Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes

Friedrich Hölderlin ist der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Am Eingang des Tübinger Hölderlin-Turms stand jahrelang der Satz aufgesprüht: „Der Hölderlin isch et veruckt gwä!“ Ein Verrückter? Ein Revolutionär? Schwäbischer Idylliker? Oder der Vorreiter aller modernen Poesie? Friedrich Hölderlin, der Mann im Turm, ist umkämpft wie kein zweiter deutscher Dichter. Im 19. Jahrhundert fast vergessen, im 20. Jahrhundert vom George-Kreis wiederentdeckt, von den 68ern als Revolutionär gefeiert Zum 250. Geburtstag erinnert KUNO an den Dichter:

Friedrich Hölderlin, Pastell von Franz Karl Hiemer, 1792

Wenn der Dichter einmal des Geistes mächtig ist, wenn er die gemeinschaftliche Seele, die allem gemein und jedem eigen ist, gefühlt und sich zugeeignet, sie festgehalten, sich ihrer versichert hat, wenn er ferner der freien Bewegung, des harmonischen Wechsels und Fortstrebens, worin der Geist sich in sich selber und in anderen zu reproduzieren geneigt ist, wenn er des schönen im Ideale des Geistes vorgezeichneten Progresses und seiner poetischen Folgerungsweise gewiß ist, wenn er eingesehen hat, daß ein notwendiger Widerstreit entstehe zwischen der ursprünglichsten Forderung des Geistes, die auf Gemeinschaft und einiges Zugleichsein aller Teile geht, und zwischen der anderen Forderung, welche ihm gebietet, aus sich heraus zu gehen, und in einem schönen Fortschritt und Wechsel sich in sich selbst und in anderen zu reproduzieren, wenn dieser Widerstreit ihn immer festhält und fortzieht, auf dem Wege zur Ausführung, wenn er ferner eingesehen hat, daß einmal jene Gemeinschaft und Verwandtschaft aller Teile, jener geistige Gehalt gar nicht fühlbar wäre, wenn diese nicht dem sinnlichen Gehalte, dem Grade nach, auch den harmonischen Wechsel abgerechnet, auch bei der Gleichheit der geistigen Form (des Zugleich- und Beisammenseins), verschieden wären, daß ferner jener harmonische Wechsel, jenes Fortstreben, wieder nicht fühlbar und ein leeres leichtes Schattenspiel wäre, wenn die wechselnden Teile, auch bei der Verschiedenheit des sinnlichen Gehalts, nicht in der sinnlichen Form sich unter dem Wechsel und Fortstreben gleich bleiben, wenn er eingesehen hat, daß jener Widerstreit zwischen geistigem Gehalt (zwischen der Verwandtschaft aller Teile) und geistiger Form (dem Wechsel aller Teile), zwischen dem Verweilen und Fortstreben des Geistes, sich dadurch löse,daß eben beim Fortstreben des Geistes, beim Wechsel der geistigen Form die Form des Stoffes in allen Teilen identisch bleibe, und daß sie eben so viel ersetze, als von ursprünglicher Verwandtschaft und Einigkeit der Teile verloren werden muß im harmonischen Wechsel, daß sie den objektiven Gehalt ausmache im Gegensatze gegen die geistige Form, und dieser ihre völlige Bedeutung gebe, daß auf der anderen Seite der materielle Wechsel des Stoffes, der das Ewige des geistigen Gehalts begleitet, die Mannigfaltigkeit desselben die Forderungen des Geistes, die er in seinem Fortschritt macht, und die durch die Forderung der Einigkeit und Ewigkeit in jedem Momente aufgehalten sind, befriedige, daß eben dieser materielle Wechsel die objektive Form, die Gestalt ausmache im Gegensatze gegen den geistigen Gehalt; wenn er eingesehen hat, daß andererseits der Widerstreit zwischen dem materiellen Wechsel, und der materiellen Identität, dadurch gelöst werde, daß der Verlust von materieller Identität1, von leidenschaftlichem, die Unterbrechung fliehendem Fortschritt ersetzt wird durch den immerforttönenden allesausgleichenden geistigen Gehalt, und der Verlust an materieller Mannigfaltigkeit, der durch das schnellere Fortstreben zum Hauptpunkt und Eindruck, durch diese materielle Identität entsteht, ersetzt wird, durch die immerwechselnde idealische geistige Form; wenn er eingesehen hat, wie umgekehrterweise eben der Widerstreit zwischen geistigem ruhigem Gehalt und geistiger wechselnder Form, so viel sie unvereinbar sind, so auch der Widerstreit zwischen materiellem Wechsel und materiellem identischem Fortstreben zum Hauptmoment, so viel sie unvereinbar sind, das eine wie das andere fühlbar macht, wenn er endlich eingesehen hat, wie der Widerstreit des geistigen Gehalts und der idealischen Form einerseits, und des materiellen Wechsels und identischen Fortstrebens andererseits sich vereinigen in den Ruhepunkten und Hauptmomenten, und so viel sie in diesen nicht vereinbar sind, eben in diesen auch und ebendeswegen fühlbar und gefühlt werden, wenn er dieses eingesehen hat, so kommt ihm alles an auf die Rezeptivität des Stoffs zum idealischen Gehalt und zur idealischen Form. Ist er des einen gewiß und mächtig wie des andern, der Rezeptivität des Stoffs, wie des Geistes, so kann es im Hauptmomente nicht fehlen.

