baumbücher aus der vergifteten welt

BÄUME

»Bäume vergessen nicht« ist ein unikates buchobjekt, ein baumbuch von baumholz ummantelt, in dem das innere, das man aufklappen kann, wie bei bäumen von der rinde geschützt wird. uwe albert schreibt: »Als Kind setzte ich mich manchmal an einen Baumstamm und sprach mit innerer Stimme zu ihm und es war, als sog er meine Sorgen auf, die derart einverleibt zu Falten in seiner Rinde wurden, was ich aber nicht all zu oft tun wollte, damit er nicht gar zu runzlig wurde.« ähnliches berichtete else lasker-schüler: »Wenn ich irgendetwas auf dem Herzen habe, öffne ich mein Fenster, so kalt es gegenwärtig auch ist, und frage die Bäume um ihren unverfälschten, mächtigen Rat. Zwischen den Fasern ihrer Stämme läuft Gehör, und heftiger Odem dringt aus den Poren ihrer Blätter durch das Weltall in die Ewigkeit.«

naturverbundenen menschen sind bäume mehr als nur gewächse zur erzeugung von bauholz und brennholz auf baumfeldern, wälder genannt, oder früchten auf baumplantagen. der baum ist sinnbild für naturschutz. was der mensch bäumen antut, tut er auch sich selber an. uwe albert sieht sie als vorbilder für ein friedliches und solidarisches leben. »Bäume verfügen über ein Sozialsystem, sie kommunizieren miteinander, haben ein Gedächtnis und sind in der Lage zu kombinieren.« else lasker-schüler schrieb: »Ich aber beginne von den hohen Bäumen, den laubigen Erzvätern, besonders den großblattohrigen, viel zu lernen.« »Verwachsener mit dem Erdreich und kraftvoller im Mark ist der Baum, und gütiger und vernünftiger als der Mensch.« mit vernetzten wurzeln leben bäume, wie andere pflanzen, in gemeinschaften und unterstützen sich gegenseitig. ihr sozialverhalten ist bisher kaum erforscht. ob und inwieweit bäume sogar empfinden, wird man erst noch genauer untersuchen müssen.

der weltenbaum der mythen und religionen, der im zentrum des universums steht, verbindet, als kosmische architektur, und damit ordnung, erde, himmel und unterwelt, also die ganzheit der welt. der baum insgesamt entspricht dem zyklischen werden und vergehen in der natur. er ist, insbesondere wegen seiner blüten, früchte und zweige, symbol für fruchtbarkeit und wachstum, ursprung und erneuerung und stellt, wie die mutter, den anfang des lebens dar. mythen kennen geburten von göttern und menschen aus bäumen. häufig verehrte man göttinnen als bäume. der brauch, nach der geburt eines kindes einen baum zu pflanzen, war weit verbreitet. der stammbaum hatte einen neuen zweig bekommen, der heranwachsen sollte. zugleich sind bäume auferstehungssymbole. nicht zufällig hieß der sarg, ein gefäß, das allein schon aufgrund seiner form etwas bergendes hat, totenbaum. särge sollten den toten ins holz eingeschlossen wieder mütterlich aufnehmen und für die auferstehung bergen.

  1. g. jung schrieb: »Die Symbolgeschichte überhaupt schildert den Baum als den Weg und das Wachstum auf das Unveränderliche und Ewigseiende hin, welches durch die Vereinigung der Gegensätze entsteht und durch sein ewiges Schon-vorhanden-Sein die Vereinigung auch ermöglicht. Es scheint, als ob der Mensch, der vergeblich seine Existenz sucht und daraus eine Philosophie macht, nur durch das Erlebnis symbolischer Wirklichkeit den Rückweg in jene Welt, in der er kein Fremdling ist, wiederfindet.«, nachdem er beim versuch, die natur zu beherrschen, sich von der natur und sich selbst entfremdet und entfernt hat.

