Flickenteppich ∙ Blicke auf Brinkmann :

Weiter und weiter machen in einer gu­ten Gegen­wart

Die Musik kann im selben Maße wie die Literatur erschüttern, eine gefühlsmäßige Umkehr, Traurigkeit oder ab­so­lute Ekstase bewirken; die Malerei kann im selben Maße wie die Literatur verzücken, einen neuen Blick auf die Welt eröffnen. Aber allein die Literatur vermittelt uns das Gefühl von Verbundenheit mit einem ande­ren menschlichen Geist, mit allem, was dieser Geist ausmacht, mit seinen Schwächen und seiner Größe, seinen Gren­zen, seinen Engstirnigkeiten, seinen fixen Ideen, seinen Überzeugungen; mit al­lem, was ihn be­rührt, interes­siert, erregt oder abstößt. Allein die Literatur erlaubt uns, mit dem Geist ei­nes Toten in Verbin­dung zu tre­ten, auf direkte, umfassendere und tiefere Weise, als das selbst in einem Ge­spräch mit einem Freund mög­lich wäre – denn so tief und dauerhaft eine Freundschaft sein mag, nie­mals liefert man sich in ei­nem Ge­spräch so rest­los aus, wie man sich einem leeren Blatt ausliefert, das sich an einen unbekannten Emp­fänger rich­tet.

Michel Houellebecq ∙ Unterwerfung

»War das einmal meine Sprache? Das ist noch nie meine Spra­che gewesen! Die Sprache hat im­mer anderen gehört.«

Am 23. April 2020 jährt sich zum 45. Mal der Tag, an dem Rolf Die­ter Brink­mann, der am 16. April 2020 80 Jahre alt geworden wäre, in London von einer Limousine erfaßt und auf der Stelle getötet wird. Jürgen Theobaldy und Brinkmann sind – wenn ich das, was ich über den Unfallhergang erfahren habe, recht erinnere – auf dem Weg zu einem Restau­rant, um eine Abendmahlzeit einzuneh­men. Gegen 22 Uhr befin­den sich die beiden Autoren, die Richard Burns zum ersten internationa­len Cambridge Poetry Festival eingela­den hat (mit Lesungen am 19. und 20. April 1975), auf der Westbourne Grove im Londoner Stadtteil Bayswa­ter, als Brink­mann auf der anderen Straßenseite das Pub The Shake­speare (mit der Hausnummer 65 …) sieht und spontan die Straße betritt, offen­bar ohne auf den unmittelbar von links kommenden Verkehr zu ach­ten. So endet auf abrupte, gewalt­same, plötzli­che Weise das kurze, lange, schwere Leben jenes aufbegehrenden, beherzten, bild­wortbe­ses­se­nen, empfind­sam­en, exzentrischen, fanatischen, freimütigen, innovati­ven, klugen, origi­nellen, polarisie­renden, streitba­ren, suchenden, vitalen, widersprüchlichen, zornig­en Schriftstellers der 1960er und 70er Jahre, deren herr­lich abenteuerli­cher, zügellos wilder (in den bei­den Jahrzehnten sehr unter­schiedlich ausge­lebter und zuneh­mend desillusionierter) Frei­heits­drang – Help! – längst legendär und aus Sicht man­cher Zeitge­nos­sen nach 2000 vielleicht schwer bloß zu grei­fen, nachzuvollziehen ist.

»Ist das nicht Leidenschaft, ein Dach blau anzustreichen und darunter zu woh­nen?«

In der Woche nach dem Tod, also Ende April 1975, erscheint bei Ro­wohlt die von 360 auf knapp 200 Sei­ten geschrumpfte, von Brink­mann (widerwillig) autori­sierte Aus­gabe des aufsehenerregenden Gedicht­buchs Westwärts 1 & 2, für das ihm posthum der erste Pe­trarca-Preis verliehen wird. Das Buch wird zum großen Erfolg: Exem­plare von Westwärts 1 & 2 wer­den in fünfstelliger Auflagenhöhe unter die Leser ge­bracht. In den Jahren danach läßt das Interesse am literari­schen Werk dieses wunder­bar unange­paß­ten Men­schen zu­nächst vielleicht eine kurze Zeit lang nach, um seit Mitte der 80er Jah­re bis heute wieder kontinuierlich und kräftig zu steigen. –

Brinkmann ist ein Mensch, der sich, in einer Welt schwirrsinnigen Gedankenterrors lebend, zeitlebens nach friedli­chen, klaren, langsamen, sanf­ten, stillen, weichen, zärtlichen Momenten sehnt, die­sen winzigen Stückchen mehr an Frei­heit, die sich, ›augenblicks­weise‹ immerhin, in den zu seinem Glück oft langanhal­ten­den Schreibmo­men­ten als ›Anwe­sen­heit‹ unmittelbarer ›Gegen­wart‹ offenbaren, die für ihn, der auch ge­gen er­bärmliches ›Esta­blishment‹, be­queme ›Bürgerlich­keit‹, jede Form von ›Enge‹ an­schrei(b)t, erst ›Leben‹ bedeuten, Le­ben, das, jenseits von ›Sinn‹ und ›Unsinn‹, ganz einfach : ›ist‹ –. Es gilt einfach, / viele gute Augenblicke zu erwi­schen.

Der am 16. April 1940 (während deutsche Soldaten Dänemark, Norwegen besetzen) in der norddeut­schen Kleinstadt Vechta geborene Rolf Die­ter Brink­mann macht’s sich und Zeitge­nossen nie leicht, auch die Mehr­zahl der Zeitgenos­sen hat’s ihm eher selten leichtge­macht. (Man hat sich also gefunden.) Das Leben an sich, wir hören’s immer wieder, ist nun auch nicht eben leicht. Und: Es ist, nolens vo­lens, für jeden Men­schen stets E∙x∙p∙e∙r∙i­∙m∙e∙n∙t. Keiner weiß, ob er beim nächsten Schritt stolpert, fällt oder ob’s ganz einfach weiter­geht: Literatur geht dort weiter, wo Widersprüche auftreten. Brink­mann nimmt diese Erkennt­nis voll, ganz an: Er ›macht‹ die aufs Umfeld immer wie­der provozie­rend wir­kenden ›Experi­mente‹ zum Lebens­prin­zip, dabei immer wieder den unerfüllt gebliebenen Wunsch äußernd:Ich möchte weiter und weiter ma­chen in einer gu­ten Gegen­wart.

Manch Unver­öffent­lichtes harrt der Publikation. 2005 erschei­nen drei Editio­nen – der umfang­reiche Nach­laß der Tonbän­der und Lesun­gen sowie die vollstän­dige Ausgab von Westwärts 1 & 2. Brink­manns Zorn, der Film über die letzten fünf Le­bensjahre Brink­manns, kommt 2006 in die Kinos, 2010 kommt Vorstel­lung meiner Hände (das Buch mit den frühen Gedich­ten) heraus, 2011 gibt Mark Terrill in der Parlor Press in Anderson (South Carolina) den Sammelband An Unchanging Blue. Selected poems 1962 – 1975 her­aus. –

»Das blaue Futur wurde in die Maschine gegeben.«

Eines Tages frage ich in einer blauen Stunde fröhlich in die Runde, welche drei Lyriker wir vier als Reprä­sentan­ten des deut­schen Sprachraums während der er­sten Hälfte des 20. Jahrhun­derts (bis etwa 1960), welche wir für die zweite Hälfte ›nominieren‹ würden. Ergeb­nis des Votums, an dem sich Kraus, Mrs Co­lumbo und Peer Quer zunächst zögerlich, dann begeistert beteiligen (Bensch liegt erkältet im Bett): Ber­tolt Brecht, Gottfried Benn, Paul Ce­lan für die erste, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Rolf Dieter Brink­mann für die zweite Hälfte. Unweigerlich flie­gen uns weitere Namen zu, die wir gern als Teil der Klee­blätter sähen: Rainer Maria Rilke, Ge­org Trakl, Hans Magnus Enzensber­ger, Oskar Pastior, Jürgen Becker, Thomas Kling. Ein amüsantes Ge­danken­spiel. Immerhin bekom­men wir Unterstützung von vielen Seiten: Allusio­n, Echo, Nach­klang, Pastiche, Pla­giat, Wort, Zitat der benann­ten ersten sechs Auto­ren scheinen am häufigsten, in welcher Form auch im­mer, in Gedich­ten auch nach 2000 auf; Eichen­dorff, Hölderlin, Goe­the sind eben­falls mächtig prä­sent. (Und weiter­hin schwebt das blaue Band, das blaue Südwort durch die Verse, er­gänzt Peer Quer, worauf wir ihn umgehend zur blauen Emi­nenz des grauen Planeten ernen­nen.)

»Man muß vergessen, daß es so etwas wie Kunst gibt! Und einfach anfangen.«

Der 23. April ist ›Welttag des Buches‹: Die Geburtstage von Miguel de Cervan­tes und William Shake­speare (der ausgerech­net am vermute­ten Tag der Geburt stirbt) geben den Anlaß. Daß Brink­manns Todes­tag ein 23. April ist, wirkt auf mich insofern wie ein Schicksals­wink, als ich ›Welttage‹ aller Art für ziemlich überflüssig halte – in dieser besonderen Verbindung allerdings für nichts weniger als attraktiv. Verges­sen wir in die­sem Zusammenhang nicht, wo Brink­mann sich befindet, als das Unglück geschieht: gegenüber dem Pub The Shake­speare in Lon­don – der weltoffenen Metropole, in die es ihn seit 1965 immer wieder zieht, um die Freiheit, die er meint, zu erleben, und sich, fürs Überle­ben im verhaßten Köln, mit druckfrischen amerikani­schen Gedicht­bü­chern der ›Beat‹-, ›Pop‹-Generation und neuen Lang­spielplat­ten zu versorgen. Ich hätte gern viele Gedichte so einfach geschrieben wie Songs,betont Brinkmann, aktuelle Lied­texte tropfen sinnreich in Gedichte, in deren Titeln ausdrück­lich Wörter wie Lied oder Song auftau­chen. Die Tren­nung von Dichtung und Musik spiegelte sich erst­mals in der Druckseite wi­der, unter­streicht Mars­hall McLu­han. Brink­mann holt die Musik zurück ins Gedicht, Roll rüber, Beethoven! Im unkontrollier­ten Nach­wort lese ich: Viel­leicht ist es mir gelungen, die Gedichte einfach zu machen, wie Songs, wie eine Tür aufzumachen, aus der Sprache und den Festlegungen raus.

Die zuletzt publi­zierten Editionen offen­baren erneut eindrucksvoll die innovativen ›Kunst­stücke‹ von der Hand des materiell verarm­ten literarischen Schwerst­arbeiters Brinkmann, der sich, restlos angewi­dert von Köln, vom Litera­turbetrieb, von der Welt, ab 1970, wieder ein Sonntag in Deutsch­land, der absolut albtraum­haft ist, ich trete aus dem Haus & trete zuerst in Hundescheiße, nachdem er sich – bis auf Henning John von Frey­end, dem er 1973 schreibt: Dränge danach, jeden Gedan­ken, jede Erfahrung, jeden körperli­chen Zustand in den vergange­nen drei Jahren aufzuschrei­ben. Das nenne ich meinen Roman. Ich muß unbe­dingt aus mei­nen Erfahrungen ein Ge­setz herausfin­den – mit Bekann­ten, Freunden überwirft, konsequent in die Schreib­zimmer­welt zurück­zieht, ich habe mich ans Leben im entlegenen Versteck gewöhnt (Han Shan), unterbrochen bloß von den unbedingt zum Materialsammelprogramm gehörenden (oft nächtlichen) Gängen durch die dreckigen, düsteren großstädti­schen Seitenstraßen, sich, intensiver ver­mutlich als jeder Zeitgenosse, radikal dem ›Ei­gentli­chen‹, dem gro­ßen Roman, wid­mend.

