Was alles in ein Buch kommt

 

Über das Innere eines Buches, eine Fluchtidee und die Spurensuche in einem Bild, das sich selbst enthält, sich selbst enthält, sich selbst enthält und doch immer wieder ein bisschen anders zeigt.

Was alles in ein Buch kommt ist planbar. Nicht aber, was dann aus dem Buch herauskommt. Wie wird es gelesen, wie wird es verstanden? Das kann man sich vorstellen, aber nicht wissen. Meine Lektorin sagte also, während wir an einem runden Tisch besprachen, ob man denn das alles verstehen könne was da in das Buch kommen werde, vielleicht musst du zu der Transformationsgeschichte etwas sagen, vielleicht in einem Vorwort. Man könne sich das so gar nicht vorstellen, sagte sie vielleicht oder ich meine, sie in meiner Erinnerung das sagen zu hören.
Nicht dass ich an ihrer Intelligenz zweifelte, ich musste zugeben, dass die Geschichte, die meinem Buch den Titel gegeben hat, futuristisch und ja, auch gar arg unter Wasser stattfindet.

Also begann ich, das Vorwort zu schreiben und ich nahm eine Anweisung zur Hand, die ich vor zehn Jahren schon geschrieben habe. Es ist die Anweisung „wie man sich selbst als Fisch zeichnet“.

Vor zehn Jahren und auch schon als ich ein Kind war, und das ist länger als zehn Jahre her, redete man vom Klima und dass man es schützen wolle. Man redete und redete und auch in den Jahren danach redete man. Aber wie die katholische Kirche übergriffigen Priestern abgelegene Gemeinden zuwies, verwies man das Thema Klima immer wieder auf die letzten Traktandenplätze, zusätzlich auch noch dessen Wahrheitsgehalt anzweifelnd. Folgen davon sind heute noch Kinder, die schon lange keine Kinder mehr sind und nach wie vor keine Hoffnung auf Konsequenzen entwickeln können. Folgen davon sind Menschen, die ihre Orte verlassen und denen Volksparteiler und andere Menschen vorwerfen, sie würden von nun an systematisch die nördlichen Sozialsysteme aushöhlen. Dahinter stehe nämlich ein Plan. Oder der Vatikan?

Was soll ich tun? Fragte ich mich und andere. Was sollen wir tun? Ach, wen interessiert das jetzt, wenn nachher der Sport kommt? Sagten die anderen.
Ich begann, mir Fluchtwege auszudenken. Fluchtwege für meinen armen Kopf. Übrigens war auch mein Herz beteiligt an diesen verzweifelten Drehmomenten, denn ohne Körper geht Denken nicht. Da widersprechen mir nun vielleicht die Algorithmengläubigen. Sollen sie.

Mein Fluchtweg führte über alle Steine zurück in die Vor-Evolution, so es denn eine solche gegeben haben kann. Aber für die Zeit damals, die noch ohne Denkstrukturen – falls es nicht tatsächlich doch einen bewusst wirkenden Gott gegeben haben sollte, was ich hier in Gedankenstrichen nicht ausklammere, doch ebenso weit von mir wegschiebe wie siehe oben – auskamen, gab es Wesen im Wasser. Wasserwesen. Deren Naturzustand war einfach. Er war schlicht seiend. Für eine lange Zeit. Wie die Kollegen Mollusken schielten alle anderen, auch die Kollegen Schwämme wohl, gleich dumm, was nicht wertend gemeint ist, in den Himmel, Richtung Licht. Die Wasserwesen wurden mit der Zeit zu Fischen. Und nun abgekürzt: Aus den Fischen formten sich neue Wesen, neue Wesen, neue Wesen – wie ein mise en abyme, aber nur fast, denn etwas veränderte sich langsam, langsam aber sicher und der Mensch entstand und er glich bald nicht mehr einem Fisch, sondern eher schon sich selbst.

Mein Fluchtweg führte mich also zu jenem Übergang von Fischsein zu Menschsein Ich stellte mir vor, wir entwickeln uns zum Fisch zurück. Wir könnten sogar Fisch werden wollen. Oder müssen (für jene, die von außen eine Motivation brauchen). Es wird uns nützlich sein, ein Fisch zu werden oder ein anderes Tier, das im Wasser lebt. Um die steigenden Meeresspiegel weiterhin zu übersehen und über die Mauern, die Regierungen hochziehen, schwimmen zu können.

Zunächst geht es nun aber in der jetzigen Welt darum, sich das überhaupt vorzustellen. Und was ist heute weiser als ein Plan, eine Zeichnung, um eine Vorstellung sichtbar zu machen? Und so kam es, dass ich vor rund zehn Jahren eine Anweisung darüber schrieb, wie man sich selbst als Fisch zeichnet. Eine Art Transformationsübung. Aber auch eine Flucht. Eine machbare Flucht für den Kopf. Denn wer hat nicht schon daran gedacht, ein Anderer / eine Andere zu sein. Warum sollte man sich dann nicht gleich auch nützlich verwandeln? Und warum nicht in einen Fisch, groß und schön meinetwegen?
Die Anweisung wurde zwar publiziert, doch sie hat den Durchbruch bis heute nicht geschafft.

Ein paar Jahre später schrieb ich die Erzählung über die beiden sich zu im Wasser lebenden Wesen transformierenden Menschen „Bernstein und Valencia“.
Und all die Jahre zuvor und danach habe ich noch andere Erzählungen geschrieben.
Jetzt sind viele davon in dem Buch mit dem Titel der Geschichte der beiden sich Transformierenden und Vorwort und Nachwort umranken alle Geschichten wie einen Kranz. In ihn flocht ich auch jene Anweisung. Die Anweisung „wie man sich selbst als Fisch zeichnet“.

Ob ich mit meinen Erklärungen zu jener futuristischen Geschichte tatsächlich zu deren Verständnis beitragen kann, weiß ich nun nicht. Ich habe mich bemüht, deutlich zu sein. Wer will, kann üben oder den Gedanken für die nächste Generation liegenlassen. Ich werde immer wieder darauf zurückkommen.

 

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Bernstein und Valencia, Stories von Sibylle Ciarloni, Knapp Verlag 2018

Weiterführend →

Holger Benkel mit einem Rezensionsessay über dieses Buch. Für das Projekt Kollegengespräche hat A.J. Weigoni einen Austausch zwischen Schriftstellern angeregt. Auf KUNO ist diese Reihe aufgelebt, daher brachten wir den Austausch zwischen Sibylle Ciarloni und Joanna Lisiak über Weltfremdheit, Mehrwert und selbstbewusste Wörter.