LEGITIMIERTE GEWALT

»Bäume vergessen nicht« dokumentiert kriege und militärputsche der weltmacht usa in anderen ländern, daneben folterungen sowie medizinische experimente an menschen, also das gegenteil partnerschaftlichen miteinanders und gewaltloser kommunikation. ein amerikanischer witz fragt, warum es in den usa noch nie einen militärputsch gab. »Weil es dort keine US-Botschaft gibt.« der »Sturm aufs Kapitol« 2021 war eine farce der gewalt mit todesopfern und skurrilen momenten. den gehörnten mann unter den erstürmern hätte federico fellini, der zirkusdirektor der filmregisseure, nicht besser erfinden und inszenieren können.

versuche, politische systemwechsel in anderen staaten mit hilfe von umstürzen, putschen, kriegen und bürgerkriegen herbeizuführen, die teils ganze länder verwüsten, sind verantwortungslos. zur rechtfertigung solcher taten werden in einer sprache der tugend auch begriffe wie freiheit, demokratie und menschenrechte benutzt, das heißt demagogisch mißbraucht, und damit entwertet. öffentliche äußerungen, die einseitig eigennützigen bestrebungen dienen, können ohnehin nicht ausdruck von moral sein, sondern allenfalls moraldekor. zugleich kooperieren westliche regierungen und unternehmen, allerdings auch andere, weltweit mit diktatoren und autoritären herrschern, die ihnen billige und unmündige arbeitskräfte liefern.

uwe albert nennt länder und jahre gewalttätigen, egoistischen und mitleidlosen us-amerikanischen eingreifens: iran 1953 (militärputsch), guatemala 1954 (militärputsch), 1961 kuba (invasionsversuch), 1964 vietnam (krieg), 1973 chile (militärputsch), 1981 nikaragua (bürgerkrieg), 1999 serbien (bombardierung), 2001 afghanistan, 2003 irak, 2011 syrien und libyen (jeweils bürgerkrieg). eroberer erscheinen wie krankheiten. allein im vietnam-krieg starben 3 millionen menschen. einige der genannten kriege und bürgerkriege flammen immer wieder auf und dauern bis heute an. teile der außenpolitik der usa sind, wenn man die wirkungen sieht, ein terrorismusförderprogramm.

die amerikanischen regisseure und akteure der gewalt wurden nie international vor gericht gestellt, angeklagt und bestraft, selbst wenn sie gegen völkerrecht verstießen. dies entspricht der imperialen vormachtstellung der usa. dafür werden friedlich lebende menschen und menschengruppen gegeneinander aufgehetzt. meist wird dabei wenig rücksicht auf die betroffenen länder und völker genommen, da man der annahme zu folgen scheint, rechtsbrüche und verbrechen, die eigenen interessen nutzen, seien gute taten, und wohl auch die nötige achtung fehlt. die invasorische und aggressive außenpolitik der usa hängt nicht zuletzt mit ihrer expansiven und gewaltsamen besiedlungsgeschichte zusammen, deren methoden derart verinnerlicht sind, daß es immer wieder zu extremen gewalttaten auch im eigenen land kommt. lateinamerikanische länder, die zugleich zur westlichen und südlichen welt gehören, haben ebenfalls eine hohe gewaltaffinität, nur fast ohne auswirkungen auf die weltpolitik.

»Der amerikanische Exzeptionalismus ist eine Ideologie, der zufolge die USA durch ihre besondere Geschichte und ihre einzigartige Machtfülle eine alleinige Sonderstellung unter den Nationen der Welt einnimmt.«, erklärt albert im zweiten buch »Toxic / Gegenwärtige Manipulationstechniken und mentale Vergiftungsmethoden«, das stärker analytisch ist. seine bilder, zeichnungen und montagen darin, john heartfield hieß »Monteurdada«, meist karikaturen, zeigen folgen der gewalthandlungen und deren befehlshaber. karikiert werden personen der weltpolitik vor ernstem hintergrund. denn es geht um ihre entscheidungen über leben und tod. bei friedrich dürrenmatt sagt der musketier schwefel: »es steht schlimm um ein Land, das besiegt worden ist, denn wer siegt, achtet nicht auf seine Füße. Er zertritt die Besiegten.« und: »Wer besiegt worden ist, kommt in Not, und Not lehrt töten. So wird schlecht, wer siegt, und schlecht, wer unterliegt.«

im zweiten weltkrieg, nach dem die armee der usa in westeuropa über jahrzehnte hinweg überwiegend positiv beurteilt wurde, zumindest bis zum vietnamkrieg, gaben amerikanische soldaten ihren truppenteilen, vielleicht angeregt durch die kenntnis indianischer totemnamen oder ähnlicher namen amerikanischer sportmannschaften, teilweise namen von totemtieren, die meist raubtiere waren. die armeeführung hat dies zunächst abgelehnt und bestand auf der einhaltung der offiziellen truppenbezeichnungen, dann aber mit dem argument akzeptiert, die freie wahl der namen stärke die verschworenheit der truppe. schließlich sprachen offiziere ihre soldaten selbst mit deren totemnamen an.