»In Rom dachte ich an London. In London dachte ich an Rom. Als ich in Köln war, dachte ich an Am­sterdam.«

Ich denke fünfzehn Jahre zurück – an jenen Freitag, den 8. April 2005: ein Tag, den die Menschheit so schnell nicht vergißt. Die Beiset­zung des verstorbenen polnischen Papstes gerät zum ›ungeheu­ren‹ Medienspekta­kel. (Oder hat sie ihn schon vergessen? Wahrscheinlich ja. – Da fällt mir ein: Am 11. Sep­tember 2001 treffe ich erstmals Jan Röhnert, wir flanie­ren, lyrikvoll und ahnungslos, durch die Seitenstra­ßen Kölns, heften uns an die Verse Brinkmanns, stehen vor dem Haus Nummer 65 in der Engel­bertstraße, wo er mit Frau Maleen und Sohn Robert lebte, erfahren erst abends, was in jener anderen Welt so los ist – es ist ja immer etwas los …) Just an jenem Apriltag jedenfalls, und deshalb vergesse ich ihn nicht, kommt mit der Post – nach zwei Wochen langen Wartens – die erwei­terte Neuausgabe von Westwärts 1 & 2. Ausge­packt, geschaut, ge­blättert, hier Bilder betrach­tet, dort Verse gelesen.

Ich kann ansatzweise bloß beschreiben, was es für mich bedeutet, dieses Buch endlich vollständig in Hän­den zu halten (minutenlang blick ich einfach bloß aufs Titelblatt), benenne drum zunächst bloß äu­ßere Aspekte. Ist das Buch bis­lang 19 mal 12,5 Zentimeter klein, so ist Westwärts 1 & 2 nun 23 mal 15,5 Zenti­meter groß und weist damit den für die oft exorbitant angelegten Gedichte angemessenen Umfang auf, der zudem eine Schrittgröße zuläßt, die natürlich der zum Teil ameisen­haft winzi­gen der Ausgab von 1975 bei weitem vorzuziehen ist. Das Buch hat nun das Format, das ihm aufgrund seiner fulminant entgren­zen­den Gesamtgestaltstruktur zu­steht.

Und nun lese und lese und lese ich wieder, lasse mich umrauschen, du denkst an frische Äpfel / im August, vom Sound magisch aufgeladener Wörter, in denen Klang und Sinn, wie von selber, miteinander plauschen, Ohren, die die Welt belauschen, Au­gen, die mit mir Blicke tauschen: Ei­nen je­ner klassi­schen // schwarzen Tan­gos in Köln, Ende des / Mo­nats August, da der Som­mer schon / ganz verstaubt ist, kurz nach Laden / Schluß aus der offenen Tür einer / dunklen Wirtschaft, die einem / Grie­chen ge­hört, hören, ist beinahe / ein Wunder: für einen Mo­ment eine / Überra­schung, für einen Moment / eine Pause in dieser Straße, / die niemand liebt und atemlos / macht, beim Hin­durchge­hen. Ich / schrieb das schnell auf, bevor / der Moment in der verfluch­ten / dunsti­gen Abgestor­ben­heit Kölns / wie­der erlosch.

»Ich schleppte meinen Koffer zu der Haltestelle. Jen­seits der Betonflächen mit Spuren dün­nen Lichts begann der Nachmit­tag, westwärts.«

Bis heute hab ich das in alle vom Autor denkfühlganggreiferlebbaren Richtungen ›aufbrechende‹, makrokos­misch vielschichtige Vermächt­nis Westwärts 1 & 2 drei weitere, einzelne Gedichte un­zäh­lige Mal wiedergelesen; in der zweiten Februarwoche 2015 ist’s wieder soweit, ich erlebe erneut, wie dieser (einschließ­lich des visuellen Rahmens, auf dessen das ganze Buch durchwirkende Natur/Kultur-Dichoto­mie Roberto Di Bella eindrücklich hinweist) glasklar struktu­rierte tumultuarische Taumel, von aufwühlen­dem zu ruhespendendem zu beschwingtem zu rasen­dem Gedicht zu einer (anti-)poetischen Gestalt mit Ecken und Kanten geformt wird, die das faustische, sich aus der zuchthauszelleneng erlebten Gegenwart hin aufs die unverhoffte Weite von Wort­BildWelt bewegende, erinnernde, erlebende, träu­mende, schrei­bende Individuum in einem Bewußt­seinsfilm zerspiegelt, in dem suchend neugestaltet wird, was, wer weiß, wer weiß, die Welt im Innersten zusam­menhält. Die Wucht, mit der die vertrauten Wörter auf mich einschla­gen, als wäre es das erste Mal, daß ich sie lese, macht mich wieder dermaßen brinkmannhung­rig, daß ich alle Bücher auf einen Schlag wiederlesen will: Her mit Vanille, her mit Eiswasser an der Guade­lupe Str., her mit Rom, Blicke (mit Paul Auster, Thomas, Bern­hard, Friederike Mayröcker – und, ich räume es freimütig ein, manchen, nein, vielen anderen, Joseph Roth, Gottfried Keller, Virginia Woolf, Hans Henny Jahnn …, geht’s mir ge­nauso, seit ich 1959 zu lesen beginne, als ich noch gar nicht lesen kann).

Wie in allen Büchern Brinkmanns vermittelt es sich auch in Westwärts 1 & 2 : Schreiben ist Handwerk plus ei­gener Sumpf, das eine ohne das andere ist nichts, lese ich bei Bodo Kirchhoff und denke: Aber wehe, die beiden Kräfte kommen beim Richtigen zusam­men, dann bin ich als Leser nicht – mehr – zu – r/e/t/t/e/n. Am 9. und 10. Februar 2015 tue ich also nichts an­deres als am 9. und 10. April 2005: Weitestgehend dar­auf ver­zichtend, körperliche Nah­rung aufzuneh­men, verleibe ich mir erneut dieses weltumspannende, weltschöp­fende, weltverwan­delnde Buch ein.

» Es ist ein subjekti­ves Buch, ohne Rück­sicht auf die herrschen­den Konventio­nen «

Die am 23. April 2005 veröffent­lichte vollstän­dige Aus­gabe des Wörtervul­kans Westwärts 1 & 2 ist mehr als ›bloß‹ Gedicht­buch: Es ist ein subjekti­ves Buch, ohne Rück­sicht auf die herrschen­den Konventio­nen, und kann ebenso gut als ein zusammen­hängendes Prosabuch, Gedichtbuch wie Essaybuch gelesen wer­den, wie Brink­mann den poetisch-narrati­ven Charakter von Westwärts um­schreibt, auf dessen zugleich epische Struk­tur Roberto Di Bella voll­kommen zurecht vehement ver­weist. Und: ›Bilderbuch‹ möchte ich hinzufü­gen, denn da sind auch noch die zahlreichen zum Dialog auffordernden Photos bzw. Photo­mon­tagen als wesentli­che Be­stand­teile des Gan­zen ›wahrzu­neh­men‹. 25 der 26 wieder eingefüg­ten Gedichte sind bis dahin nicht veröffent­licht, vom ­nahezu 90seitigen Nachwort mit über ab­satzlo­se Seiten mäandernden Rei­hun­gen erscheint ledig­lich ein kurzer Auszug im Literaturma­gazin 5/1976. – – – Nach dem Lesen setzt sich eine Grille im Kopf fest, die so heftig zirpt, daß die vier Freunde es nicht überhören können: Dieses ›ursprüngliche‹ Gedichtbuch West­wärts 1 & 2 ge­hört zu meinem Top Dutzend deutsch­sprachi­ger Gedichtbü­cher aller Zeiten.

Es tut der gewal­tigen (Sog-)Wirkung dieses von einem wortbild­besessenen Erneuerer – in Köln, in Rom und Ole­vano sowie in Austin/Texas – reflektiert unkon­trolliert geschriebenen Buchs keinerlei Ab­bruch, wenn Kraus unmittelbar an­merkt, daß eine Handvoll der 26 wiedereingefügten Gedichte nicht durchgän­gig die Dyna­mik habe, für die Brinkmann, bei aller sehr be­wuß­t themati­sierten, programmatischen Alltäglich­keit und Banalität – Man muß Gedichte aus ihrem Begriff ›Gedichte‹ befreien, um zu einem Gedicht zu kom­men – doch so zuverläs­sig garan­tiere, schließlich habe der Autor sie 1975 selbst (wenn auch widerstrebend) aus dem Manu­skript genommen. Muß denn jedes Gedicht dynamisch sein? mault Bensch, und wie so oft trifft er mit der simplen Frage den Nagel auf den Kopf, worauf Kraus bloß noch meint, er meine ja bloß, und schon kann’s weitergehen: Denn Schattenmorellen ins Spiel zu bringen brennt mir jetzt einfach auf die Nä­gel. Schattenmorellen ist eins der 26 ›neuen‹ Gedich­ten in Westwärts 1 & 2, 1990 in dem zum 50. Geburts­tag herausgegebenen Kata­log des Bremer Antiquariats Seinsoth abge­druckt, und es ist ein Gedicht, das wir drei einfach bloß herr­lich beglüc­kend finden:

 

Schat­ten­mo­rel­len


ent­zück­ten mich, als ich heu­te
durch die graue, nas­se Stra­ße
ging, un­ter den vie­len Ge­sich­tern

frisch und klar, mehr als das
Pro­blem des Un­end­li­chen
kurz vor halb sie­ben,

La­den­schluß. Ich sag­te, »Frie­de!«
und ging in den La­den, kauf­te
an­dert­halb Pfund Schat­ten­mo­rel­len.

Die Un­end­lich­keit ist teu­rer,
160 Sei­ten, 10,80 DM,
Ori­gi­nal­aus­ga­be, und nicht

halb so gut. Ich ge­he über
ei­ne Brü­cke und spu­cke
ei­nen Schat­ten­mo­rel­len­kern

aus, was ge­nau wie Frie­den ist.
Es gibt Schat­ten­ver­fah­ren, Schat­ten
Vö­gel, Schat­ten­wick­ler, Schat­ten­spie­le

und Schat­ten­bo­xen, es gibt Schat­ten
Pro­be und Schat­ten­ris­se, es gibt
Schat­ten­pflan­zen, Schwach­licht

Pflan­zen, Schat­ten­re­gie­run­gen
und Schat­ten­lit­ze, es gibt
Schat­ten­ge­we­be und Schat­ten

In­dus­trie, Schat­ten­ka­bi­net­te
und ge­mei­ne Schat­ten, den
dunk­len Raum hin­ter ei­nem

be­leuch­te­ten, un­durch­sich­ti­gen
Kör­per, es gibt das Schat­ten­bild
von Gö­the und Fritz von Stein

und die Schat­ten­mo­rel­len in
der Pa­pier­tü­te, es gibt Ha­re
Krish­na und Kern­spal­tung.

Das war der Mo­ment, als
die Stra­ße auf­hör­te. Ich
sah auf die Schat­ten­mo­rel­len

in der Hand. Der Frie­de
ist so ein­fach wie das Ent­zü­cken
und Schat­ten­mo­rel­len.

