Bonn, Kaiserplatz 29.7.

 

Lieber Stefan,

vom Balkon über mir winkt Pirandello. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen. War er verreist? Hatte er Sehnsucht nach dem sizilianischen Dialekt? Und nach seiner Verlobten in Agrigent, obwohl er hier in Bonn eine Verlobte hat? Er lächelt wie immer, er freut sich mich wiederzusehen. Ich winke zurück und rufe ihm zu: „Ich habe Sie vermisst, Signore, aber jetzt ist die Welt wieder in Ordnung.“ – „Sie meinen nur Ihre Welt, Signore, und selbst da übertreiben Sie.“ – „Kennen Sie meine Welt so gut“, entgegne ich. – „Ja“, sagt er, „ich kenne sie besser als Sie.“ – Ich fürchte, er hat recht.

 

 

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Pirandello-Geschichten, von Ulrich Bergmann + Selbstporträts, Damonte, Bonn 2021

Weimar ist nicht Bonn

Weiterführend →

Auch in seinem Projekt Pirandellos nutzt Ulrich Bergmann das Postkartenformat. Mit seinen „Correspondenzkarten“ verschafft er den Lesern das Vergnügen von spezieller Twitteratur. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. – Eine Einführung in Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier. Lesen Sie auf KUNO zu den Arthurgeschichten auch den Essay von Holger Benkel, sowie seinen Essay zum Zyklus Kritische Körper.