das römische reich, die weltmacht der antike, war ein kolonialreich, das andere völker unterdrückte und ausplünderte, die zugleich vom zivilisatorischen, vor allem technischen und kulturellen, fortschritt roms profitierten. bei dürrenmatt heißts: »Rom hat sich selbst verraten. Es kannte die Wahrheit, aber es wählte die Gewalt. Es kannte die Menschlichkeit, aber es wählte die Tyrannei. Es hat sich doppelt erniedrigt: vor sich selbst und vor den anderen Völkern, die in seine Macht gegeben waren.« und: »Der wahre Sieg kommt nur den Besiegten zu.«, der sieg eines denkens, das ursachen der gewalt erkennt und vermeidet.

eine karikatur zeigt barack obama. »Durch Wikileaks sind jetzt historische Daten zugänglich geworden, die belegen, dass der Syrienkrieg ein geheimer Krieg der NATO ist.« ähnliches geschah in libyen. die fähigkeit zu verbrechen gehört zum anforderungsprofil des führers einer weltmacht. »Mit der auf undemokratische Weise neu definierten Sicherheitspolitik machte sich Deutschland zum Multiplikator US-amerikanischer Hegemonialpolitik«, resümiert albert. fataler als das begehen grausamer taten ist deren legitimation, die viel mehr nachahmer findet als die einzelne tat.

die us-amerikanische strategie des politischen systemwechsels durch militärisches eingreifen in anderen ländern ist nun, jedenfalls in afghanistan, endgültig gescheitert. wieder einmal glaubte man, alle völker seien mehr oder minder westlich bürgerlich, und unterschätzte die unterschiede in religion, kultur und mentalität. offenbar vertreiben die afghanen jeden besatzer wieder aus ihrem land, erst tschingis khan, dann die britische und die sowjetische armee und nun internationale truppen. die amerikaner haben die taliban einst gegen die sowjetarmee aufgerüstet und ihnen jetzt praktisch die modernisierte afghanische armee geschenkt, deren offiziere und soldaten nicht gegen landsleute krieg führen wollte. damit sind jedoch die weltweiten militärischen aktivitäten der usa insgesamt nicht beendet. denn die ansprüche der weltmacht bleiben.

auch recht kann willkürlich wirken, wenn es das richtige maß verliert. »Im Mai 2018 wurde im Bundesland Bayern das neue Polizeiaufgabengesetz, welches das sog. „Gefährder-Gesetz“ enthält, in Kraft gesetzt. Darin ist eine Unendlichkeitshaft für Gefährder festgeschrieben. Geht von einem Bürger eine „drohende Gefahr“ aus, kann er für zunächst vier Wochen inhaftiert werden. Nach Ablauf dieser Zeit kann der Vorgang beliebig oft wiederholt werden. Die Person, die von der Polizei als Gefährder eingeschätzt wird, kann also prinzipiell ohne Verurteilung und Gerichtverhandlung lebenslang inhaftiert werden. Die anderen Bundesländer erwägen eine Übernahme dieses Gesetzes.« die erfahrung zeigt, was rechtlich möglich ist, wird letztlich, bei passender gelegenheit, auch getan.

WIRTSCHAFT

eine andere form der machtausübung ist die wirtschaftliche herrschaft. »Der Trick der neoliberalen Ideologie besteht darin, den freien Markt als eine Art Naturgesetz oder Axiom auszugeben, das „alternativlos“ ist.«, was zu einer naturalisierung des strukturell bedingten führt. »Das Perfide an neoliberaler Indoktrination ist es nun, das natürliche Potenzial des Menschen auf eine egozentrische Perspektive zu begrenzen, indem das Überpersönliche gezielt abtrainiert wird und damit verkümmert.« geldundmarktmechanismen werden vielfach mit rationalität und vernunft verwechselt, während häufig schon planung und koordination nicht mehr richtig funktionieren.