 

»Man muß Gedichte aus ihrem Begriff ›Gedichte‹ befreien, um zu einem Gedicht zu kommen«

Westwärts 1 & 2 ist ein anarchisch brennender, monumen­taler, überschäumen­der, ineinander verzahnter, literari­sche Genres verschmelzender (anti-)poeti­scher Kos­mos, hirnflora und herzfauna (aus einem Gedicht von Henryk Gericke), manchmal ein wüster, alltäglicher Albtraum mit Sonnenblumen und toten Tieren und Gärten, klar und kühl, der mich mit aggressi­v zwi­schen ver­schieden­sten (imex­plodierenden) ›Realitäts‹- und Traum­wel­ten hin- und herspringenden, ätzend, blau, brutal, dynamisch, frivol, humorig, ›hymnisch‹, kämpferi­sch, liedhaf­t, obszön, sensiblen, still, weich, zärtli­ch tönenden, an Oberfläche orientierten, offenporig, doppelbö­dig gebauten, im­mer wieder mehrspaltig gesetzten, sich über etliche Seiten hinziehen­den, simul­tan auf mich einstür­zende, unent­wegt über­fluten­de wahn­hafte Sinnes­eindrücke auch visuell sichtbar ma­chenden Gedichten, agilen Anaphern, bildhafter Ballade, idiosynkratischen Infrage­stel­lungen, katachresi­schen Katalogen, leiden­schaftli­chen Lita­neien, lichtvoll-luftigen Leerzei­len, momentanen Fantasien, narra­tiven Notaten, parodi­stisch-persi­flierenden (Paral­lel-)Passagen, ›phantastischen‹ Photo­monta­gen, rasanten raumgrei­fenden Reihun­gen, sinn­li­chen Snapshots, seriel­len Sequenzen, zynischen Zerrbildern, Fenster-, Türen-, Wolken-Versen, filmar­tig geschnittenen kaskadi­schen Wort-, Gedan­kenergüssen voll von Farben, Geräu­schen, Gerü­chen, Empfin­dungen, unerhört tempera­ment­vol­len Berg­TalFahr­ten des nicht enden wollen­den un­kontrol­lier­ten Nach­worts in einen Lese­rausch voller ›befreiender‹ Überra­schungsmomente ver­setzt, in dem ich, im wortwäh­renden Nahkampf mit den Bildern, die ich (mir) von jenem schreibenden Indivi­duum mache, in einem Moment bei mir, im andren außer mir bin. Brink­mann macht ›notgedrungen‹ wei­ter, wei­ter, jede desillusionierende Erfahrung stachelt ihn offenbar weiter an: Ein Gedicht (lakonisches ›Log­buch‹) öffnet die Tür zum nächsten näch­sten näch­sten Gedicht, in dem es weiterweiterweitergeht – bis es auf einmal ›einfach‹ auf­hört – denn

»nach einem Gedicht beginnt das Niemandsland « :

Hier steht ein Gedicht ohne einen Helden. / In diesem Gedicht gibts keine Bäume. / Kein Zimmer zum Hineingehen und Schlafen / ist hier in dem Ge­dicht. / Keine Farbe kannst du in diesem // Gedicht hier sehen. Keine Gefühle sind / in dem Gedicht. Nichts ist in diesem Gedicht / hier zum Anfassen. Es gibt keine Gerüche hier in / diesem Gedicht. Keiner braucht über einen Zaun // oder über eine Mauer in diesem Gedicht zu klettern. / Es gibt in die­sem Gedicht hier nichts zu fühlen. / Das Gedicht hier kannst du nicht überziehen. / Es ist nicht aus Gummi. Kein weißer Schatten // ist in dem Gedicht hier. Kein Mensch kommt / hier in diesem Gedicht von einer Reise zurück. / Kein Mensch kommt in diesem Ge­dicht hier atemlos / die Treppe herauf. Das Gedicht hier macht keine // Verspre­chungen. In dem Gedicht stirbt auch kei­ner. / In diesem Gedicht spürst du keinen Hauch. Es gibt / keinen Laut der Freude in dem Gedicht hier. Kein / Mensch ist in dem Gedicht hier verzweifelt. Hier // in dem Gedicht ist es ganz still. Niemand / klagt in diesem Gedicht. Niemand re­det hier / in dem Gedicht. Hier in diesem Gedicht schlagen / sich auch keine Arbei­ter wund. Das Gedicht hier // steht einfach nur hier. Es enthält keine Schlüssel / zum Auf­schließen von Türen. Es gibt keine Türen / in die­sem Gedicht. Das Gedicht hier ist ohne / Musik. Es singt keiner in diesem Gedicht, und // keiner macht hier in diesem Gedicht jemanden / nach. Keiner schreit hier in dem Ge­dicht, flucht, / fickt, ißt und nimmt ein Rauschmittel. Es gibt in / diesem Ge­dicht keine bombasti­sche Ausstattung // für dich. Das Gedicht hier geht nicht, liegt nicht, / schläft nicht, es kennt keinen Tag, es kennt keine / Nacht. Du brauchst hier in diesem Gedicht keine / Rechnungen zu bezahlen. Es gibt keinen Hausbesitzer // in dem Gedicht hier, der die Miete erhöht. Es gibt / keine Firmen in diesem Gedicht. Es gibt in dem / Gedicht keinen Staat Kalifor­nien. Es gibt kein / Oregano in dem Gedicht. In diesem Gedicht gibt’s // kein Meer. Du kannst in dem Gedicht hier nicht / schwimmen. Das Gedicht, das hier steht, enthält keine / Wärme, das Gedicht enthält keine Kälte. Das Gedicht / hier ist nicht schwarz, es hat keine Fenster und // kennt keine Angst. Das Gedicht hier zit­tert / nicht. Das Gedicht hier ist ohne Spiegel. In diesem / Gedicht gibts auch kein Spiegelei. Einen Supermarkt / gibt es hier in diesem Gedicht nicht. Das Gedicht, // das du hier liest, hat keine Titten und keine Fotze, / das Ge­dicht hier ist völlig körperlos. Keiner stöhnt / hier in dem Gedicht. Das Gedicht blutet nicht, es / verschweigt nichts, das Ge­dicht hat keine Regel, // das Gedicht ist kein Zitat, für keinen. Hier in / diesem Gedicht findet niemand einen Pfennig, / und hier in diesem Gedicht fährt kein Mensch mit / einem Auto. Keine Reifen quietschen um die Ecke. // In diesem Gedicht lutscht niemand zärtlich an / einem Schwanz. Es gibt hier in dem Gedicht keine / Lampen. Das Gedicht ist kein gelber Schal. Das / Gedicht, auf das du hier schaust, hustet nicht. // Hier in dem Gedicht kannst du nicht küssen. / Hier in diesem Gedicht wird auch nicht gepißt. Du / kannst mit diesem Gedicht nichts anfangen. Das / Gedicht be­steht aus lauter Verneinungen. Die // Verneinungen in diesem Gedicht wer­den immer mehr. / Hier gibts keinen Kiff in dem Gedicht. In diesem / Gedicht lacht kein Mensch. Das Gedicht kennt keine / Arbeit. Niemand sieht in diesem Ge­dicht Fernsehen. // Das Gedicht trägt keine Uhr. Das Gedicht ist nicht / zeitlos. Es braucht soviel Zeit, wie du brauchst, / um das Gedicht hier zu lesen. Kein Wasser­hahn / tropft in dem Gedicht hier, und keiner verlangt //in dem Gedicht hier nach Zigaretten. Hier das / Gedicht gibt kein Trink­geld. Keine Toilette ist / hier in dem Gedicht. Es gibt keine Stadt in diesem / Gedicht. Hier in dem Ge­dicht wäscht keiner sich die // Füße. In die Schule zu gehen, ist hier in dem Gedicht / nicht nötig. In dem Gedicht leckt auch keiner eine / Möse. Dein Geschlechtsteil richtet sich hier in / dem Gedicht nicht auf. Du kannst hier in dem Gedicht // dich nicht hinsetzen und denken. Das Gedicht hier / ist nicht der Staat. Es ist nicht die Gesellschaft. / Es ist kein Flipperautomat. Das Gedicht hier hat / keinen Hund. Mit diesem Gedicht kann sich keiner / identifi­zieren. Keine Polizi­sten fahren in diesem / Gedicht herum und suchen nach einem Bruch. Eine Kuh / liegt hier in diesem Gedicht nicht. Das Gedicht hier / ist nicht gedankenlos. Das Gedicht hier ist nicht // gedankenvoll. In dem Gedicht er­scheint auch kein / Sommertag. Es ist niemals Dienstag in diesem Gedicht, / es gibt keinen Mittwoch in diesem Gedicht, es herrscht / nicht Freitag in diesem Gedicht und kein Donnerstag // fehlt in dem Gedicht hier. Es ist nicht Montag, / Samstag und Sonntag in hier dem Gedicht. Das Gedicht / hier ist nicht die Vernei­nung von Mon­tag oder / Donnerstag. Das Gedicht hört hier einfach auf.

»Ein Lied zu singen / mit nichts als der Absicht, / ein Lied zu singen«

Westwärts 1 & 2 ist das Gedichtbuch nach 2000. (Wobei ich auf May­röckers dieses Jäckchen (nämlich) des Vo­gel Greif ebensowe­nig verzichten will wie auf Pastiors durch – und zurück, Böhmers Kaddish, Walter Hel­mut Fritz’ Gedichte ∙ Prosagedichte, Tho­mas Klings Gesammelte Gedichte,Jürgen Beckers Weiteres hierzu vermit­telt das in poet 18 abgedruckte Gespräch, das ich im Herbst 2015 mit Hans Bender zum Thema Lesen geführt habe.) Aber jetzt geht es um nichts als Brink­manns West­wärts 1 & 2, und ich halte fest: Mancher Weg mag nach Rom führen (oder sonst wohin), an Westwärts 1 & 2 führt kein Weg vorbei. Wer im Lyrikdiskurs mitredet, ohne die­ses Gedichtbuch zu lesen, der soll halt weiter mitreden. Geredet wird ja viel, wie man gelegent­lich hört. Ich kann da nicht mitreden. Bist du nicht alt genug zu schweigen? (heißt es in Joseph Roths Roman Hiob …)

Im Sommer 2005 erscheint in der von Karl-Friedrich Hacker in Itze­hoe betriebenen edition bauwa­gen ein weiterer handgeschriebener Sammel­band mit origi­nalen Hand­schriften. Das sechste Künstlerbuch der Reihe trägt den Titel In ein anderes Blau – ich habe es im Gedenken an Brink­mann ediert. Das Gedicht aus West­wärts 1 & 2 mit den legendä­ren Schlußversen Ich gehe in ein / anderes Blau schwebt durch das Buch in dieser, jener künstlerisch, literarisch anverwandelten Form. So hat Hacker es in Kunst umge­wandelt, Ingrid van Biesen zum Teil ins Gedicht montiert. So kommt Gedicht zu Gedicht und doku­mentiert die Lebendigkeit, mit der Brink­manns Wörter sich weiterhin in den Köpfen von Autoren, Künstlern, Litera­turwissenschaftlern (ganz zu schweigen von der großen Mehrheit anonymer Leser) tummeln, wovon nicht bloß der Namenkata­log weiter unten beredt Zeug­nis abliefert.

»… das wild gefleckte Panorama eines anderen Traums«

Jedermann kann sich leicht errechnen, was alles auf diesen wenigen Schreibmaschinenenseiten unterschlagen werden muß. Das Ganze ist sozusagen eine einzige Lüge des Verschweigens, die nur darum für Wahrheit genommen werden darf, weil es Vollständigkeit im Beschreiben nicht geben kann. Auch die Wissenschaft treibt es nicht anders. Den Worten Hans Henny Jahnns von 1932 habe ich im Zusammenhang dieses ›Flickenteppichs‹ nichts hinzuzufügen. Im Fall von Roberto Di Bellas im Januar 2015 erschienener Monographie »… das wild ge­fleckte Panorama eines ande­ren Traums« ∙ Rolf Dieter Brinkmanns spätes Roman­projekt ist das allerdings ›ein wenig‹ anders … 671 groß­formatige Seiten, die in die Tiefe durch doppelte Böden bohren, die nach oben in ein / anderes Blau aufstei­gen, die nach links – von den Vorort / Straßen bis in die Innenstadt gehen und nach rechts, wo die Ka­daver toter Fliegen am Fensterglas kleben, Ausschau halten. Dieses gleichsam ›nichts verschweigende‹ Buch ist eine von stupendem Kenntnisreichtum, von feinsinniger Interpre­tationskunst getragene ›Revision‹ von Brinkmanns verändertem Umgang mit dem Material der Pop(ulär)-Kultur nach 1970, im dreifachen Sinn von Wieder­holung, Korrektur und (intensivierter) erneuerter Verbildlichung, wofür die Di Bella den zusammenfassen­den Be­griff Re-Vision er/findet.

Hier werden Blicke auf Brinkmann möglich, wie bloß der Wanderer als stummer Betrachter sie hat, der von den höchsten Höhen über alle Gipfel, über alle Wipfel schauen und schauen und schauen kann: Kosten­loses Kino, Breitwand, Panoramablick, Vista-Vision, besser als Kino war das hier, live! In fünf Teilen – in denen anhand von Begriffen wie Allegorie, Destruktion/Konstruktion, Erstarrung/Bewegung, Komplementa­ri­tät/Kontrast, Un­fälle/Zufälle die beiden ›works in progress‹ Schnitte und Westwärts 1 & 2 analysiert sowie in Bezug zu­einan­der gesetzt werden: Nur so werden »Schnitte« wie »Westwärts 1 & 2« lesbar als in sich schlüssige Verkörpe­rungen eines zwar strukturell offenen, doch deshalb nicht minder zielgerichteten poet(h)ischen Projektes, das an den alten avantgardi­stischen Traum anzuknüpfen scheint, Leben und Kunst zusam­menzuführen – arbeitet Roberto Di Bella heraus, daß das gesamte nach 1970 entstandene Werk – ein­schließlich Westwärts 1 & 2 – dem einen gro­ßen Ziel diente: dem Roman einer Gene­ration. – Was für ein Geschenk des einen RDB an den andren RDB, zumal im Jahr 2015, in dem Rolf Dieter Brink­mann 75 Jahre alt geworden wäre und wir seiner, auch an­läßlich des 40. Todestags, wie in diesen Tagen 2020 ganz besonders gedenken. Mein Freund Bernhard Bensch, Architekt ohne Arbeit, hat die mo­numentale Monogra­phie unmittelbar nach mir gelesen, auf diese Weise einen Zugang zum Werk Brink­manns gefunden, der ihm so bislang verwehrt war.