Wie muß nun der Stoff beschaffen sein, der für das Idealische, für seinen Gehalt, für die Metapher, und seine Form, den Übergang, vorzüglich rezeptiv ist?

Der Stoff ist entweder eine Reihe von Begebenheiten, oder Anschauungen, Wirklichkeiten, subjektiv oder objektiv zu beschreiben, zu malen, oder er ist eine Reihe von Bestrebungen, Vorstellungen, Gedanken, oder Leidenschaften, Notwendigkeiten, subjektiv oder objektiv zu bezeichnen, oder eine Reihe von Phantasien, Möglichkeiten, subjektiv oder objektiv zu bilden.

In allen drei Fällen muß er der idealischen Behandlung fähig sein, wenn nämlich ein echter Grund zu den Begebenheiten, zu den Anschauungen, die erzählt, beschrieben, oder zu den Gedanken und Leidenschaften, welche gezeichnet, oder zu den Phantasien, welche gebildet werden sollen, vorhanden ist, wenn die Begebenheiten oder Anschauungen hervorgehn aus rechten Bestrebungen, die Gedanken und Leidenschaften aus einer rechten Sache, die Phantasien aus schöner Empfindung. Dieser Grund des Gedichts, seine Bedeutung, soll den Übergang bilden zwischen dem Ausdruck, dem Dargestellten, dem sinnlichen Stoffe, dem eigentlich Ausgesprochenen im Gedichte, und zwischen dem Geiste, der idealischen Behandlung. Die Bedeutung des Gedichts kann zweierlei heißen, so wie auch der Geist, das Idealische, wie auch der Stoff, die Darstellung, zweierlei heißen, nämlich in so fern es angewandt oder unangewandt verstanden wird. Unangewandt sagen diese Worte nichts aus, als die poetische Verfahrungsweise, wie sie genialisch und vom Urteile geleitet in jedem echtpoetischen Geschäfte bemerkbar ist; angewandt bezeichnen jene Worte die Angemessenheit des jedesmaligen poetischen Wirkungskreises zu jener Verfahrungsweise, die Möglichkeit, die im Elemente liegt, jene Verfahrungsweise zu realisieren, so daß man sagen kann, im jedesmaligen Elemente liege objektiv und reell Idealisches dem Idealischen, Lebendiges dem Lebendigen, Individuelles dem Individuellen gegenüber, und es fragt sich nur, was unter diesem Wirkungskreise zu verstehen sei. Er ist das, worin und woran das jedesmalige poetische Geschäft und Verfahren sich realisiert, das Vehikel des Geistes, wodurch er sich in sich selbst und in andern reproduziert. An sich ist der Wirkungskreis größer als der poetische Geist, aber nicht für sich selber. Insofern er im Zusammenhange der Welt betrachtet wird, ist er größer; insofern er vom Dichter festgehalten, und zugeeignet ist, ist er subordiniert. Er ist der Tendenz nach, dem Gehalte seines Strebens nach dem poetischen Geschäfte entgegen, und der Dichter wird nur zu leicht durch seinen Stoff irre geführt, indem dieser aus dem Zusammenhange der lebendigen Welt genommen der poetischen Beschränkung widerstrebt, indem er dem Geiste nicht bloß als Vehikel dienen will; indem, wenn er auch recht gewählt ist, sein nächster und erster Fortschritt in Rücksicht auf ihn Gegensatz und Sporn ist in Rücksicht auf die dichterische Erfüllung, so daß sein zweiter Fortschritt zum Teil unerfüllt, zum Teil erfüllt werden muß. p. p.