»Der Neoliberalismus bildet heute ein wesentliches ideologisches Zentrum einer radikalen Gegenaufklärung, mit deren Hilfe die Machteliten die Umverteilung von unten nach oben, von Süden nach Norden und von der öffentlichen in die private Hand betreiben.«, schreibt albert, und: »Die Erfolge neoliberaler Gegenrevolution und die jahrzehntelange systematische Indoktrination haben gezeigt, wohin dieser Weg führt. Es ist ein Weg der Zerstörung, der Zerstörung von Gemeinschaft, der millionenfachen Zerstörung von Leben, der Zerstörung kultureller und zivilisatorischer Substanz, der Zerstörung unserer ökologischen Lebensgrundlagen und der Zerstörung unserer natürlichen Identitäten. Man sollte sich von der Illusion verabschieden, durch einen Dialog mit den Mächtigen diese Zerstörung beenden zu können.«

»Die OECD-Länder subventionieren (d.h. bezahlen mit Steuergeldern) ihre Landwirtschaft täglich mit rund 875 Millionen US-Dollar! Ohne dem könnten die Entwicklungsländer ihre Agrarexporte und das Einkommen ihrer ländlichen Bevölkerung entscheidend erhöhen. Hinzu kommen Einfuhrbeschränkungen, mit denen sich die USA und die EU vor Importen aus Entwicklungsländern abschotten. Außerdem wird den Entwicklungsländern das Recht genommen, ihre Wirtschaft selbst zu gestalten. Sie müssen sich der Marktdisziplin unterordnen. Für transnationale Konzerne sind sie dann ein Reservoir billiger Arbeitskräfte und Rohmaterialien. Das ist die Realität des freien Marktes.« alldas dient der herrschaft der wirtschaftlich stärksten über die mehrheit. eine geldundwirtschaftsordnung, zu der, neben der politischen demokratie, nicht auch wirtschaftliche, finanzielle und soziale demokratie gehören, ist deformiert.

michel serres meinte: »Informatik und Anthropologie stehen gemeinsam an derselben Front. Muß man sagen, daß die eine durch ihren technischen Eingriff ebenso tief eindringen wird, wie die andere mit ihren Analysen anzeigt? Oder muß man sagen, daß die Wissenschaft objektiviere, was die Märchen schon lange erzählen?« jean françois lyotard diagnostizierte: »Man kann nur dann die Hauptrolle des Wissens als unentbehrliches Element des Funktionierens einer Gesellschaft bestimmen und dementsprechend handeln, wenn man beschlossen hat, dass diese eine große Maschine ist.« das allerdings bedeutet, daß auch die menschen maschinenteile sind. bereits heute funktionieren viele in ihrer arbeit wie automaten und werden dadurch nicht selten psychisch krank oder zumindest beschädigt. einseitige funktionalität, die im menschen nur das verwertbare aktiviert, erzeugt austauschbarkeit. wer sich von einer technokratischen praxis abhängig macht, ist ihr ausgeliefert.

EGOISMUS UND OPPORTUNISMUS

konsens meint heute vor allem egoistischen opportunismus und opportunistischen egoismus. der positive konsens im sinne von interessenausgleich wird so entwertet. der glaube an fortschritt ist häufig naiv. das haben die agitatoren aller zeiten schon richtig erkannt. während tiere sich ihrer umwelt durch instinkte anpassen, brauchen menschen zur begründung ihres handelns eine geeignete ideologie mit wohlklingenden illusionären wertundwunschvorstellungen, egal ob politischer, sozialer, religiöser oder moralischer art, die eigenen vorsätzen dienen, doch schnell ausgetauscht werden, wenn die legitimierende wirkung erkennbar nachläßt oder aufhört, sowie entsprechend paßgerechte vorurteile oder feindbilder.

egoismus und opportunismus sind zwillingsbrüder. wenn opportunistisches verhalten durch ängste entsteht, kann man das noch verstehen, weil in der realwelt tatsächlich manches angst macht. doch häufig ist opportunität rein egoistisch. man darf vermuten, daß es sich bei menschen, die sich allzu schnell, leicht und problemlos anpassen, meist um gewöhnliche personen handelt, die dabei wenig wesentliches verlieren. die meisten menschen wollen dazugehören. der grund dafür ist oft egal. die mehrheit der menschen paßt sich jedem falschen system an. und überläufer gehen über leichen. der mensch mißt mit zweierlei maß, wenn er egoistischen interessen folgt. wer die unterwerfung der anpassung verweigert, wird verstoßen und verachtet.

