Der Derwisch

Franz Marc und Mareia

Die englischen Damen reiten jeden Abend auf ihren Eseln die heiße Gräberstraße entlang, die heiligen Katzen hinter den Gittern der Gräber blicken schon weltlich. Der Derwisch tanzt. Die Ladies mit den hellen Augen like the spring hören auf zu zwitschern, aber die blauen Schleier ihrer Hüte zittern. Mein Herz wird täglich magerer in der Brust, wie die Mondhälfte in den Wolken. Die zarten Hälse der Abendländerinnen heben sich aus dem Rand ihrer durchsichtigen Kleider, darinnen ihre Leiber wie in gläsernen Vasen stehen. Ich aber trage den lammblutenden Hirtenrock Jussufs, wie ihn seine Brüder dem Vater brachten. Und die jungen Dromedare und Kamele weide ich, tränke sie mit dem Wasser der Brunnen. Und abends, wenn der Derwisch tanzt vor der kleinen rissigen Moschee, schenke ich den jungen Höckertieren meine Datteln und Feigen, daß sie nicht nach mir schreien. Nie hat ein Sohn oder eine Tochter der Stadt in die Augen des Derwischs gesehen, es warteten heimlich die Prinzessinnen Kairos vor seiner Wimper finsterer Sonne. Alle goldenen Bilder küßten die Moschee, da sie den Derwisch gebar. Ich reiche ihm Labung im Kelch der Derwischlilie und blase den aufgewirbelten Sand Ismael Hamed zu, der lehnt am Dorn der Oase und hat das Jenseits verloren. In einer Sänfte tragen Priesterknaben den erschöpften Priester schaumgeronnen in das Priestertum. Auf ihren Eseln reiten die englischen Damen die heiße Gräberstraße bergab am glänzenden Pupillengitter vorbei, der buntbetenden Nacht zu. Kostbare, allahgeweihte Teppiche fallen von den Dächern der Häuser bis auf die Steine der Straße und erwarten die roten Füße des Feiertags Jom ’aschuras. Der treibt am 10. des Monats Muharram das Blut der Stadt; den Enkel Mohammeds, der an diesem Tage bei Kerbela getötet wurde, lebendig zu halten. Ich jage meine Dromedare hintereinander und Kamele nach Karawanenart. Durch die Straßen springen schon in tollen Sprüngen Männer, ihre Schultern schaukeln auf und ab, wie die irdenen Krüge des Brunnens. Christenhunde flüchten vor Steinwürfen, den Juden ist das Menschvergießen ein Greuel. Vornehme Araber, Staatsleute, Priester in gestickten Satteln ziehen auf hochmütigen Pferden vorbei. Unter die Hufe unzähliger Tierbeine werfen sich unzählige Leiber. Mir klebt das Blut schon schwarz auf den Lippen. Blutweihrauch entströmt den Poren der Stadt. An die geöffneten Haremsfenster drängen sich die Frauen. Sichelaugen, mandelgoldene, zimtfarbene, Schwärme von schillernden Nilaugen, schweben über den tödlichen Zug. Mit Peitschenhieben züchtigen sich die jungen Heiligen, andere wetzen Waffen an der Säule ihres Rückens. Waghalsig über die Gelände des Daches beugen sich die englischen Ladies, werfen halbaufgeblühte Nachtschleierknospen und Mondschatten über den Derwisch. Der sitzt auf einem Kamel, allahtrunken und trägt die weiße Taube Mohammeds, das Licht des Jenseits auf dem goldenen Ast seines beringten Fingers. Ich schreie. Der Derwisch winkt. Ein junger Edelmohammedaner wirft sich unter seinen frommen Reiterschritt; aber ich besteige den hinteren Buckelteil seines Tieres und halte mich am Schwanze fest, da es zu stolpern droht über zermalmte Leichen. Manchmal wendet der Derwisch seine goldene Stirne leise gegen meine. Von Gold sind die feinen Flügel seiner Nase. Meine Glieder halten den Odem ein und lauschen Melodieen nach: Am Tigris steht ein Palast, der gehört meinem Vater und meiner Mutter, die schlummern schon sieben Jahre im Gewölbe. Meiner Mutter Hände sind zwei einbalsamierte Sterne, und der Bart des weißbärtigen Paschas fiel: ein silberner Vorhang über stolze Vorfahren. Und ich vertauschte den Prinzessinnenschleier mit dem armseligen Rock der Weide. Nun bindet Ismael-Hamed die jungen Lasttiere. Ich erzähle: »Bocknäsig ist Abba sein langhaariges Kamel, und Rebb wirft mit dem Schwanzwedel meinen Fez vom Kopf, und meine Kamelin liebt Amm, ein Dromedar aus Ismael-Hameds Herde.