Es muß sich aber zeigen, wie dieses Widerstreits ungeachtet, in dem der poetische Geist bei seinem Geschäfte mit dem jedesmaligen Elemente und Wirkungskreise steht, dieser dennoch jenen begünstige, und wie sich jener Widerstreit auflöse, wie in dem Elemente, das sich der Dichter zum Vehikel wählt, dennoch eine Rezeptivität für das poetische Geschäft liege, und wie er alle Forderungen, die ganze poetische Verfahrungsweise in ihrem Metaphorischen, ihrem Hyperbolischen, und ihrem Charakter in sich realisiere in Wechselwirkung mit dem Elemente, das zwar in seiner anfänglichen Tendenz widerstrebt, und gerade entgegengesetzt ist, aber im Mittelpunkte sich mit jenen vereiniget.

Zwischen dem Ausdrucke (der Darstellung) und der freien idealischen Behandlung liegt die Begründung und Bedeutung des Gedichts. Sie ists, die dem Gedichte seinen Ernst, seine Festigkeit, seine Wahrheit gibt, sie sichert das Gedicht davor, daß die freie idealische Behandlung nicht zur leeren Manier, und Darstellung nicht zur Eitelkeit werde. Sie ist das Geistigsinnliche, das Formalmaterielle, des Gedichts; und wenn die idealische Behandlung in ihrer Metapher, ihrem Übergang, ihren Episoden, mehr vereinigend ist, hingegen der Ausdruck, die Darstellung in ihren Charakteren, ihrer Leidenschaft, ihren Individualitäten, mehr trennend, so stehet die Bedeutung zwischen beiden, sie zeichnet sich aus dadurch, daß sie sich selber überall entgegengesetzt ist: daß sie, statt daß der Geist alles der Form nach Entgegengesetzte vergleicht, alles Einige trennt, alles Freie festsetzt, alles Besondere verallgemeinert, weil nach ihr das Behandelte nicht bloß ein individuelles Ganze, noch ein mit seinem Harmonischentgegengesetzten zum Ganzen verbundenes Ganze, sondern ein Ganzes überhaupt ist und die Verbindung mit dem Harmonischentgegengesetzten auch möglich ist durch ein der individuellen Tendenz nach, aber nicht der Form nach Entgegengesetztes; daß sie durch Entgegensetzung, durch das Berühren der Extreme vereiniget, indem diese sich nicht dem Gehalte nach, aber in der Richtung und dem Grade der Entgegensetzung vergleichbar sind, so daß sie auch das Widersprechendste vergleicht, und durchaus hyperbolisch ist, daß sie nicht fortschreitet durch Entgegensetzung in der Form, wo aber das erste dem zweiten dem Gehalte nach verwandt ist, sondern durch Entgegensetzung im Gehalt, wo aber das erste dem zweiten der Form nach gleich ist, so daß naive und heroische und idealische Tendenz, im Objekt ihrer Tendenz, sich widersprechen, aber in der Form des Widerstreits und Strebens vergleichbar sind, und einig nach dem Gesetze der Tätigkeit, also einig im Allgemeinsten, im Leben.

