Demaskierung

Sie war ein Genie, aber ein politischer Trottel.

Liam O`Leary

Es ist ein Buch der Demaskierung. Leni Riefenstahls zwiespältiger Ruhm hält bis heute an. Dieses Buch belegt das Gegenteil: Riefenstahl gelang es wie kaum einer Zweiten, stets auf der Seite der Sieger und Mächtigen zu stehen. Die Dokumentarfilmerin Nina Gladitz dreht den Satz von O`Leary um. Riefenstahl war keine Ausnahmekünstlerin, dafür aber ein politisches Genie, was sich anhand neuer Archivfunde belegen lässt, die einen Abgrund erkennen lassen, der bislang durch ihren Geniestatus verdeckt wurde. Es scheint, als habe keiner der zahllosen Biografen tiefer nachgeforscht und sich weitgehend auf die von Riefenstahl gestrickten Legenden verlassen. Das machte sie diesen Historikern auch zum Vorwurf, und die straften sie mit Nichtbeachtung. Riefenstahl war ein früher Fall von Lügen, die zur Wahrheit zu werden drohen, wenn man sie nur lange genug wiederholt. Auch für die feministische Verklärung Riefenstahls, wie sie Alice Schwarzer betrieben hat, hat Gladitz nur Verachtung übrig.

Der moralische Furor, mit dem Gladitz’ schreibt ist furios.

Bereits 1982 dokumentierte Gladitz für den WDR die Entstehungsgeschichte des Spielfilms Tiefland, mit dem Fokus auf das Schicksal der dort als Komparsen eingesetzten rund hundert Sinti und Roma.Die Filmemacherin begab sich auf den Spuren von Leni Riefenstahls Film „Tiefland“, dessen Dreharbeiten von 1940-44 andauerten und der erst 1953 fertig gestellt wurde. Riefenstahl setzte als Komparsen auch im Lager Maxglan in der Nähe von Salzburg internierte Sinti und Roma ein, die später nach Auschwitz abtransportiert wurden. Gladitz findet Zeugen, die Krieg und Konzentrationslager überlebt haben und schwere Vorwürfe gegen Riefenstahl erheben: Sie habe sie persönlich im Internierungslager ausgesucht und ohne Entlohnung für die Dreharbeiten zwangsverpflichtet. – Nach der Fernsehausstrahlung des Films im September 1982 verklagte Riefenstahl Gladitz und erreichte in einem Aufsehen erregenden Rechtsstreit, dass die Behauptung entfernt werden musste, Riefenstahl habe über Auschwitz Bescheid gewusst und den in Maxglan Internierten Hilfe versprochen, aber nie gegeben. 1987 wies das Oberlandesgericht Karlsruhe die Klage in mehreren Punkten ab, in zwei Punkten gab es der Klage statt. Der produzierende WDR, der den Film bis heute unter Verschluss hält, zeigt wenig solidarisch mit Gladitz.

Leni Riefenstahl, die in Hitlers Auftrag den offiziellen Olympiafilm drehte, brachte erstmals Unterwasserkameras und Zeitlupen zum Einsatz. Waren diese filmtechnischen Innovationen von ihr?

Während der Dreharbeiten zum Prolog der Olympia-Filme kam es zwischen Zielke und Riefenstahl zu Differenzen. Willy Zielke war Kameramann, Cutter und Second Unit-Direktor für die legendäre Einstiegssequenz des Olympia-Films (der „Prolog“). Wahrscheinlich stammen die meisten der originellen filmischen Ideen tatsächlich von Zielke, wie der Pygmalion-Effekt von der Skulptur eines olympischen Siegers der Antike zum lebendigen Körper eines modernen Olympia-Teilnehmers. Riefenstahl sorgte dafür, dass Zielke alle Rechte daran verlor und ihr alle seine Materialien dazu aushändigen musste. Kurz nachdem er das fertige Filmmaterial abgeliefert hatte, wurde er am 13. Februar 1937 entführ und in die Psychiatrie Haar verbracht. Dort wurde eine angebliche Schizophrenie diagnostiziert und Zielke zwangssterilisiert. Nach Meinung Zielkes war Riefenstahl für die Einweisung verantwortlich, er konnte es ihr aber nicht beweisen. Zudem seien in der Anstalt an ihm auch medizinische Experimente durchgeführt worden. Im August 1942, fünf Jahre nach der Zwangseinweisung, wurde „der als unheilbar geltende“ Zielke wieder freigelassen, offenbar wieder auf Betreiben von Riefenstahl, die ihn gleich wieder als Kameramann bei ihrem Film Tiefland einsetzte. Leni Riefenstahl habe sich nie bei ihm entschuldigt. Vielmehr hatte sie die fotografischen Arbeiten Willy Zielkes nach dessen Einweisung in die psychiatrische Klinik Haar an sich gebracht und fortan als eigene Arbeiten ausgegeben. Darunter das Foto eines griechischen Tempels, das Zielke im Zusammenhang mit seiner Arbeit am Prolog zum Olympia-Film machte und das bis heute auf der Website Leni Riefenstahls als deren Arbeit gezeigt wird.

Während die Massen aus aller Welt im Olympiastadion jubeln durften, errichteten die Nazis am Berliner Stadtrand  das KZ Sachsenhausen

Im Herbst 1945 wurde Zielkes Entmündigung, nach einem Antrag seinerseits, aufgehoben. In ihrem Buch vertieft Gladitz die Vorwürfe gegen Riefenstahl unter anderem wegen der Ausnutzung des Regisseurs Willy Zielke. In ihrem Buch legt sie zudem neue, belegbare Details über die Arbeitsmethoden und -strategien Leni Riefenstahls zum Schaden von 123 Menschen vor, die Riefenstahls Selbstdarstellung in einem anderen Licht zeigen. Gladitz gibt den Opfern Riefenstahls ihre Geschichte zurück.

 

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Leni Riefenstahl: Karriere einer Täterin, von Nina Gladitz, Orell Füssli 2020

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KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Daher sei sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso eindrücklich empfohlen wie Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Ebenso verwiesen sei auf Trash-Lyrik.