die masse ist in besonderem maße vom unbewußten geleitet. unterm ansturm der ungelösten menschengemachten probleme dürfte weltweit noch manches bedrohliche massenverhalten zu beobachten sein, das, durch not und verzweiflung oder egoismus und opportunismus, oder alldies zusammen, ausgelöst, extreme formen annehmen kann. unter bestimmten umständen, durch krisen und katastrophen, wird die masse, selbst, oder gerade, weil die leute heute ich-marionettisiert sind, intensiv aktiviert und neigt zu irrationalen reaktionen. und der mangel an identitäten, halt, sicherheiten und perspektiven führt dazu, daß menschen empfänglich werden für fundamentalistische denkweisen, verschwörungstheorien und gewaltphantasien. manche der sozial benachteiligten und gedemütigten, entfremdet gegenüber der gesellschaft, verdammen und erniedrigen dann andere an den rand gedrängte, minderheiten und außenseiter. und immer so weiter?

in der aktuellen literatur werden apokalyptische szenarien wieder häufiger. es gibt parallelen zwischen der klimakatastrophe, die klimawandel heißt, sowie wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen verwerfungen. die gesellschaften insgesamt drohen zu erodieren, verbrennen, versteppen, verwüsten und zerfallen oder werden überflutet und verseucht. eine durch katastrophen entregelte welt wäre eine welt des faustrechts, die als gegenreaktion strukturen und methoden autoritärer herrschaft stimulieren könnte. doch womöglich ist das von manchen machthabern und manipulatoren, gnostiker nannten sie archonten, genauso gewollt, die beide tendenzen, je nach gelegenheit, gegeneinander ausspielen und für sich nutzen.

die welt ist verkehrt, also verdreht. karl marx, der als analytiker illusionen zerstörte, weshalb ihn die postmoderne gesellschaft, die permanent vom illusionären lebt, nicht mag, analysierte die entfremdungen der menschen, denen die verdrehung ihrer weltbilder entspricht: »Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und ihre Verhältnisse wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebensosehr aus ihrem historischen Lebensprozeß hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände auf der Netzhaut aus ihrem unmittelbar physischen.« heute kommen bei den ideologischen wirkungen noch die der alten und neuen medien hinzu, die teils jene von familie, schule, politik und kirche ersetzen.

durch paradoxien läßt sich das verdrehtsein der verhältnisse und verhaltensweisen sowie des wahrnehmens, empfindens, denkens und handelns erkennen und beschreiben. wer annimmt, allein die füße gäben halt, und nicht der kopf, die geistige haftknolle, unterliegt womöglich einer ähnlichen täuschung wie jemand, der, seinen sinnlichen eindrücken folgend, glaubt, die sonne drehe sich um die erde, die eine scheibe sei. wenn lenz, der keine wege mehr sieht, sondern nur noch klippen und abgründe, in georg büchners »Lenz«-novelle sagt, es wär ihm »unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehen« könne, benennt er das verlangen, die verkehrung der welt ertragbar zu machen, indem er sich selbst umkehrt, damit er fortan unter entfremdeten kein fremder mehr ist. heinrich von kleist erklärte, er würde, um den druck im kopf loszuwerden, in eine vertauschung der erdachsen einwilligen. das verweist ebenfalls aufs gestörte, also realistische, raumgefühl. kurt schwitters malte und zeichnete auf der kirchturmspitze stehende kirchen. auf dem berggipfel verliert lenz seinen letzten inneren halt. aber »der Schmerz fing an, ihm das Bewußtsein wieder zu geben.«

was ist der mensch? ein wurm im holz der weltgeschichte, der sein eignes bohrloch für das universum hält. die mehrzahl der menschlichen äußerungen sind bohrlochmeinungen, also eingeengt und beschränkt. man glaubt häufig gar nicht, wie wenig menschen selber denken können und wollen. bei friedrich nietzsche heißts: »zu allen den feinen Arten, uns glücklich, dankbar, mächtig, verliebt zu stellen, wird man leicht das tierische Gleichnis finden.« und »Erst der große Schmerz, jener lange langsame Schmerz, der sich Zeit nimmt, in dem wir gleichsam wie mit grünem Holze verbrannt werden, zwingt uns Philosophen, in unsre letzte Tiefe zu steigen und alles Vertrauen, alles Gutmütige, Verschleiernde, Milde, Mittlere, wohinein wir vielleicht vordem unsre Menschlichkeit gesetzt haben, von uns tun. Ich zweifle, ob ein solcher Schmerz „verbessert“, aber ich weiß, daß er uns vertieft.«