»Ach, gehen Sie mir weg mit Ihren Wörtern!«

Wieder geht’s fünfzehn Jahre zurück (was sind schon fünfzehn Jahre?): Ein Paketdienst bringt kurz vor Ostern 2005 die Rolf-Dieter-Brinkmann-Audio-Editionen Wör­ter Sex Schnitt (der akustische Nach­laß als Erstver­öf­fentli­chung – spoken word – Lesung – Tonbandexpe­riment; aufgenommen in Köln von Okto­ber bis Dezem­ber 1973 und dort 30 Jahre lang konserviert, 5 CDs und 60 Seiten Booklet; Ge­samtlaufzeit 360 min 40 sec; heraus­gegeben von Her­bert Kapfer und Katarina Agathos unter Mitar­beit von Maleen Brink­mann; intermedium re­cords, Erding 2005) und The Last One (die Lesungen Brink­manns beim Cam­bridge Poetry Festival 1975, Gesamt­laufzeit 60 Minu­ten, unter derselben He­rausge­ber­schaft eben­falls bei intermedium records erschienen). Wahnsinn – über 400 Minu­ten Brink­mann live.

Tagelang läuft nichts anderes.

Immer wieder spüre ich das Herz wie verrückt klopfen, immer wieder laufen mir Schauer den Rücken herunter – je nachdem, welche Stimmung diese Stimm ins Wohnzim­mer trans­por­tiert. An Karfreitag 2005 lauschen Axel Kutsch und ich ge­mein­sam dem von Brinkmann in Cambridge rezitierten Gedicht Rolltrep­pen im Au­gust, dessen Panik – Panik – Panik direkt ins Hirn schießt. Schon die lakonisch auf englisch gesprochenen einleitenden Wör­ter ziehen mich ma­gisch an. Brink­mann macht die Absicht, Gedichte vom Olymp in die Seitenstra­ßen zu holen und so einfach wie Songs sein zu lassen, kurz u. knapp deutlich: The beautiful simplicity is a dream. Zwei Lesun­gen hat Brink­mann am 19./20. April 1975 in Cam­bridge: die eine mit John Ashbery, die andere mit Erich Fried, Michael Ham­bur­ger, Jürgen Theobaldy. Ein­mal hämmert Brinkmanns Stimm ble­chern, bei­nah bedrohlich, ein anderes Mal dringt sie sanft, geradezu zärtlich ans Ohr, einmal spricht der Mensch ganz ruhig, ja, zurückhal­tend, dann wieder auffor­dernd, sugge­stiv. Mich über­rascht das nicht. Ich weiß, seit ich Brink­mann lese (und das ganze Werk bestätigt es), wie er die Klaviatur der inneren Tonar­ten be­herrscht: Rolf Die­ter Brink­mann ist ein empfindsamer Mensch, der sich auf jede Situation einstellt und nicht monoton Dasein ›herunterspult‹. Daß Brink­mann mehr ist als ein ›Dichter‹, diese Aufnahmen beweisen es. Im um­fangrei­chen Booklet zu Wörter Sex Schnitt heißt es:

Betrachtet man Brinkmanns Gesamtwerk, stimmt man seiner Selbsteinschät­zung zu: Ich bin kein Dichter. Er ist kein Dich­ter, eher ein multimedialer Chro­nist, des­sen Zugriff auf die eigene Gegenwart immer der Versuch mög­lichst detail­ge­treuer Wi­edergabe direkter und nicht durch Vermittlungsanstrengun­gen verfälschter Sinnes­ein­drücke war.

Jan Röhnert erlebt die CDs zeitgleich im fernen Jena. Ob ostwärts, ob westwärts lebend, Brink­mann­s Stimm verbindet. Am Nachmittag des 1. April 2005 erreicht mich die E-Mail, in der er fragt:

Geht es dir ähnlich mit den Brinkmann-Aufnahmen? Sie sind viel weniger ag­gressiv, als ich erwartet hätte, sehr zärt­lich bisweilen, sehr nachdenklich, sehr reflektiert – und es ist eine Stimme, die ich sehr gern höre, eine wei­che, femi­nine Stimme. Ich habe mir in freien Minuten die Sachen auszugsweise im­mer wieder angehört – die­ser Hunger, diese Su­che nach Schönheit, Freude steckt an, ich fühle mich da hinein­gezogen: Das Tonband erweist sich so als das adäqua­te­ste Me­dium, seinem Be­dürfnis nach Gegen­wart Ausdruck zu ver­leihen. Und diese Gegen­wart überträgt sich auf den Hö­rer, er wird Teil von ihr.

Egal, ob’s nun die Aufnahmen der Cambridge-Lesungen von 1975 sind oder die (unter deutschen Auto­ren wahrscheinlich einmali­gen) Tonband­protokolle, die von Oktober bis Dezember 1973 in der Köl­ner Woh­nung und der Innenstadt mit den Seiten­straßen, die er, ›naturgemäß‹, immer wieder in Verse mon­tiert, entstehen: Man rechne beim Hören mit ›allem‹ – Formen, Motiven, Themen sind keine Gren­zen ge­setzt; ich höre Brinkmanns monologi­sch sprechen, in der Woh­nung flü­stern, nachts draußen laut ru­fen, auf Müll­tonnen schlagen, Lautpoesie, Tele­fonaktio­nen, Interviews machen, Postkarten lesen, Kom­men­tare abge­ben, er­leb den am 23. April 1975 verstorbenen Brinkmann in einer Intensi­tät, Sensibi­lität und Vitalität, die mich in ihren verschieden­sten Tonar­ten nicht bloß mitreißt, son­dern im Innersten trifft.

»Sundays kill more men than bombs«

Ist dem sprachkritischen Brinkmann, der der von den Faschisten gleichsam endgültig versauten Sprache so genau aufs Maul schaut, der diese fiese Sprache nicht will und für die ›andre‹ Sprache, in der er ›leben‹ kann, mit guten, klaren Wörtern beißt, kämpft, ringt, der die BRD so ablehnt, haßt, bewußt, daß die Initia­len seines Namens und die der Republik iden­tisch sind, RDB sich ›anagram­m­atisch‹ mit einer ›Ge­stalt‹ (›Ge­walt‹) verbindet, von der er nichts als Abstand haben will? Das Schick­sal hat es in mancherlei Hinsicht nicht gut ge­meint mit Brink­mann, dessen Spuren ich seit 1975 unbewußt und seit 1986 mehr und mehr und sehr be­wußt gefolgt bin. Im Som­mer 1975 – wenige Monat also nach Brink­manns Unfall­tod – halte ich mich erst­mals zwei Wochen lang in London auf, ohne Ahnung von jenem jun­gen deutschen Au­tor, den mir we­der Deutschleh­rer noch Dozenten der Kölner Universität (wo er 1969 auf Einladung von Walter Hinck liest) nahebringen.

Am 2. Februar 2002, einem sonnigen Sonn­tag mit viel Schnee, lese ich Jan Röhnerts Monographie Meine er­staunliche Fremdheit! Zur poeti­schen Topographie des Fremden am Bei­spiel von Rolf Dieter Brinkmanns Reisely­rik (2003), ich sehe alle möglichen Bilder vor mir, die ich seit 1975 bewußt oder unbewußt aufge­nom­men hab, mir gehen alle mögli­chen Einfälle durch den Kopf, die ich seit 1986, Rolf Dieter Brinkmanns einge­denk, ersonnen, aufge­schrie­ben hab. Wie die meisten Menschen haßt auch Brink­mann den Sonntag – Sundays kill more men than bombs, ächzt/ätzt Charles Bu­kowski –, und auch ich hasse den Sonntag, aber jener Sonn­tag ist, some­how, gar kein so schlim­mer Sonntag mit dem Buch von Jan Röhnert, in dem ich le­send durch Jahr­zehnte und Kontinente reise und in dem Brink­manns Bü­cher wunderbar ge­genwär­tig sind.

»Thema des Gedichts ist das Gedicht selber« (Adorno)

Die Geschichtener­zähler machen weiter, die Auto­indu­strie macht weiter (wenn auch nach 2000 phasenweise leicht rückläu­fig, wie man liest), Brink­mann macht weiter, die Ar­beiter machen weiter, Jan Röh­nert macht wei­ter, schreibt ei­n weiteres Buch, das 2007 unter dem Titel Springende Gedanken und flackernde Bilder ∙ Lyrik im Zeital­ter der Kinematographie ∙ Cendrars | Ash­bery | Brinkmann erscheint und in dem er, beispielsweise, über Vanille schreibt, dieses grandiose Gedicht, die­ses legendäre Langge­dicht, diese monumentale Montage, diesen wahr­haftigen Wurf, der über­quillt von Alltagsmaterial wie Tageszeitung, Illustrierte, Gebrauchsanweisun­gen, Comics, Gesprächen, Gedichten anderer, Briefen, Fil­men, Fotos, Beobachtun­gen, Tagträumen … und auch ich mache weiter und freu mich über die Viel­zahl von (oft jungen) Menschen, denen Brink­mann noch so viel zu sa­gen hat.

Mit leicht hochgezogenen Augen­brauen lese ich also in Mat­thias Alten­burgs Langweiler Irgendwie alles Sex (2002): Die ganz Jun­gen, höre ich jetzt, interes­sieren sich schon überhaupt nicht mehr für Brink­mann, finden ihn anti­quiert. Am 2. Mai 2003 veranstal­tet die Stadtbü­cherei Heinsberg (bei Aa­chen) einen Rolf-Die­ter-Brink­mann-Abend, an dem ich ein paar unkontrollierte Wörter zu RDB verlier. Gleichzeitig zeigt Jürgen Völ­kert-Mar­ten, der Brink­mann-Sammler, einige Ex­ponate aus einer lückenlosen RDB-Samm­lung (die er vor eini­gen Jahren dem Hein­rich-Heine-Institut in Düssel­dorf überlassen hat). Axel Kutsch, An­dreas Noga, Gerd Sonntag und Maximilian Zan­der gehör­en zur jun­gen Gästeschar, die mit dafür sorgt, daß ein lebendi­ger Abend im Gedenken Rolf Dieter Brinkmanns erst weit nach Mitter­nacht endet.

»… kann ich mir hier nicht denken …«

Von 1970 bis 1975 schreibt Brinkmann die Westwärts-Gedichte (in vollkommen andrer Art als die Ge­dichte der 60 Jahre), tippt unzäh­lige, lange, lange Briefe an Hartmut (in Amerika), die einen gan­zen Band füllen, der 1999 er­scheint: Diese Offenheit, diesen unverstellten Blick, unver­stellt von Ideologie, Ge­dan­kenmustern, Ab­sichten, Zielen, Pflichten, Moral usw. kann ich mir hier nicht denken, sie ist nicht da, die­ses winzige Stückchen mehr an Freiheit. Statt dessen herrscht eine Ideologie und ein Gedan­kenterror und ein blindmachendes Ab­strahie­ren, das von Ge­danken ausgeht und immer weiter ab­strakt Gedanken produziert – dabei geht alle Sinn­lichkeit verlo­ren, bereitet in Form von ›Mate­rial­büchern‹ ein Opus Magnumvor, das als fiktive Autobiogra­phie, Grundlagen­­forschung der Gegenwart, Roman einer Gene­ration, wie Brinkmann die ›Vision‹, als Ausdruck eines noch unverwirklich­ten Sprach(t)raums, wie Roberto Di Bella die ›Utopie‹ umschreibt, viel­leicht noch hin­ausgelangen will über das, was ihn, zum Bei­spiel, an William S. Burroughs’ Naked Lunch, Louis-Ferdi­nand Célines Reise ans Ende der Nacht, Blaise Cen­drars’ Moravagine, Hans Henny Jahnns Fluß ohne Ufer, Jean Pauls Die unsichtbare Loge, Karl Philipp Moritz’ Anton Reiser : Warum will ich meine Herkunft nicht akzeptieren? Weil sie voller Dro­hungen und Schmerzen ist, Arno Schmidts Zettels Traum, Claude Si­mons Akazie faszi­niert. Will Brink­mann, wie bei­spielsweis James Joyce in Fin­negans Wake, die Vorstel­lung von ›Wort‹, ›Roman‹, ›Li­te­ra­tur‹ total auseinanderspren­gen? Will er die auch und besonders jen­seits der Wörter wirkende Bild­welt schaffen, die alles um­faßt, was ›Leben‹ be­deu­tet- wo ist das – – – ›Leben‹? Cross the border – close the gap, liest er bei Leslie A. Fiedler. Oder ist doch das zwi­schen Buchdeckel gebundene vorgefundene, erfundene Wort­Bild­BildWort-›Mate­rial‹ be­reits – als fragments from Work in Pro­gress (James Joyce) – das Werk? ((Ist das hier schon der Roman, den ich schreiben will?? Nein, […] weil ich mich noch viel zu wenig auf die Fiktion in den sogenannten Fakten einlasse!!))//

»Ramsch der Realität«

Brink­mann geht’s nicht um akade­misch grundierte Form­fragen, ob Er­zäh­lung, Ge­dicht, Es­say, Cut-up, Mon­tage, Col­lage, Brief, Photo stimmige Aus­drucksmöglichkeiten seien, In­halt, Motiv, Phä­no­men, Stoff, Thema, Topos usw. in Verse, Zeile, Montage usw. zu bannen, in ›Literatur‹ zu transfor­mieren, lieber geht er der Frage nach, was ›Le­ben‹ sei, was ›Literatur‹ sei, was ›Sprache‹ sei, was ›Kom­mu­nikation‹ sei – oder wie Leben und Lite­ratur und Sprache und Kommunikation als simultan ge­lebtes wahrhaftiges Menschsein – unbedingt dargestellt als wechselseitige Durchdringung von Bewußtsein und passiver Auf­nahme, von Gegenwart und Erinnerung – möglich seien, in dem man seine blauen Wunder erlebt – natur­gemäß so oder so, wie es viel­deutig in Axel Kutschs Gedicht Anleitung heißt. Und das nicht in possier­lichen, Ansichten wie Ping­pong hin- und her­spielenden Seminar­sit­zungen, bei de­nen man au­seinan­der­geht, als wäre nichts ge­wesen, son­dern in aufs Ganze ge­hen­den, ener­gie- und schlaf­rauben­den, schweißtreibenden, hoch­konzen­trierten, rausch­haften, ent­grenzen­den, Bewußtseinser­weite­rung, Eu­pho­rie auslö­senden Ma­ra­thons an Schreib­tisch und Schreibmaschine. Die eigne Exi­stenz hemmungslos, total einbe­ziehend, Fa­milie, Umfeld in kei­ner Weise scho­nend, wird ›Tatort‹ zum ›Tatwort‹ transmutiert (Roland Barthes).

So lebt der wolkenkratzerhochsensible, aber auch sehr verletzliche Brinkmann – abrückend, allegori­sie­rend, anfangend, assoziierend, aufbe­gehrend, aufbre­chend, bekämpfend, beschleunigend, betrachtend : Andy Warhol, March 15th through April 3rd, eine kolo­rierte Porträtaufnahme von Star Liz Taylor, bewertend, collagie­rend, den­kend, denkend, den­kend, entdec­kend, erkundend, erweiternd, de-/fragmen­tierend, fiktio­nalisierend, fortschrei­tend, fühlend, gehend, gehend, gehend, hinterfragend, historisierend, hoffend, hö­rend, inventarisie­rend, ironisierend, imaginierend, ir­rend, jonglie­rend, karikierend, kombinierend, kontrollie­rend, konzen­trierend, kritisie­rend, lamen­tierend, lauschend : und nun habe ich eine andere Platte der Doors aufgelegt: Strange Days, le­send, lesend : Donald Barthelmes Komm zurück, Dr. Caligari, lesend, monierend, montierend, notie­rend, nuan­cierend, öffnend, oppo­nierend, parodisierend, (anti-)poeti­sierend, polarisie­rend, phantasie­rend, photogra­phierend, polemisierend, präzisie­rend, provozierend, querulie­rend, reflek­tierend, rekon­struierend, rotierend, sammelnd, schäumend, schrei(b)end : Mir geht es beim Schreiben nicht um Literatur …, schreibend : Eine zersplitterte Perspektive ist das …, schreibend: Auf einmal ist nun alles still …, sehnend, su­chend, trauernd, träu­mend, über­schrei­tend, utopisierend, verletzend, vernei­nend, wahr­nehmend, weiterma­chend, wütend, zerbre­chend, zerschneidend, zersprengend, zitierend, zweifelnd – in der Lite­ratur, füllt Litera­tur mit Le­ben in einer dissonan­ten Gegenwart (Jan Röhnert), er­gänzt, erneu­ert, erweitert den Literaturbe­griff und ist, lei­den­schaftlich, entschlossen, zielbewußt, mit Alain Robbe-Grillets Weg mit den alten Mythen der Tiefe als Navi-App, auf dem weiten Weg zum roman futur.

»Mehr Gegenwart« : »the mere presence / changes everything«

Besonders nach 1970 ›versucht‹ Brinkmann dieses Le­ben mit mehr Gegenwart (›verwirklicht‹ Leben, in­dem er es fiktionalisiert), inmitten/jenseits einer künstlichen, trivialisierten, verkitschten, wider­spruchstollen Welt, die er nicht nach-, sondern neubilden will: Es gibt kein Vergangenes, das man zurückseh­nen darf, es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen der Vergangenheit gestaltet, und die echte Sehnsucht muß stets pro­duktiv sein, ein Neues, Besseres zu schaffen. (Giordano Bruno) – mehr als je zu­vor, ma­teri­elle Ar­mut, Iso­lation zäh­neknir­schend/wut­schnau­bend ›in Kauf nehmend‹. Er zerreißt (sich), um auf dem Kunst­weg, alles, alles, ALLES, was er aufnimmt, auf ihn einstürzt, ob Tabu, Tal, Tatort, Tatsache, Tanz, Teller, Text, Theorie, Tieck, Tischbein, Tod, Trash, Trauer, Traum, mehrere flüchtende Tiere, Tri­viales, Trostlo­sigkeit, Trüm­mer, umge­hend – Stück­chen für Stückchen ›verarbeitend‹, zu sich zu finden, Leben und Welt ›wahrzu­neh­men‹, ›alles‹ neu, sprich: sichtbar zu machen. Nur so kann Brinkmann exi­stieren, unmittel­bare Präsenz erle­ben, nur so kann Brinkmann sein – Leben, Lite­ratur (wenn es diese Phä­nomene denn gibt) können für ihn bloß ein und dasselbe sein. Er ist kein lü­gender Dichter, wie Nietz­sches Za­rathustra ihn be­schreibt. Woh­ler fühlt er sich als Bewohner von Susan Sontags 1964 eröffnetem Camp : Camp taste is, above all, a mode of enjoyment, of appreciation – not judgment. Camp is gener­ous. It wants to enjoy. It only seems like malice, cynicism. (Or, if it is cynicism, it’s not a ruthless but a sweet cyni­cism.) Das klingt schon eher nach Brink­manns Vor­stellung von Le­ben, die eben ›Leben‹ be­deu­tet (und nicht ›Form­blatt‹ oder ›Büro­kratie‹ oder ›Ge­setzgebung‹ oder ›Ver­ord­nung‹ oder ›Ziviehlisation‹ oder: ›man‹). Un­mittelbar erlebtes Leben heißt – in one word: ich. The mere presence / changes everything, ›weiß‹ er von Frank O’Hara, und bei Arthur Rim­baud liest: Je est un autre.) Ein­mal und nie wieder. Leben – und somit Literatur – ist: anar­chisch, ba­nal, blau, chaotisch, dicht, ener­giegeladen, futuri­stisch, groß, himmlisch, inten­siv, jo­kular, kapri­ziös, leben­dig, mu­sikalisch, nerven­kit­zelnd, om­nipräsent, prak­tisch, qualvoll, radikal, sinnlich­, total, uni­versal, ver­we­gen, xenophil, yber­wälti­gend, wundervoll, zufällig.

»Ölfleck auf dem Asphalt«

In Bert Brunes Roman So weit, daß du die Träume lebst (1989) erlebe ich einen Menschen, der wie Brink­mann viel Zeit mit Herumge­hn in Kölner Seitenstraßen, mit Beobachten und anschließen­dem No­tieren ver­bringt. Und plötzlich ist da zu lesen:

Brinkmann, ein Fanatiker von Fakten, wie er sich selbst nannte und es von sich forderte, beschrieb jeden Bau­zaun, den Ölfleck auf dem Asphalt vor sei­ner Haustür – und eben auch die Lokale, Kneipen, die Disko­the­ken, die er be­suchte, sogar die Bor­delle in der Kleinen Brink­gasse, und notierte ge­wis­sen­haft den Preis für seine Ori­ent­zigaretten­packung, und man erfuhr, wieviel der Wein im Wiener Wald am Ring kostete … Brink­mann war al­lerdings – im Ge­gensatz zu mir – ein unermüdli­cher Hasser sei­ner Stadt, wohl allge­mein jeder Groß­stadt (…) die­ser Dich­ter gab je­dem sei­ner Le­ser ei­nen Ad­renalin­stoß, man sah selbst nun un­willkürlich ge­nauer hin, nahm seine Umgebung inten­siver wahr, fühlte sich auf­gefordert, selbst zu notieren, zu reflektieren, und alles, was um einen herum geschah, zu regi­strie­ren und zu beurtei­len.

Brinkmanns Leben, wie ich es hier mir fiktional vorstelle, scheint ge­prägt von kreativer Lust und – Haß (ver­kappter Sehnsucht nach Liebe?). Welt, öffentliches Leben sind für Brink­mann schwer bloß zu er­tragen. Empfindet er jemals Glück? An der Schreibmaschine, an der er Augenblicke festhält? Etwa wenn er schreibt: Ich finde ge­wöhnliche Sachen schön, weil sie nichts bedeuten, und dass sie nichts bedeuten, ist ihre Tiefe. In Aufzeichnun­gen, Briefen, Erinnerungen, Essays, Gedichten, die immer wieder Haß und Sehn­sucht in­einander ver­schlungen offenbaren, vermeine ich den ›Ro­man­tiker‹ Brinkmann zu begrei­fen, der Ideales in der Fern bloß erkennt: Diese Offenheit, diesen unverstellten Blick, unver­stellt von Ideologie, Ge­dankenmustern, Ab­sichten, Zielen, Pflichten, Moral usw. kann ich mir hier nicht den­ken, sie ist nicht da, die­ses winzige Stückchen mehr an Freiheit, schreibt er im langen Brief vom 22. Januar 1975 an den zu jener Zeit in Amerika lebenden Hartmut Schnell; haar­scharf, total kritisch nimmt Brinkmann wahr, was un­mittelbar um ihn herum ge­schieht, kommt nie zu einem auch nur annähernd aufmunternden Ergeb­nis: Statt dessen herrscht eine Ideo­logie und ein Gedan­kenterror und ein blindmachendes Ab­strahie­ren, das von Ge­danken ausgeht und immer weiter ab­strakt Gedanken produziert – dabei geht alle Sinn­lichkeit verlo­ren.

»Jedes Wort ist Krieg«

Diese fiese Zerlegung des To­desterritoriums Westdeutschland in unverbundene Einzelteile soll ›Le­ben‹, soll lesbare ›Ge­stalt‹ sein? (Arnold J. Toynbee mutmaßt, daß Kulturen unter ungünstigen Bedingungen an sich selbst zugrunde gehn.) Dinge, Phänomene, die gemeinhin ›Apathie‹, ›Armut‹, ›Atomisierung‹, ›Aus­beu­tung‹, ›Brutalität‹, ›Chaos‹, ›Dumpfheit‹, ›Enge‹, ›Floskel‹, ›Getöse‹, ›Ge­walt‹, ›Hysterie‹, ›Kli­schee‹, ›Kom­merz‹, ›Kondi­tionierung‹, ›Kontrolle‹, ›Kor­rup­tion‹, ›Lüge‹, ›‹Manipulation, ›Mas­sen­Medien­Macht‹, ›Müll‹, ›Über­pro­duktion‹, ›Un­recht‹, ›Verknöcherung‹, ›Zynismus‹ genannt werden – Begriffe, diese Bewusstseinspara­siten –, sieht Brink­mann hänge in der Luft, in greller Über- und Doppelbelichtung, alle großen, klei­nen, physi­schen, psychi­schen Einzelteile des ›Le­bens‹, der ›Welt‹, der ›Wirklichkeit‹ mit dem inneren Aug total über­dimensio­niert heranzoomend, als Aus­wüchs von faschi­stoidem, kapitali­sti­schem west­deutschen De­mo­kra­tis­mus, in dem Kon­zerne, Medien, Par­teien alles, Menschen nach wie vor ›nichts‹ sind. (Was ge­wisse Poli­tiker schon bald nach der sogenannten ›Stunde Null‹ über Schrift­steller und Künst­ler, die – unkontrolliert – Sand­körner ins wirt­schafts­wunder­same Ge­triebe schmeißen, zu sagen wagen und – viel Beifall dafür er­halten, zeigt, wie nötig die Sandwerfer sind.) Marielle Sutherland diagnostiziert:

The recognition of his native culture’s conservatism is extended into an exposure of the native language’s bru­talising and brutalised character. In Westwärts, Teil 2, which deals with Brinkmann’s return from America and his consequent sharpened perception of his homeland and its language, he writes: Der Krieg ist nur un­sicht­bar ge­worden, and Jedes Wort ist Krieg. War here is the subtext of the German language, a weapon of control by fear and hatred. It manifests for Brinkmann the tyrannical dominance of the signifier over perceptions of re­ality, sup­pressing individual experience and its expression.

/// »Alles was ich will, ist, nichts mit euch zu tun haben« ///

/// S/c/h/n/i/t/t/e. /// Maschinengeschriebner Text / Fetzen aus Comic / Film / Photo / Zeitung / Zeit­schrift / Zitat aus Literatur, Musik, Werbung, Wissenschaft (und andren zei­chenhaften Bruchstücken – winzige, banale Gegenstände) / kühl montierter / ultrahocherhitzter Wort­BildDialog / SCHNITTE / (ver­recktes traumbuch) / Totenbuch /(Momentaufnahmen/: „schönes Tageslicht“, zu weit weg) / MAGIC AND REA­LITY / cronache de tempo e dello spazio / 158 groß­formati­ge / eng­be­schrie­bne / teilweise zweidrei­spaltig / ab­satz­los da­hinja­gen­de Seiten / verfremdete Umbildung eines als er­barmungs- / rück­sichtslos / tiefbe­drückend / wi­der­wär­tig / zersplit­tert erlebten Le­bens / wo­bei jede (Cut-up)-Collage die letztlich nicht ausschöpfbare Zeichen­haftigkeit (und den Rätsel­charakter) der Welt in den Vorder­grund stellt (Roberto Di Bella). Harte Ar­beit für den Leser / der überdies auf keineswegs sauber ge­setzte Seiten trifft / son­dern fak­simi­lierte Wie­dergaben der maschinengeschriebenen Blätter / die mir mit durch­geixten Wör­tern / dauernden Kor­rektu­ren (usw.) das Leben / schwermachen. ////// Es geht buchstäblich, wortwörtlich drun­ter, drü­ber: Hier wird simultan die Ohn­macht des In­divi­duums vor der gleichsam unendlichen, per­manent weiter expandierenden Unord­nung der ge­gen­wärti­gen Welt und das Abenteuer der krea­tiven Bewältigung durch­schlagskräftig visua­lisiert: keine Entro­pie, keine Schlacke, lebendig machen, schreiben, erzählen, ausdrücken, for­mulie­ren, Stück­chen für Stückchen, weiter machen zu mir hin, dem mir gemäßen Ausdruck, vermerkt Brink­mann in Rom, Blicke. Diese fiese Gespenster­show zu ›lesen‹, zu be­trach­ten, den immer wieder fixierten Blick loszurei­ßen ist aufreibende, kraft­raubende Trauer­ar­beit; der sei­ten­lange, unauf­halt­same, von ei­ner Asso­zia­tion zur näch­sten rasende Be­wußt­seins­strom reißt mich weiter­, weiter, den nächsten Ab­grund hinab, über das nächste Gedan­ken­riff, zum nächsten Vor­ort der Seelen­hölle, wo es, ur­plötz­lich, grell weiß gleißt, unvermittelt still wird. ////// Mit hemmungsloser ›Begeisterung‹ stelle ich mich die­sem unumgänglich Brutalklartext auf die Lein­wand wer­fenden Buch mit seinen immer wieder gro­tesk wir­kenden Collagen, das mir (wie die an­deren Materialbü­cher) auch das un­geheure ›vorbildliche‹ Er­kennt­nisin­ter­esse eines chronisch bil­dungs­hun­gri­gen, sich fort­wäh­rend veror­tenden, verwortenden Men­schen geradewegs filmartig vor Au­gen führt, der sich, ge­walt­sam alles Aufgedeckte, Vorgefundene z/e/r/s/c/h/n/e/i/d/e/n/d, neu kombinierend, von aller als repressiv empfundenen Tradi­tion lö­st, um total, ganz u. gar, frei zu sein für das Verfassen dieser untrügli­chen Bü­cher, die, auf dem stei­nigen Weg zum Ziel des großen Ro­mans, unverstellte Blicke auf das alltäg­liche Skandalon möglich machen. ////// Bei der Rezeption sol­cher Art GeschichtsBücher (auch West­wärts 1 & 2 und die andren Material­bücher lese ich als solche) hechle ich, immer wieder mit Nase und Schnauze im Blut, im Dreck, im Groß­stadtgekröse und -getöse, dicht ent­lang an der Schweißspur des Le­bens; in radikal un­barmherzig wir­ken­der Na­haufnahm wird hier tief ins Fleisch des Phantoms Ge­genwart ge­schnitten, kein Wunder also, wenn ich über viele Seiten hinweg rasend Phantompower­schmerz ver­spüre. ////// Brink­mann will’s ›wis­sen‹. Nach 1968 wird das Material Blatt für Blatt sehr bewußt vor- und zu­berei­tet, ge­schnit­ten, zerrissen, ge­tippt, col­lagiert, geklebt, mon­tiert, kynischparodistisch kom­bi­konfi­gu­riert – ge­macht. ////// Brink­mann hat sich mehr von den im Mai 1968 in Paris stattfin­den­den, von mehr als zehn Mil­lionen Menschen unter­stützten Ak­tionen er­hofft, die weit über das hi­nausgehn, was im Ber­lin jener Zeit passiert. Am Ende stehn die Träumer mit leeren Händen da. Kämp­fende Hoff­nungsträger wie Rudi Dutschke (den Brink­mann kritisch sieht – wen nicht?), Che Guevara, Martin Luther King lösen sich, wie Jan Palach in Pra­g, gleich­sam in Rauch auf, sind ge­nauso plötzlich von der Bildfläche ver­schwun­den wie, kurze Zeit später bloß, Brian Jo­nes, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison­. In Deutsch­land schei­tert eine wei­tere ›Revolu­tion‹ – wie alle an­deren zu­vor, aber diesmal nicht bloß in deut­schen Landen. Das ›Establish­ment‹ macht sich in der Folge breit wie eh und je – auch wegen des jahre­langen Bür­ger­kriegs, den einige von Brink­manns Zeitge­nos­sen ver­geb­lich führen? //////Vergeb­lich? Ich will nicht pessimistisch sein. Heißt’s nicht, zum Beispiel, immer wie­der, Schrift­stel­ler wären im Prin­zip über­flüs­sig in dieser Welt, aber wer weiß das so genau? Jeder Mensch erfüllt eine Mis­sion. Oft un­sicht­bar, nicht erkennbar, sind auch die scheinbar ver­geblichen Kämpf der Wortmacher kei­nes­wegs vergeb­lich: Sie wer­den weitge­hend im­merhin igno­riert. So füllen sie ein gesell­schaft­liches Va­kuum, des­sen ge­heime Aus­wirkun­g noch nicht er­forscht ist. Wenn das ›nichts‹ ist. ////// Brink­mann ist kein ›Dichter‹, der lügt. Stellt sich auch drum nie der ganz gro­ße Er­folg ein? Wäre Brink­mann überhaupt be­kannt ge­wor­den ohne Un­terstüt­zung Dieter Wellershoffs, seiner­zeit Che­flek­tor bei Kie­penheuer & Witsch? Mü­ßig ›eigentlich‹, die Frage, die im Raum steht, seit ich sie mit Harald Gröhler, der Brinkmann verschiedentlich be­geg­net, disku­tiert habe. ////// Der per extre­mer Na­haufnahme gemachte, durch außer­or­dentliche Intensität fes­selnde Ro­man Kei­ner weiß mehr wird bis heute gelesen, ein Kri­ti­ker, der sich vor dem Buch fürchtet, das B. mit einem Ma­schi­nen­gewehr vergleicht, über­schlägt sich 1968 (bei­nah) bei der Lobrede. Hop­pla. ////// Ich will, no­tabene, nicht be­haupten, alle ›er­folgrei­chen‹ Schriftsteller müß­ten ein Leben füh­ren wie, beispielsweise, Ber­tolt Brecht (der trotz allem zahl­reiche groß­e Ge­dichte hinter­lassen hat). ////// Hier geht’s / aus­schließ­lich / um eine Sicht von Brink­mann – wie ich ihn, fiktional, er­lebe, wenn ich die Bü­cher lese: Es sind im­mer nur Wörter, Formulie­rungen. Aber was ist denn da, tatsächlich? Das kann Sprache, For­mu­lierung nicht sagen. / Brinkmann geht keinen Kom­pro­miß ein. / Im­mer / wieder / macht / er / ›Schnitte‹ — sieht Dinge / tot, leer, erloschen, die / in der Bear­beitung reanimiert / nolens volens zu Sinn­bildern werden. ///

»Jetzt bin ich tatsächlich abgeschwirrt«

Gelegentlich wird behaup­tet, Zu- bzw. Abneigung würden bei der ersten Begegnung innerhalb von Se­kun­den­ bestimmt. Wenn dem so ist, weiß ich, weshalb ich das Werk Brink­manns so liebe. Die Art und Weise, wie Richard Burns (englischer Dichter und Be­gründer jenes ersten inter­natio­nalen Cam­bridge Poetry Festi­val im Jahre 1975, bei dem Brink­mann zum letzten Mal liest), den ich während eines Ar­beits­be­suchs im Sommer 1986 in Cambridge treffe, mir in die Au­gen blickend sagt: You don’t know Rolf Die­ter Brink­mann? Ama­zing. He’s a fine German poet. A very fine German poet, öffnet mir erst­mals Augen, Ohren für die Wörter Brink­manns. Ich will hier kei­ne übertriebene Vorstellung ver­mit­teln, nein, es ist einfach so gewe­sen: In jenem Au­genblick läuft mir ein Schauer sanft den Rücken herun­ter. Ich spüre, daß ich in jenen we­ni­gen Sekunden an zwei Dich­ter­leben teilhabe: Es quoll in mir auf, wie etwas Unbe­stimm­tes, Süßes, Liebes und Vergan­genes. (Hugo von Hof­mannsthal)

Viel­leicht wird in jenem Au­gen­blick erst eigent­lich der Schreiber in mir geboren. Was auf jeden Fall ge­boren wird: Ihr nennt es – Liebe? Eine Liebe, die auch mit mei­ner Vor­liebe für die amerika­ni­schen ›Beat­niks‹ und deren Nach­folger zu tun hat, die ein we­nig im­merhin von dem kernigen, halbwegs ehrlichen Ame­rika ret­ten, das be­reits in der Ära McCarthy mehr oder weniger zum Teu­fel gejagt wird. Es ist Brink­mann, der die ameri­kanische sub­kulturelle Lite­ratur der 1960er Jahre nach Deutsch­land ­bringt und – ge­mein­sam mit Ralf-Rainer Ry­gulla – mit der weiterhin leben­digen, unübertroffenen An­thologie Acid ∙ Neue ame­rikanische Szene (1969) po­pulär macht: Before I sink / Into the big sleep / I want to hear / The Scream / Of the but­terfly …

»Sonnenblumen und Schnellzüge, die durch die finsteren Ebe­nen rasen, erin­nern mich an ameri­kanische Poesie«

Brink­manns ›nordostsüdwestwärtige‹ Gedichte sind kaum vor­stell­bar ohne die Vertiefung in die bahn­brechende angloameri­kani­sche Lyrik eines T. S. Eliot : heap of broken images / mixing / memory and desire, Ezra Pound : I lost my center / fighting the world, William Carlos Williams : – Say it, no ideas but in things – / nothing but the blank faces of the houses / and cylindrical trees / bent, forked by preconception and accident – / split, fur­rowed, creased, mottled, stained – / secret – into the body of the light!, ohne die Berauschung durch die Verse nach­drängen­der, gleichsam alle Ta­bus brechenden Auto­ren, die auf einfache, di­rekte, ob­szöne, sinn­liche, radi­kale Art und Weis gängi­ge handelsübliche For­men, The­men, Wörter sprengen, durch­einanderwir­beln.