Eben dadurch, durch dieses hyperbolische Verfahren, nach welchem das Idealische, harmonisch Entgegengesetzte und Verbundene, nicht bloß als dieses, als schönes Leben, sondern auch als Leben überhaupt betrachtet, also auch als eines andern Zustandes fähig betrachtet wird, und zwar nicht eines andern harmonischentgegengesetzten, sondern eines geradentgegengesetzten, eines Äußersten, so daß dieser neue Zustand mit dem vorigen nur vergleichbar ist durch die Idee des Lebens überhaupt, – eben dadurch gibt der Dichter dem Idealischen einen Anfang, eine Richtung, eine Bedeutung. Das Idealische in dieser Gestalt ist der subjektive Grund des Gedichts, von dem aus, auf den zurückgegangen wird, und da das innere idealische Leben in verschiedenen Stimmungen aufgefaßt, als Leben überhaupt, als ein Verallgemeinbares, als ein Festsetzbares, als ein Trennbares betrachtet werden kann, so gibt es auch verschiedene Arten des subjektiven Begründens; entweder wird die idealische Stimmung als Empfindung aufgefaßt, dann ist sie der subjektive Grund des Gedichts, die Hauptstimmung des Dichters beim ganzen Geschäfte, und eben weil sie als Empfindung festgehalten ist, wird sie durch das Begründen als ein Verallgemeinbares betrachtet, – oder sie wird als Streben festgesetzt, dann wird sie die Hauptstimmung des Dichters beim ganzen Geschäfte, und daß sie als Streben festgesetzt ist, macht, daß sie als Erfüllbares durch das Begründen betrachtet wird, oder wird sie als intellektuale Anschauung festgehalten, dann ist diese die Grundstimmung des Dichters beim ganzen Geschäfte, und eben daß sie als diese festgehalten worden ist, macht, daß sie als Realisierbares betrachtet wird. Und so fordert und bestimmt die subjektive Begründung eine objektive, und bereitet sie vor. Im ersten Fall wird also der Stoff als Allgemeines zuerst, im zweiten als Erfüllendes, im dritten als Geschehendes, aufgefaßt werden.

Ist das freie idealische poetische Leben einmal so fixiert, und ist ihm, je nachdem es fixiert war, seine Bedeutsamkeit gegeben, als Verallgemeinbares, als Erfüllbares, als Realisierbares, ist es, auf diese Art, durch die Idee des Lebens überhaupt, mit seinem direkt Entgegengesetzten verbunden, und hyperbolischgenommen, so fehlt in der Verfahrungsweise des poetischen Geistes noch ein wichtiger Punkt, wodurch er seinem Geschäfte nicht die Stimmung, den Ton, auch nicht die Bedeutung und Richtung, aber die Wirklichkeit gibt.

Als reines poetisches Leben betrachtet, bleibt nämlich seinem Gehalte nach, als vermöge des Harmonischen überhaupt und des zeitlichen Mangels ein mit Harmonischentgegengesetzten Verbundenes, das poetische Leben sichdurchaus einig, und nur im Wechsel der Formen ist es entgegengesetzt, nur in der Art, nicht im Grunde seines Fortstrebens, es ist nur geschwungner oder zielender oder geworfner, nur zufällig mehr oder weniger unterbrochen; als durch die poetische Reflexion vermöge der Idee des Lebens überhaupt und des Mangels in der Einigkeit bestimmtes und begründetes Leben betrachtet, fängt es mit einer idealisch charakteristischen Stimmung an, es ist nun nicht mehr ein mit Harmonischentgegengesetzten Verbundenes überhaupt, es ist als solches in bestimmter Form vorhanden, und schreitet fort im Wechsel der Stimmungen, wo jedesmal die nachfolgende durch die vorhergehende bestimmt, und ihr dem Gehalt nach, das heißt, den Organen nach, in denen sie begriffen, entgegengesetzt und insofern individueller allgemeiner voller ist, so daß die verschiedenen Stimmungen nur in dem, worin das Reine seine Entgegensetzung findet, nämlich in der Art des Fortstrebens, verbunden sind, als Leben überhaupt, so daß das rein poetische Leben nicht mehr zu finden ist, denn in jeder der wechselnden Stimmungen ist es in besonderer Form also mit seinem Geradentgegengesetzten verbunden, also nicht mehr rein, im Ganzen ist es nur als fortstrebendes und nach dem Gesetze des Fortstrebens nur als Leben überhaupt vorhanden, und es herrscht auf diesem Gesichtspunkte durchaus ein Widerstreit von Individuellem (Materialem), Allgemeinem (Formalem) und Reinem.

Das Reine in jeder besondern Stimmung begriffenes widerstreitet dem Organ, in dem es begriffen, es widerstreitet dem Reinen des andern Organs, es widerstreitet dem Wechsel.

Das Allgemeine widerstreitet als besonderes Organ (Form), als charakteristische Stimmung dem Reinen, welches es in dieser Stimmung begreift, es widerstreitet als Fortstreben im Ganzen dem Reinen, welches in ihm begriffen ist, es widerstreitet als charakteristische Stimmung der zunächst liegenden.