GEFÄHRDETE DEMOKRATIE

uwe albert zitiert wolfgang schäuble mit einer auf griechenland bezogenen bemerkung von 2015: »Wir können unmöglich zulassen, dass eine Wahl etwas ändert.« die bürger spüren zunehmend, sie werden in dieser kapitalistisch technokratischen gesellschaft nicht von denen regiert, die sie wählen, sondern von unternehmen, banken, denkfabriken, stiftungen und lobbyisten, die sich keiner öffentlichen wahl stellen, wodurch politische wahlen zur folklore werden, oder zu marketingmaßnahmen.

die macht der netzwerke hat zugenommen. »Diese heute sehr machtvollen Netzwerke, auch Denkfabriken (engl. think tanks) genannt, haben den Vorteil außerhalb demokratischer Kontrolle agieren zu können.« »Die Netzwerke selbst sind nicht geheim, aber getroffene Entscheidungen und ihre Treffen bleiben der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Manche tagen im Geheimen, wie die Bilderberg-Konferenz, bei der die Teilnehmer explizit zur Verschwiegenheit gegenüber Dritten verpflichtet sind. Die Einflussnahme dieser Netzwerke auf die Politik hat teilweise einen strategisch langfristigen Charakter.«

gegner der demokratie sind womöglich auch manche, die demokratie mit ihrer eigenen macht verwechseln. andererseits können politiker, die machtverhältnisse und die art der machtausübung nicht oder wenig infrage stellen, subjektiv ehrenwerte menschen sein, die sich sogar um wirkliche probleme und konflikte der bürger kümmern, deren objektiven ursachen sie kaum erkennen und beeinflussen können. über diesen widerspruch sollte öffentlich mehr gesprochen werden.

daß das zeitalter der ideologien vorbei sei, gehörte zu den illusionen am ende des letzten jahrtausends, die, ähnlich wie die legende vom ende der geschichte, von personen und interessengruppen forciert wurden, die durchaus ideologisch denken, im sinne ihrer eigenen vorteile und vorurteile, das heißt der herrschenden westlichen, kapitalistischen, technokratischen und bürgerlichen verhältnisse. manche glauben noch immer an die mär vom guten unrecht, das für glück und wohlstand nötig sei, zum nachteil anderer.

wer sich auf vermeintlich alternativlose, also schicksalhafte, tatsachen, maßnahmen und entwicklungen beruft, wirkt, vermutlich häufig unbewußt, wie ein unanfechtbarer doktrinärer ideologischer apparat. wenn etwas allzu oft postuliert, propagiert und verteidigt werden muß, stimmt damit was nicht. und das durch stereotypen und phrasenhaften gebrauch überbenannte gerät in gefahr, entnannt zu werden, also entwertet. der begriff »Reform« wurde jahrelang derart mißbraucht, vor allem beim sozialabbau, daß die menschen reformen schließlich für etwas negatives hielten. es sollte eine warnung sein, wenn die »AfD« den begriff »Alternative« okkupieren konnte. so ist nun selbst dieses wort zum rechten vokabular geworden, während »alternativlos« die bürgerliche mitte repräsentiert. die geschichte ist aber, solange sie andauert, nie alternativlos. wer keine alternativen will, muß sich über den mißbrauch des begriffs nicht wundern. relativierung ist ein fortschritt, ebenso der zweifel an der eigenen meinung. man sollte immer möglichst viele einzelne menschen und menschengruppen, erfahrungen und blickwinkel mitdenken. denn niemand hat allein recht.

muß sich die demokratie, damit sie wieder kenntlich wird, um nicht als objekt einer entnennung zu enden, selber schöpferisch entnennen und neu benennen und so von ihren ursprüngen her erneuern? das würde jedoch entsprechende akteure und intentionen verlangen. unfreiwillig entnannte gesellschaften lassen sich bloß noch dekadent machen, damit sie von allein, also halbwegs friedlich, zerfallen. und selbst das gelingt nicht immer, zumal dann, wenn klassen, schichten und milieus viel zu verlieren haben.