« Der lächelnde Derwisch beugt den Oberkörper feierlich im Wandel: Nacht und Tag – die glitzernden Perlenquasten des königlichen Sattels klingen über Beduinenhände, wie über braune Teppichfransen. Unser Tier sinkt in eine Blutlache, warm tröpfelt es von meinem Gesicht, es sind lebendige Regentropfen, bald naht die Zeit des segnenden Himmels: Allah begießt die Welt mit seinem Saft. Aber Ismael-Hamed wird die duftenden Wunder, die wachsen werden, nicht sehen, er hält den Kopf in seinem Nacken versteckt. Schmächtige Knaben wetteifern um den schnellen Weg ins funkelnde Jenseits, aber unser Kamel will nicht über ihre verhungerten Körper traben. Der Kinder Lockrufe übertönen die wilden Gebete der Halbpriester. Mich beschnüffelt schon die Plattnase eines Einhöckers und drängt mit seiner Gurgel ungeduldig nach meinem Rücken. Der Derwisch gibt den kleinen Bettlern ein Zeichen, sich zu entfernen. »Herr, warum verschließt du ihnen das Tor zum goldenen Garten? Und weißt doch, daß ihre Väter sich auflehnen wider den Koran. Sollen sie büßen wie Ismael-Hamed der Hirte? Er trägt statt des Lichtes das finstere Bild seines ungläubigen, geschlagenen Vaters in der Brust und schämt sich, mich anzublicken, weil er so arm ist. Und ich verträumte, ein verklärter Grund hinter deiner frommen Schönheit, ihm ein Jenseits zu suchen im Damast des reichen Zuges. Herr, verzeih’ mir den bösen Gedanken, ich hoffte, daß einer der Geweihten verlöre seine Seligkeit vor der dämmernden Stufe des Todes!« Nach der Richtung der zerlumpten Kinder tastet fürsorglich der erschrockene Derwisch. Die bauen ihr Leben auf, Kopf auf Kopf, und spielen Pyramide. Ich hänge über den Rücken des Tieres allem Blute nach, aber die Wimper des Priesters ergreift mich; der Schatten seiner leeren Augenhöhlen fällt über die blutende Stadt. In Allah ruht sein frommsüchtiger Vater, der ihm die runden Lichte ausgestochen hat. Wir waten rot über aufspritzendes Grellrot. Wir reiten in einem Gemälde. Der Nil ist rot gemalt. Ich zerschlage mir die Stirne an den harten Säulen der Häuser, ich bin im Finstern, meine Augen frieren. Ich habe im Grauen seiner heimlichen Gräber mein Jenseits verloren, es fiel in Ismael-Hameds des Hirten Schoß. In der warmen Milch einer Kamelkuh badet er meine erstarrten Füße, aber mein Gesicht legt sich schon im Wind zur Seite. Blumen blühen; in Wasserfalten gehüllt schwemmt der Nil die verwesten Leiber jenseits weilender Seelen ans Ufer. Ich erkenne die drei Beduinen an ihrer Schlankheit und den Edelmohammedaner an seinem Gürtel wieder. Die armseligen, spielenden Kinder zerstampfte ein tanzender Pferdehuf; es fehlen ihnen die bettelnden Händchen. – Über Kairo schwebt der Gebetschein des Korans.

 

 

***

Der Prinz von Theben, ein Geschichtenbuch von Else Lasker-Schüler. Paul Cassirer, Berlin 1920

Ab 1910 wendet sich Else Lasker-Schüler allmählich von der weiblichen Erzählposition ab und lässt Jussuf – der in etwa als biblischer Joseph genommen werden kann – zu Wort kommen.Im vorliegenden ziemlich archaischen Geschichtenbuch tritt Jussuf, der titelgebende Prinz von Theben, allerdings nur in der Geschichte Abigail der Dritte auf und stirbt am Ende dieser überschaubaren Episode. Folgerichtig ist in den nachstehenden letzten drei Geschichten des Buches höchstens von dem toten Prinzen die Rede.

Die erste Geschichte – Der Scheik – und die letzte – Der Kreuzfahrer – sprechen unter anderen jeweils die Sühne zwischen den Religionen an und machen somit das restliche, zumeist schaurig-schreckliche Geschehen ein klein wenig erträglicher.

„Die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“, sagte Gottfried Benn über Else Lasker-Schüler. Sie bewegte sich wie eine Märchenfigur durch Berlin und fiel mit ihrer exzentrischen Erscheinung auf.

Weiterführend → 

Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den wichtigsten identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.