Runter vom Sockel mit dem Gedicht.

›Alles‹ drängt ›auf einmal‹ ins Gedicht, vor nichts wird halt­gemacht. Howl ist in Deutsch­land bis dahin – undenk­bar: Für deutsche Literatur ist der Ofen so ziemlich aus. Gedichte von, bei­spielsweise, Ted Ber­rigan, John Giorno, Frank O’Hara, Anne Waldman, – I’m the cataloguing woman – und weiteren Acid-Auto­ren weisen Brinkmann den Weg zu ›seinen‹, mit alltäglichen (geistigen, gegenständlichen, gesellschaftli­chen, kultu­rellen, natür­lichen, seelischen, sinnlichen, …) ›Accessoires‹ aller Art, Comic, Jukebox, Konser­vendose und Film-, Mu­sik-, Plakatzitat angereicherten, in alle nur denkbaren Le­bensbe­reiche ein­dringen­den, jede Einzel­heit neu entdeckenden Ge­dichten, deren komplexe Kombinatio­nen mich faszi­nieren, indem sie nicht/s be­schönigen, eben drum ›schön‹ sind, und deren assoziative, anschaulich, bild-, de­tailreich, genau be­schrei­bende, ambivalent zwischen Extremen schwingende : Zerstörte Landschaft – – – Ich gehe in ein / ande­res Blau, wendige, immer wieder wild lodernde, naturge­mäß auch antilyrisch fundierte freimetri­sche Verse – so oder so – kontinuierlich kurzen Pro­zeß mit mir machen, ich lese, ich werde, schlage Purzelbäume. Hier wird all­täg­lich Erlebtes hinein in eine b∙u∙c∙h∙s∙t∙ä∙b∙l∙i∙c∙h im­mer wahr­hafti­ger wir­kende Wortweltgestalt gefeuert, die vor Abgründen, na­turgemäß, nicht halt­macht. Raunen findet, na­türlich, nicht statt (staunen schon eher, läßt etwa Big Benn hier grü­ßen?), dafür unver­blümtes, klares Sprechen voller Empfindung, Ge­fühl, Sinn­lichkeit, mit aufgerißnen Au­gen, aufge­sperrten Ohren ver­sinke ich in vi­brierenden Ver­sen mit wehmütig wir­kenden Wörtern:

 

Ge­dicht

 

Zer­stör­te Land­schaft mit
Kon­ser­ven­do­sen, die Haus­ein­gän­ge
leer, was ist dar­in? Hier kam ich

mit dem Zug nach­mit­tags an,
zwei Töp­fe an der Rei­se­ta­sche
fest­ge­bun­den. Jetzt bin ich aus

den Träu­men raus, die über ei­ne
Kreu­zung wehn. Und Staub,
zer­stü­ckel­te Pa­va­ne, aus to­tem

Ne­on, Zei­tun­gen und Schie­nen
die­ser Tag, was krieg ich jetzt,
ei­nen Tag äl­ter, tie­fer und tot?

Wer hat ge­sagt, daß so­was Le­ben
ist? Ich ge­he in ein
an­de­res Blau.

 

»Ein Comicbildchen zeigte, wie jemand Zeichen in eine Stein­platte schlug, und eine Fotogra­fie zeigte eine Schreibma­schine«

Vor einiger Zeit macht Karl Otto Conrady mich auf Pop und danach. Rolf Dieter Brinkmanns Lyrik in ihrem Di­lemma aufmerksam, erschienen in der germanistischen Zeitschrift Wirkendes Wort (Jg. 58/2). – Di­lemma, denk ich, welches ›Dilemma‹? Das erste Dilemma, das ich erkenne, ist der unreflektierte Zu­sam­menhang, den Autor Dieter Lie­werscheidt zwischen ›Pop‹ und Brink­mann fabriziert, worauf ich mit Marco Li­ving­stone antworte: Pop, like most art histori­cal labels, is a con­venience for critics and histo­ri­ans but an irre­levance and an irritant for most of the artists to whom it has been supplied. Gleich zu Beginn heißt’s, Brinkmann wäre mehr­fach zur Galionsfigur seiner Ge­neration geworden, mittlerweile jedoch aus dem Blick­feld ver­schwunden: Abge­sehen vom Kultstatus in einer klei­nen Fange­meinde genießt sein Werk heute den Be­kannt­heitsgrad eines Geheim­tipps. (Hin­ter Fange­meinde die Fuß­note 3, in der es heißt: Beson­ders distanzlos: Theo Breuer, Was Neues im Westen oder Brink­mann macht wei­ter, in: Aus dem Hinterland. Lyrik nach 2000.) In einer renom­mier­ten Fach­zeit­schrift wie Wirkendes Wort diese gansfette Ente zu verbrei­ten ist nicht rühm­lich: Man könnte solchen Unsinn ignorie­ren, wenn er nicht in einem ange­sehenen Fachblatt für Germanisten publiziert worden wäre und somit zur Mei­nungsbil­dung von Menschen beiträgt, die das geistige Niveau junger Leute erheb­lich mit­bestimmen. (Axel Kutsch) Der schier unerklärli­che Faux­pas tut Brink­manns weiterhin­ weithin wir­ken­den Wörtern freilich keinen Ab­bruch: Mas­senhafte Ver­brei­tung fin­den einige der Gedichte (darunter ›Die Orangensaftma­schine‹ und ›Ei­nen jener klassischen‹) durch Abdruck und In­ter­preta­tion in Lese­bü­chern für den Schul­gebrauch. (Gunter Geduldig) Davon abgesehen, daß mein im Zusam­men­hang mit Literatur gene­rell hem­mungslos auf Tuchfüh­lung be­dachter In-Fight-Stil nicht Liewer­scheidts Sache zu sein scheint, sprechen die im Anschluß exempla­risch zusammengetragenen Fakten vielleicht für sich. Und wie meint Brinkmann: Man hat sich davon abge­setzt und geht seine eigenen Wege …

»Schnitt:Fortsetzung/«

1997 erscheint die von Gunter Ge­dul­dig und Claudia Wehebrink besorgte 280seitige Bibliographie Rolf Die­ter Brinkmann, deren Register sich als ›Who is Who‹ deutschsprachiger Gegenwartsliteratur ent­puppt. Die­ses Werk setze ich gleichsam mit der Liste Meine Bibliographie Rolf Dieter Brink­mann fort, die seit 1998 viele hundert neue Vermerke birgt. Möglicherweise ist auch nicht jedermann be­kannt, wie intensiv die Ge­dichte Brinkmanns, der west­deutschen Aus­nahmeer­scheinung, in der DDR (1986 erscheint beim Ver­lag Volk und Welt der umfangreiche Auswahlband Rolltrep­pen im August) oder im rumäniendeutschen Ba­nat gelesen werden: RDB war für uns eine große, inspirierende und geradezu verherrlichte Gestalt – West­wärts 1 & 2 hatte fast schon Bibelstatus, schreibtHorst Samson. Jeder, mit dem ich bei drei Le­sungen in Ost­deutschland An­fang der 1990er Jahre sprech, kennt Brinkmann. Fragen Sie Heiner Müller.

Allein die Auflagenhöhe von Brinkmanns lyrischem Hauptwerk, dem erratischen Block Westwärts 1 & 2, der 1975 bei Rowohlt er­scheint und 2005 in der von Brinkmann ursprüng­lich inten­dier­ten, deut­lich er­weiterten Fassung neu herausgegeben wird, liegt mit mehr als 25.000 verkauften Büchern unend­lich weit über den üblichen 10, 50, 100, selten 200 oder gar 500 Exemp­laren, mit denen sich nach 2000 große und kleine Ver­lage bei Ly­rikti­teln auch namhafter Autoren herum­schlagen müs­sen. Zum umfangreichen, schwarz bro­schierten Gedicht­buch Stand­photos, das Brink­manns neun Ly­riksammlungen der Jahre 1962 bis 1970 vereint, haben ebenfalls viele tausend Leser gefunden.

