Zwei Herren

 

Auf der Straße begegneten sich zwei Herren, die einander nicht kannten. Zufällig streifte der eine den andern mit dem Ärmel. Da sagte der andere leise, aber vernehmlich: »Esel«. »Idiot,« antwortete der eine. Da sagte der andere wieder: »Sie Lümmel, Lulatsch, Lumich, Schwein, Sie Schein, Sie gemeines Schwein, Sie Hanswurst, Sie Trottel, Sie blödes Aas, Sie Rindskaffer, Sie Lause-Aas.« »Was,« antwortete der eine, »und Sie wollen jetzt etwa immer noch ein gegebebebildeter Mensch sein? In meinen Augen sind Sie ein Idiot, Sie Idiot, ein Luffen, Sie Luffen, ein Schwein, Sie Schwein, ein Hund, Sie Hund, ein Affe, Sie Affe.« – Plötzlich sagte der andere: »Sie Riesenidiot, Ziffi, Ludwig, Klamottenede, Kastanienfritze, Armloch, Sie Armloch« – »Was,« antwortete der eine, Sie sind ein Flohjäger, Sie Flohjäger, Hundeknochen, Hundeblut, saudummes Luder, blöder Hengst, Schnapsnase, Sie Schnapsnase, Buttjer, Sie gemeine Schnapsnase!« Plötzlich sagte der andere wieder: »Dämliches Rindsvieh!« – Darauf antwortete der eine: »Kröppel, Insurgent, Sie Insurgent, Sie, Sie!« – Plötzlich sagte der andere wieder: »Knirps, Insekt, Schurke, wie sich dieser Laubfrosch bläht!« – Darauf antwortete der eine: »Armselige Wage, Beutelschneider Du!« – »Was?« sagte der andere plötzlich, »Du, du, du? bin ich Dein Hausknecht? Hört ihn doch, den Kalbskopf, ich platze vor Lachen!« – Darauf antwortete der eine: »Elender Prahlhans!« – Plötzlich sagte der andere: »Feiger Schurke!« – Da sagte der eine: »Pardon, ich habe ganz vergessen, Sie meiner Braut vorzustellen.« – Plötzlich sagte der andere: »Dabei fällt mir ein, ich habe meinen Namen noch gar nicht genannt. Ich heiße Meier.« – Darauf sagte der eine: »Ebenfalls Meier, Vorsitzender des Vereins zur Veredlung der Hunderassen.« Plötzlich sagte der andere Meier: »Wollen Sie nicht in unseren Klub zur Verbesserung der Kultur eintreten? Sie sind unser Mann, Sie sind ein edler Mensch.« – Darauf antwortete der eine Meier: »Ich schätze mich außerordentlich glücklich, einen Menschen, wie Sie, kennen gelernt zu haben. Ich und mein Hund treten gern Ihrem Klub bei.« Darauf begaben sich beide Herren mit Hund und Braut ins Klublokal Zur Verbesserung der Kultur.

 

 

 

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Kurt Schwitters, vor 1927, auf einer Fotografie von Genja Jonas

Das literarische Werk von Kurt Schwitters. Quelle: Mécano, Nr. 3, rouge, rood, rot, red Oktober 1922

Kurt Schwitters war ein deutscher Künstler, Maler, Dichter, Raumkünstler und Werbegrafiker, der unter dem Kennwort Merz ein dadaistisches „Gesamtweltbild“ entwickelte. Sein Werk umfasst die Stilrichtungen Konstruktivismus, Surrealismus und Dadaismus, dem sie aber nur durch Gegensätzlichkeit ähnlich waren. Aus heutiger Sicht zählt Schwitters zu den einflussreichsten Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts.