzung der Sprechpartitur gibt. Der mit einer professionell ausgebildeten Sprechstimme A.J. Weigoni arbeitete dafür mit der Schauspielerin Marion Haberstroh zusammen. Mit einem sprachspielerischen Angang zur Lyrik eröffnen der Sprechsteller und die Schauspielerin der Poesie eine neue Handlungsfreiheit. In einem zweckfreien Spiel über Zufälle und Möglichkeiten erforschen sie die ludische Wende, die durch die Dominanz von Spielanwendungen auf dem Computer gekennzeichnet ist. Ihr Spiel mit der Sprache verändern die Elemente einer Situation so zu, daß Neues und Unbekanntes entsteht.

Die Schauspielerin Marion Haberstroh gibt der Sprache den Wohlklang zurück. Ihr Ziel ist es, die menschliche Stimme als ein universelles Instrument zu präsentieren und dem Geschmack der Worte auf die Spur zu kommen. Sie kam von der Bühne und fand im Hörspiel ihre Bestimmung, um mit ihrer Stimme die vielfältigen Stimmungsmöglichkeiten auszuloten. Seit dieser Zeit ist sie auf dem Weg ihre eigene Stimme zu entdecken, immer weiter und weiter, soweit, daß sie die Räume in sich bis zum Grunde des Meeres und fast zur Spitze des Universums mit Atem und Stimme füllen kann. Das geschriebene Wort erkennt sie in seiner Struktur der Lautfolge. Sie ertastet die Worte mit der Zunge und lauscht ihrem Klang, der Hörer ist auf alles gefasst und erweitert damit seinen inneren Horizont. Jeder Laut möchte ausgesprochen werden und durch die Verbindungen entsteht die Magie der Semantik. Sie braucht nicht zu denken sondern nur den Lauten zu folgen, voller Respekt und schon ist eine Geschichte erzählt und im Geist des Zuhörers entstehen die Bilder. In Aufnahme und Schnitt von Tonmeister Täger vermeint man etwas seltenes zu vernehmen: Ein Kunstwerk, das atmet.

Man hört in der Wortspielhalle einen hochkulturaffinen Kunstwillen, der unüberhörbar in dieser Sprechpartitur steckt, aber eben auch eine Verspieltheit, die sich aus bunter Alltagskultur, aus Comics und Filmzitaten speist. Auf wundersame Weise paßt alles zusammen, rhythmisch wie atmosphärisch. Hier findet keine experimentelle Textzertrümmerung statt, diese Poesie spiegelt eine fragmentarische Gesellschaft, diese Artisten öffnen den Blick auf die Gegenwart. Nicht nur die Literatur bedarf der Befreiung durch den Sprachwitz, mehr noch der Hörer. Und manchmal steckt eine solche Subversion in einem Diminutiv, gelegentlich in einem dialektalen Wispern. Auch wenn es zwitschert und zirpt, man hört nie einen Eklektizismus heraus. Aus Fragmenten haben Weigoni und Haberstroh ein kohärentes Ganzes geschaffen, getragen von Rhythmen, die einen ganz eigenen Sog entwickeln. Alles erscheint stringent an diesem in seiner Poesie großartig schillernden Projekt.

Letzte Ausfahrt, Rheinkilometer 630

Aus einem musikalischen Einfall heraus entwickelt Tom Täger ein 24-teiliges Stück. Der Hörspielkomponist verarbeitet das Thema dabei unterschiedlich, in Sequenzen, Transpositionen und Diminutionen kommen seine Inventionen zu den Vignetten daher. Der Klang der Fremde trifft auf den Verlust von Erinnerung. Kontraste sind für Tom Täger selbstverständlich, die schwelgerische Melancholie gedeiht direkt neben krassen Dissonanzen, und die Intensität des Schrillen verstärkt diejenige des Stillen. Seine Komposition lebt von Polymetriken und Polyphonien. Wie sich der Klang an den Rändern zum Verstummen bewegt, wird das Reisen, und sei es eines in die Wüste des versehrten Ichs, zu einem Akt der Vergeblichkeit, die Kreisbewegung führt zum Verlust von Verankerung und Identität.

Die Vertonung Tägers fügt – mit allen Kontrasten von Tempoverläufen, Klangdichten, dynamischen Abstufungen – über die Wortbedeutungen hinweg zu einer einleuchtenden Zyklik. Die Klänge und Strukturen sind eigenartig: ähnlich und doch immer wieder neu, streng und doch offen. Das Zuhören führte an ein Zeitempfinden heran, wie es in dieser Weise selten zu erleben ist. Oft gibt es das Missverständnis, Energie gleich Lautstärke. Intensität steckt auch in extrem ruhiger und gleichförmig fließender Energie, quasi im Nichts. In der Hörspielmusik dieses Soundtüftlers gibt es extrem leise Stellen. Und trotzdem ist da unentwegt ein Energiefluss spürbar, es brodelt etwas.

Die geschriebene Sprache ist immer eine Metapher für die gesprochene. Desto „echter“ sie klingt, desto weiter entfernt ist sie in Wahrheit von der Umgangssprache. Meilchens Bilder sind der Schlüssel zur Erinnerung, das Sinnbildliche wiederum ergibt sich, wie in Benjamins Berliner Kindheit, gleichsam von selbst. In dieser Novelle transportieren sich die Wellenbewegungen der Flüße Rhein und Nil in sinnlich geschwungene Bögen des Gesprochenen. Hier wird die Dialektik einer beschwörenden Sprachmagie sinnfällig. Bei der Umsetzung dieser Novelle möchte man jedem einzelnen Wort hinterher lauschen. Hier entsteht etwas, das am ehesten als eine Art assoziativer Klangraum bezeichnet werden könnte, ein schwer zu fassendes Phänomen, das eng mit der offensten aller Künste, der Musik, verwandt ist.

Tonstudio an der Ruhr, historische Aufnahme – Das Urheberrecht für dieses Photo liegt Andreas Mangen.

 

Hörbproben →

Probehören kann man Auszüge der Schmauchspuren, von An der Neige und des Monodrams Señora Nada in der Reihe MetaPhon.