»wohin aber in der zwischenzeit verschwinden / in den eignen kopf«

Ich picke ein paar weitre Beispiele aus der seit 1998 ständig erweiter­ten Liste aktueller RDB-Rezeption her­aus, die längst nicht bloß in der Welt der Literatur stattfindet: Ich denke an den 2008 auch im WDR ge­zeigten Kinofilm Brinkmanns Zorn von 2006 mit Eckhard Rhode, synchronisiert von Brink­manns Ori­ginal­stimme: Von einem bestimmten Punkt an wird das Sprechen mörderisch (auch als DVD er­hält­lich – mit Di­rector’s Cut); an die fünfteilige Audio-CD-Samm­lung Wörter Sex Schnitt von 2005 mit dem Mit­schnitt von Brink­manns letzter, das Pub­likum mitreißende Lesung beim Cam­bridge Poetry Festival 1975 (drei Tag vor dem Unglück in Lon­don); an das 2008 im Theater Bonn, im Ma­xim Gorki Theater Ber­lin so­wie bei der Ruhr-Trien­nale in Gladbeck gespielte The­aterstück West­wärts, an das 2007 von Martin Wuttke am Schauspiel­haus Köln inszenierte Büh­nenwerk Brinkmann; an RDB-Ausstel­lun­gen in Bre­men, Köln (2006) und Vechta (2008); an Hörfunkbeiträge wie Brink­mann. Westwärts 1 & 2 (Deutsch­landra­dio 2005), Die Wör­ter sind böse (Hes­sischer Rundfunk 2004), Ich kann nur sprechen, wenn mir etwas nicht ge­fällt (Deutsch­land­funk 2003); an in regelmäßigen Abständen erscheinende RDB-Monogra­phien – u.a. Karsten Herr­manns Be­wußtseinserkundun­gen im »Angst- und Todes­universum« ∙ Rolf Dieter Brinkmanns Collage­bücher (1999), Gunter Ge­duldigs TOO MUCH ∙ Das lange Leben des Rolf Dieter Brinkmann (2000), Karl-Eckhard Carius’ Brink­mann ∙ Schnitte im Atem­schutz (2008), Markus Fausers Medialität der Kunst ∙ Rolf Dieter Brinkmann in der Moderne (2011), Jan Röhnerts und Gunter Geduldigs Rolf Dieter Brinkmann: Seine Gedichte in Einzelinterpre­tationen (2012), Klaus Rümme­les Zei­chenspra­che ∙ Text und Bild bei Rolf Dieter Brinkmann und Pop-Autoren der Gegen­wart (2012), Ro­berto Di Bellas »… das wild gefleckte Panorama eines anderen Traums« ∙ Rolf Dieter Brink­manns spätes Roman­projekt (2015); an Artikel, Bespre­chung, Feature in Zeitung, Fach­zeit­schrift, Inter­net­portal; an Ly­riksemi­nare an Hochschulen wie Jena oder Köln – meine Toch­ter Anna hält dort im Win­terse­me­ster 2008/09 ein Refe­rat über Brink­manns Po­lemik Ich hasse alte Dichter und setzt sich in einer Fachsemi­narar­beit mit Vanille auseinander; des weiteren denke ich an un­zählige Gedich­te, Es­says, Kom­mentare, Romane mit RDB-Reflexen zeitgenössischer Schriftstel­ler wie Jochen Arlt, Michael Basse, Jür­gen Be­cker, Ulrich Johannes Beil, Uli Becker, Hans Bender : Brinkmann ging, meine ich, manchmal zu weit in seiner schäumenden Wut, Paulus Böhmer, Tom Bresemann, Martin Brink­mann, Bert Brune, Hans Chri­stoph Buch, Werner Bucher, Hansjürgen Bul­kowski, Mar­kus Bundi, Peter O. Chotjewitz, Crauss, Christoph Der­schau, Hugo Ditt­berner, Franz Dobler, Richard Dove, Ulrike Draesner, Hans Magnus Enzensper­ger, Gerald Fie­big, Robert Gern­hardt, Dieter M. Gräf, Günter Grass, Günter Gu­ben, Florian Gün­ter, Michael Ham­burger, Harald Har­tung,Guy Helmin­ger, Stefan Heuer, Uwe Hübner, Hadayatullah Hübsch, Nor­bert Hummelt, Ingo Jakobs,Adrian Kas­nitz, Odile Kennel, Tho­mas Kling, Axel Klin­gen­berg, Mi­chael Koh­tes, Uwe Kolbe, Ursula Kre­chel, Michael Krüger, Tho­mas Kunst, Axel Kutsch, Stan Lafleur, Nor­bert Lange, Chri­stine Langer, Gregor Laschen, Edgar Leidel, Michael Lentz, Peter Maiwald, Marie T. Martin, Frank-Wolf Matthies, Friede­rike Mayröcker : Rom, Blicke finde ich faszinierend, Klaus Mo­dick, Es­ther Mohnweg, Markus Orths, Hermann Peter Piwitt, Kai Pohl, Renate Rasp, Sophie Reyer, Jan Volker Röhnert, Peter Rühm­korf, Horst Samson, Peter Salomon, Joachim Sartorius, Frank Schä­fer, Jochen Schimmang, Cle­mens Schittko, Peer Schröder, Raoul Schrott, Tom Schulz, Werner Söllner : Wer hat kein Alibi für den Tag / an dem die Sonne unter­ging, Gerd Sonntag, Enno Stahl, Armin Steigenberger, Jörg Stein, Jürgen Stelling, Susanne Stephan, Ulf Stolter­foht, Jür­gen Theo­baldy, Bernward Vesper, Nikolai Vogel, Jürgen Völkert-Marten, Jan Wagner, Richard Wagner : wohin aber in der zwi­schenzeit verschwinden / in den eignen kopf, Martin Wal­ser, A. J. Wei­goni, Dieter Wellers­hoff, Urs Widmer, Michael Wildenhain, Erich Wilker, Ron Wink­ler, Klaus-Peter Wolf, Wolf Wondrat­schek : Er war too much für euch, Leute, Mi­chael Wüstefeld, Gerrit Wust­mann, Judith Zander, Maximi­lian Zan­der, Ulrich Zieger – was kommt hinzu, das ich nicht einmal kenne? Brink­mann bleibt also ›anstößig‹ im doppelten Wortsinn: pro­vokativ und anregend (Roberto Di Bella). Jan Röh­nert hält in der 2006 von Ursula Heu­kenkamp und Peter Geist heraus­gege­benen Mo­nographie Deutschspra­chige Lyri­ker des 20. Jahr­hunderts fest:

Auf eine Weise jedoch haben die Gedichte Brinkmanns auch nach dem Tod ihres Schöpfers ›wei­terge­macht‹: Beim Le­ser­publikum und einer Vielzahl von Lyri­kern, die sich von Brink­mann zu – mehr oder we­niger gelunge­nen – ei­ge­nen Versuchen inspi­rieren ließen. Seine Anregun­gen scheinen je­weils dort am fruchtbarsten aufgeho­ben zu sein, wo sie in­nerhalb eines wiederum selb­ständigen Dichtungsentwurfs neue Gestalt gewinnen. Etwa für den ›Kad­dish‹-Zyklus von Brinkmanns Generationskolle­gen Paulus Böhmer, die Lyrik der rumä­niendeutschen Dichter Werner Söllner (›Kopf­land. Passagen‹) oder Ri­chard Wagner (›Hotel California‹) ist Brinkmanns Poesie ein fester Be­zugs­punkt, aber auch für das Selbstver­ständnis ostdeut­scher Lyriker wie Uwe Kolbe, Thomas Böhme oder Michael Wü­stefeld spielt Brinkmann eine wichtige Rolle; auch aus den frühen Ge­dichtbänden Thomas Klings ›ge­schmacksver­stärker‹ und aus Durs Grün­bein ›Grauzone morgens‹ ist Brink­manns Stimme herauszuhö­ren.

Blaue Gedichte (»die blauen, blauen Wildlederschuhe«)

Auch die Lyrikanthologien sprechen eine ein­deutige Sprache. In sämt­lichen repräsenta­tiven Samm­lungen ist Brinkmann seit Jahr­zehnten selbstverständlich vertreten – ich weise exemplarisch auf die neueren hin: In Der Große Con­rady (2008) verteilen sich die Gedichte ebenso über mehrere Seiten wie in Reclams gro­ßem Buch der deutschen Ge­dichte (2007), Das deutsche Gedicht (2005), Der ewige Brunnen (2005) und Jahr­hundertge­dächt­nis (1999), wobei die Her­ausgeber erfreulicherweise drauf achten, jeweils andre aus der gro­ßen Zahl der besonders gelungenen Brink­mannschen Gedichte aus­zuwählen. In Michael Krügers Ak­zente. Ein Rea­der aus 50 Jahren (2003) finden sich genauso Brinkmannge­dichte wie in jeder Ausgab des seit 2004 von Shafiq Naz herausgegebenen Deut­schen Lyrikkalenders oder in Reclamtiteln wie Blaue Gedichte (2001), Poeti­sche Sprach­spiele (2002) und Deutsche Städte (2013). Nicht zu verges­sen: Thomas Klings Sprach­speicher (2001), in dem der Herausge­ber sehr bewußt nur 200 Gedichte von den Anfän­gen bis zur Ge­gen­wart versam­melt. In LUFTFRACHT. Internationale Poesie 1940 bis 1990 (1991) entscheidet sich Ha­rald Hartung für drei­zehn Auto­ren des deutschen Sprachraums: Inge­borg Bachmann, Jür­gen Becker, Gott­fried Benn, Bertolt Brecht, Rolf Dieter Brinkmann, Paul Celan, Günter Eich, Hans Magnus En­zens­berger, Erich Fried, Ernst Jandl, Günter Kunert, Oskar Pastior, Rai­ner Maria Rilke, Imma­nuel Weiß­glas.

Zum guten Schluß … (»Was ist mit dem Anfang?«) …

… noch einmal mit Jahn Röhnert sprechend: Brink­manns Poesie ist zeitlos ge­worden, weil sie ge­nauso wie Bau­delaires sich bedingungslos ihrer unmit­telbaren Ge­genwart aus­liefert. Die Dignität scheinbar bana­ler, all­täglicher Ob­jekte, die das audiovi­suelle Raster unserer synthetischen Umwelt ausmachen – Ny­lon­strumpfhosen, Vinyl­platten, Gitar­renver­stär­ker, Hochglanz­blätter, Make-up, Kino­leinwände … –, hat er ent­deckt und auf unver­wech­sel­bare Weise poetisch trans­for­miert. Brinkmann wirkt wei­ter – so Anfang 2015 bereits zwei­mal in Köln: Am 12. Januar lädt der Lite­ratur­klub mit Roberto Di Bella und Adrian Kasnitz zu Brinkmann, wild gefleckt ein, am 26. Januar steht Brink­mann gleich zu Beginn im Rampenlicht der Auftaktveran­staltung der poetica, des ersten Kölner Festivals für Weltliteratur, als Barbara Förster ihre Ansprache zur Macht der Poesie ganz dem Werk und Wir­ken Rolf Dieter Brinkmanns widmet. Am Abend des 12. März 2015 steht der in Düren lebende und in einem Dentallabor hier in Sistig/Eifel tätige Kraus gegen 18 Uhr strahlend vor der Tür und begehrt quarrig Einlaß. Noch bevor wir uns setzen, sprudelt’s aus ihm heraus, es sei großartig gewesen am Vorabend bei der Eröffnung der lit.Cologne mit Herbert Grönemeyer und dem in Düren geborenen Michael Lentz, den er endlich einmal live habe erleben wollen. (Ich habe vor wenigen Wochen dessen Roman Schattenfroh gelesen.) Beste Unterhaltung, wie die beiden sich geradezu schelmisch die Bällen zugespielt – und, jetzt kommt’s, immer wieder Gedichte von Mascha Kaléko, Friederike May­röcker, Helga M. Novak, Jesse Thoor und Rolf Dieter Brinkmann vorgetragen hätten. Und während ich die Flasche Laphroaig auf den Tisch stelle, gehen Literatur, Geschichte/n schon weiter. Und – wohin gehn sie, will Quer wissen, aber da spielt auch die Musik bereits weiter. Die Tiere und Bäume machen weiter. Ich mache, wie ge­sagt, jetzt auch (erst mal) weiter – und danach, ja, da­nach sehn wir weiter

 

***

Weiterführend →

Ein Blick ins KUNO-Archiv: Lesen Sie auf KUNO eine Betrachtung der Jugendsünden des RDB. Aufzeichnungen eines Abgeschriebenen von Jamal Tuschik. Einen Besuch des RDB-Hauses, von Enno Stahl. Auch Sophie Reyer hat sich in der Domstadt auf die Spuren von RDB begeben. Einen Artikel über Das wild gefleckte Panorama eines anderen Traums, Rolf Dieter Brinkmanns spätes Romanprojekt, von Roberto Di Bella. Und die Beantwortung der Frage: „Wer hat Angst vor RDB? durch Axel Kutsch. Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.

 

Rolf Dieter Brinkmann ∙ Werk und Herausgabe

  • Ihr nennt es Spra­che. Achtzehn Gedichte (1962)
  • Le Chant du Monde. Gedichte (1964)
  • Die Umar­mung. Erzählungen (1965)
  • Ohne Neger. Gedichte (1966)
  • &-Gedichte (1966)
  • Rau­penbahn. Erzählungen (1966)
  • Was fraglich ist wofür. Gedichte (1967)
  • Godzilla. Gedichte (1968)
  • Die Piloten. Neue Gedichte (1968)
  • Keiner weiß mehr. Roman (1968, Neuausgabe 2005)
  • Acid. Neue amerikanische Szene, hg. von Rolf Dieter Brink­mann u. Ralf-Rainer Rygulla (1969, 1983)
  • Vanille (1969)
  • Frank O’Hara, Lunch Poems und andere Ge­dichte, übersetzt von Rolf Dieter Brinkmann (1969)
  • Silverscreen. Neue amerikani­sche Lyrik (1969)
  • Standphotos. Gedichte (1969)
  • Gras. Gedichte (1970)
  • Ted Berri­gan, Guillaume Apollinaire ist tot. Gedichte, Prosa, Kollaborationen, hg. von R. D. Brinkmann (1970)
  • Westwärts 1 & 2. Gedichte (1975, 1999)
  • Rom, Blicke (1979)
  • Standphotos. Gedichte 1962–1970 (1980)
  • Der Film in Worten. Prosa. Erzäh­lungen. Essays. Hör­spiele. Fo­tos. Collagen. (1982)
  • Eiswasser an der Gua­delupe Str. Gedichte (1985)
  • Erzählungen (1985)
  • Rolltreppen im August. Gedichte (1986)
  • Erkundungen für die Präzisie­rung des Gefühls für einen Auf­stand: Reise Zeit Ma­gazin Tagebuch (1987)
  • Schnitte (1988)
  • Künstliches Licht. Lyrik und Prosa (1994)
  • Guten Tag wie geht es so. Erzäh­lungen (1996)
  • Briefe an Hartmut (1999)
  • Westwärts 1 & 2. Gedichte. Erweiterte Neuausgabe (2005)
  • Vorstellung meiner Hände. Frühe Gedichte (2010)
  • An Unchanging Blue. Selected poems 1962 – 1975. Ausgewählt und übersetzt von Mark Terrill (2011)

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