sofern nicht mehr problembewußte und konstruktive menschen die fehlentwicklungen, naturzerstörung, klimakatastrophe, soziale ungleichgewichte, gewaltphänomene, analysieren sowie gegenentwürfe schaffen und umsetzen, wird sich nichts wesentliches ändern. wir brauchen ein weitsichtigeres, nachhaltigeres, ganzheitlicheres, empathischeres, solidarischeres und kooperativeres denken und handeln. und die menschen müssen wieder teilen und sparen lernen. doch freiwillig entsteht wahrscheinlich keine gerechtere weltordnung. die europäischen verhältnisse sind privilegiert und profitieren vom unrecht anderswo. wenn man erkennt, daß grundlegende veränderungen nötig sind, die aber vermutlich zu neuer gewalt führen würden, bleibt fast bloß noch eine fatalistische weltsicht. die meisten retten sich in selbsttäuschungen.

mit optimismus betrachtet, vermag auch eine ruinös gewordene politische demokratie noch hoffnungen zu wecken, wenn sich daraus eine weltweite und umfassende demokratie entwickeln ließe, ebenso wie die wahlfolklore wieder zur richtigen wahl werden könnte, sofern es tatsächliche alternativen gibt. einstweilen hat sich die systembestimmende klasse alles so eingerichtet, daß sie herrschen kann, und dabei teils wie eine kaste agiert. uwe albert setzt dagegen die ideen einer freien außerparlamentarischen linken.

MEDIEN

lyotard hatte bereits anfang der achtziger jahre eine ahnung davon, wohin die entwicklung gehen könne. »Es ist denkbar, daß die Nationalstaaten in Zukunft ebenso um ihre Beherrschung von Informationen kämpfen werden wie sie um die Beherrschung der Territorien und dann um die Verfügung und Ausbeutung der Rohstoffe und billigen Arbeitskräfte einander bekämpft haben. So findet sich ein neues Feld für industrielle und kommerzielle sowie militärische und politische Strategien eröffnet.«, kriege um die informationsherrschaft nicht ausgeschlossen.

uwe albert stellt fest: »Man sollte sich bewusst machen, dass wir heute in einer Welt leben, die durch zwei Imperien dominiert wird. Das eine sind ohne Zweifel die USA. Dies ist eine korrekte historische Einschätzung, die nichts mit Antiamerikanismus zu tun hat, denn die USA erfüllen alle klassischen Kriterien eines Imperiums. Und es gibt ein zweites Imperium, womit nicht Russland oder China gemeint ist, sondern die öffentliche Meinung. Um diese öffentliche Meinung wird fast unbemerkt ein erbitterter Medienkrieg geführt, denn diese ist existenziell für die Machteliten.«

er zitiert edward bernays aus seinem buch »Propaganda«: »Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker gebildet, unsere Ideen größtenteils von Männern suggeriert, von denen wir nie gehört haben.«, und ergänzt: »Goebbels war ein großer Bewunderer dieses Buches, weshalb Bernays sich fortan als PR-Manager bezeichnete. Alle Propaganda-Agenturen verwenden heute den Begriff Publik Relations (PR), also Öffentlichkeitsarbeit, in ihrem Firmennamen.«

in den medien der öffentlichen meinungen wird vieles ausgeblendet, das nicht zum vorherrschenden konsens paßt. albert kommentiert: »Die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, die überwiegend unser politisches und gesellschaftliches Bewusstsein prägen sollen, befinden sich im Besitz von einigen wenigen sehr reichen Personen beziehungsweise Familien.«, und: »Indem staatliche Legislativen ihre Rechtsverantwortung an Internetkonzerne abgeben, wird das Recht privatisiert.« auch das erstarken der sozialen medien führt zu einer privatisierung der information, und damit zu einseitigen meinungen. die von medienexperten der öffentlich rechtlichen sender, die teilweise ebenfalls eine parallelgesellschaft bilden, vermittelten meinungstrends sind dagegen noch vergleichsweise seriös.

viele, die medial und politisch über die erosionen der demokratie diskutieren, die teils, ohne zu verschwinden, in autoritäre formen der herrschaft und ordnung übergeht, benennen eher selten tieferliegende prozessen, die dabei ablaufen, und favorisieren statt dessen, als mitgestalter geistiger stagnation, moralische appelle, agitation, sonntagsreden und wohlfühlbekenntnisse, also oberflächeneffekte, die verpuffen müssen. der glaube an fortschritt ist oft naiv. franz kafka vermerkte, an fortschritt glauben heiße nicht glauben, daß ein fortschritt schon geschehen sei. moral wird immer dort am meisten gepredigt, wo man sie in der realität am wenigsten findet. idealismus ohne skepsis kann sich dem schwachsinn nähern und lebensferner idealismus lebensgefährlich sein.

