Vielfältige Stimmungsmöglichkeiten

 

Die Schauspielerin Marion Haberstroh gibt der Sprache den Wohlklang zurück. Ihr Ziel ist es, die menschliche Stimme als ein universelles Instrument zu präsentieren und dem Geschmack der Worte auf die Spur zu kommen. Sie kam von der Bühne und fand im Hörspiel ihre Bestimmung, um mit ihrer Stimme die vielfältigen Stimmungsmöglichkeiten auszuloten. Seit dieser Zeit ist sie auf dem Weg ihre eigene Stimme zu entdecken, immer weiter und weiter, soweit, das sie die Räume in sich bis zum Grunde des Meeres und fast zur Spitze des Universums mit Atem und Stimme füllen kann. Das geschriebene Wort erkennt sie in seiner Struktur der Lautfolge. Sie ertastet die Worte mit der Zunge und lauscht ihrem Klang, der Hörer ist auf alles gefasst und erweitert damit seinen inneren Horizont. Jeder Laut möchte ausgesprochen werden und durch die Verbindungen entsteht die Magie der Semantik. Sie braucht nicht zu denken sondern nur den Lauten zu folgen, voller Respekt und schon ist eine Geschichte erzählt und im Geist des Zuhörers entstehen die Bilder. In Aufnahme und Schnitt von Tonmeister Täger vermeint man etwas seltenes zu vernehmen: Ein Kunstwerk, das atmet.

Die menschliche Stimme als universelles Instrument

Man hört in der Wortspielhalle einen hochkulturaffinen Kunstwillen, der unüberhörbar in dieser Sprechpartitur steckt, aber eben auch eine Verspieltheit, die sich aus bunter Alltagskultur, aus Comics und Filmzitaten speist. Auf wundersame Weise paßt alles zusammen, rhythmisch wie atmosphärisch. Hier findet keine experimentelle Textzertrümmerung statt, diese Poesie spiegelt eine fragmentarische Gesellschaft, diese Artisten öffnen den Blick auf die Gegenwart. Nicht nur die Literatur bedarf der Befreiung durch den Sprachwitz, mehr noch der Hörer. Und manchmal steckt eine solche Subversion in einem Diminutiv, gelegentlich in einem dialektalen Wispern. Auch wenn es zwitschert und zirpt, man hört nie einen Eklektizismus heraus. Aus Fragmenten haben Weigoni und Haberstroh ein kohärentes Ganzes geschaffen, getragen von Rhythmen, die einen ganz eigenen Sog entwickeln. Alles erscheint stringent an diesem in seiner Poesie großartig schillernden Projekt.

Sexualität ist das stille Einverständnis, dass wir sterben müssen

Während sich in Unbehaust I die Frage nach dem Tod stellt, befragt Unbehaust II das Leben; das eigene und die Verantwortung für ein Werdendes. Unsere Hingabe an die Sexualität ist Hingabe an unseren Körper. Sexualität ist das stille Einverständnis, dass wir sterben müssen. Da aber gerade in diesem Moment zwei Menschen eins werden und ein neues Leben entstehen kann, fallen Leben und Tod in der Liebe zusammen.

In Unbehaust II begleitet der Komponist Frank Michaelis die Schauspielerin Marion Haberstroh auf einer Introspektion. Die klanglichen Improvisationen spiegeln die Verunsicherungen der dargestellten Figur. Es ist eine elektronische Komposition von geringer harmonischer Komplexität, die sich im Rahmen einer modalem Tonalität bewegt und Dissonanzen sparsam verwendet. Das polyrythmische Element ist repetetiv. Michaelis verwendet ein einfaches Grundmuster und variiert ständig mit leichten Variationen. Die entspricht dem Um-Sich-Kreisen der Figur.

Unter dem Stichwort Monolog (griechisch: monologos, „allein redend“, „mit sich redend“) findet sich im Nachschlagewerk folgende Anmerkung: „In der antiken Tradition gewann der Monolog vor allem mit dem Zurücktreten des Chors an Bedeutung.“ Dauert das Zurücktreten des Chors im 21. Jahrhundert noch an?

 

 

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Weiterführend →

Die Stimme von Marion Haberstroh besitzt eine lyrische Qualität, die dem reinen Wohlfühlklang, auf den andere Interpretinnen setzen, mit einer sanft vibrierenden Spannung unterlegt. Diese Qualität wird in der Wortspiehalle umso deutlicher herausgearbeitet. Indem sich die Hörspielinszenierung in ihrer luziden Schlichtheit zeitgenössischen Modespielereien verweigert, ist sie hörenswert. Ein Auszug findet sich in der Reihe MetaPhon.

Weiterführend → Ein Recap des Hungertuchpreises.