die fernsehnachrichten wirken zunehmend rituell standardisiert, wie von apparaten verfaßt. interessant wäre zu erfahren, inwieweit redakteure und autoren von ihren abhängigkeiten wissen, oder sogar darunter leiden, was sie natürlich nicht zeigen, da dies nicht opportun wäre. manche deuten es immerhin an. wer interessen hat, kann nur bedingt frei denken, weil die interessen das denken kontrollieren und beschränken. umgekehrt hilft rhetorische kritik, die bloß verurteilt und nicht ursachen erklärt, gleichfalls kaum.

albert benennt methoden der medien einer gesteuerten demokratie: »Eine faktisch falsche Aussage muss man korrigieren, eine Meinung darf man haben. Indem man die faktisch falsche Aussage zur Meinung erklärt, muss sie nicht bewiesen werden.«, »Dabei werden Fakten aus dem eigentlichen Sinnzusammenhang herausgelöst, indem zum Beispiel verschwiegen wird, was vorher passierte (Dekontextualisierung), und so in einen neuen Sinnzusammenhang eingebettet, dass beabsichtigte positive Begleitvorstellungen entstehen (Rekontextualisierung).« »Speziell zur Unterstützung verdeckt inszenierter Systemwechsel in Staaten, die sich dem westlichen Werteverständnis nicht hinreichend genug aufgeschlossen zeigen oder gar deren hegemonialen Interessen widersetzen, agieren globale Propagandafirmen, die sich PR-Agenturen oder anders nennen. Alle illegalen Kriege der USA sind in den letzten Jahrzehnten durch derartige Organisationen propagandistisch vorbereitet oder begleitet worden.«

je komplexer und komplizierter eine gesellschaft ist, umso perfekter verbirgt sie ihre machtausübung. »Die Techniken, die dazu dienen, schwerwiegende Verletzungen moralischer Normen, bis hin zu völkerrechtswidrigen Verbrechen, für die Bevölkerung moralisch und für den Verstand unsichtbar zu machen, sind in den letzten Jahrzehnten von neoliberalen Intellektuellen dermaßen hochkomplex ausgearbeitet worden, dass sie nicht nur die Meinung, sondern ganze Weltbilder eines Großteils der Bevölkerung prägen. Moralisch unsichtbar meint, dass zwar die Fakten dazu sichtbar, aber so in einen Sinnzusammenhang eingeflochten werden, dass sie kaum eine moralische Empörung hervorrufen, wie zum Beispiel strukturelle Gewalt von EU-Politik gegenüber Entwicklungsländern. Für den Verstand unsichtbar meint, dass die Einbettung der Fakten verhindert, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Gezielte Tötungen (Target Killings) oder Drohnenmorde sind eindeutig Verbrechen, werden aber so in den „weltweiten Kampf gegen den Terror“ eingebettet, dass sie als notwendiges Übel erscheinen.« »Die Techniken werden im Wesentlichen durch die Massenmedien angewandt, die neben der Verschleierung von Fakten auch den gewünschten Interpretationszusammenhang und damit ein politisches Weltbild liefern.« »Der globale Kampf gegen den Terror ist eine der wirksamsten Techniken zur Erzeugung diffuser Angst.«

wahrscheinlich läßt sich die postmoderne wirklichkeit erst nach ihrem ende objektiv beurteilen und einordnen. und womöglich nennen dann historiker unsere verhältnisse kapitalozän, privilegierte unrechtsordnung, schönwetterdemokratie oder, sofern sie unsere überreste finden, plastikzeit, während vulgärmaterialisten, die wohl auch dann nicht ausgestorben sind, vielleicht behaupten, die destruktionen der kunst der klassischen moderne, die sich gegen überlebte konventionen richteten, seien vorlagen für die zerstörungen der realität gewesen. wir sollten der nachwelt begriffe zum nachdenken anbieten. man könnte ebenso unrechtsordnung der privilegierten sagen. privilegierte unrechtsordnung ist ambivalenter und paradoxer. und solche bezeichnungen sind meist die genaueren.

 

 

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Bäume vergessen nicht, von Uwe Albert, Edition Weberknecht, Magdeburg 2018

Toxic / Gegenwärtige Manipulationstechniken und mentale Vergiftungsmethoden, Edition Weberknecht, Magdeburg, 2019

Weiterführend Lesen Sie auch einen Essay über die Arbeit von Uwe Albert. 

Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.