Das Individuelle widerstreitet dem Reinen, welches es begreift, es widerstreitet der zunächst liegenden Form, es widerstreitet als Individuelles dem Allgemeinen des Wechsels.

Die Verfahrungsweise des poetischen Geistes bei seinem Geschäfte kann also unmöglich hiemit enden. Wenn sie die wahre ist, so muß noch etwas anders in ihr aufzufinden sein, und es muß sich zeigen, daß die Verfahrungsart, welche dem Gedichte seine Bedeutung gibt, nur der Übergang vom Reinen zu diesem Aufzufindenden, so wie rückwärts von diesem zum Reinen ist. (Verbindungsmittel zwischen Geist und Zeichen.)

Wenn nun das dem Geiste direkt entgegengesetzte, das Organ, worin er enthalten und wodurch alle Entgegensetzung möglich ist, könnte betrachtet und begriffen werden, nicht nur als das, wodurch das Harmonischverbundene formal entgegengesetzt, sondern, wodurch es auch formal verbunden ist, wenn es könnte betrachtet und begriffen werden, nicht nur als das, wodurch die verschiedenen unharmonischen Stimmungen materiell entgegengesetzt und formal verbunden, sondern wodurch sie auch materiell verbunden und formal entgegengesetzt sind, wenn es könnte betrachtet und begriffen werden nicht nur als das, was als verbindendes bloß formales Leben überhaupt, und als besonderes und materielles nicht verbindend, nur entgegensetzend und trennend, ist, wenn es als materielles als verbindend, wenn das Organ des Geistes könnte betrachtet werden als dasjenige, welches, um das Harmonischentgegengesetzte möglich zu machen, REZEPTIV sein muß so wohl für das eine, wie für das andre Harmonischentgegengesetzte, daß es also, insofern es für das rein poetische Leben formale Entgegensetzung ist, auch formale Verbindung sein muß, daß es, insofern es für das bestimmte poetische Leben und seine Stimmungen material entgegensetzend ist, auch material verbindend sein muß, daß das begrenzende und bestimmende nicht bloß negativ, daß es auch positiv ist, daß es zwar bei harmonisch Verbundenem abgesondert betrachtet dem einen wie dem andern entgegengesetzt ist, aber beide zusammengedacht die Vereinigung von beiden ist, dann wird derjenige Akt des Geistes, welcher in Rücksicht auf die Bedeutung nur einen durchgängigen Widerstreit zur Folge hatte, ein ebenso vereinigender sein, als er entgegensetzend war.

Wie wird er aber in dieser Qualität begriffen? als möglich und als Notwendig? Nicht bloß durch das Leben überhaupt, denn so ist er es, insofern er bloß als material entgegensetzend und formal verbindend, das Leben direkt bestimmend, betrachtet wird. Auch nicht bloß durch die Einigkeit überhaupt, denn so ist er es, insofern er bloß als formal entgegensetzend betrachtet wird, aber im Begriffe der Einheit des Einigen, so daß von Harmonischverbundenem eines wie das andere im Punkte der Entgegensetzung und Vereinigung vorhanden ist, und daß IN DIESEM PUNKTE DER GEIST IN SEINER UNENDLICHKEIT FÜHLBAR ist, der durch die Entgegensetzung als Endliches erschien, daß das Reine, das dem Organ an sich widerstritt, in eben diesem Organ sich selber gegenwärtig und so erst ein Lebendiges ist, daß, wo es in verschiedenen Stimmungen vorhanden ist, die unmittelbar auf die Grundstimmung folgende nur der verlängerte Punktist, der dahin, nämlich zum Mittelpunkte führt, wo sich die harmonisch entgegengesetzten Stimmungen begegnen, daß also gerade im stärksten Gegensatz, im Gegensatz der ersten idealischen und zweiten künstlich reflektierten Stimmung, in der materiellsten Entgegensetzung (die zwischen harmonisch verbundenem im Mittelpunkte zusammentreffendem, im Mittelpunkte gegenwärtigem Geist und Leben liegt), daß gerade in dieser materiellsten Entgegensetzung, welche sich selbst entgegengesetzt ist (in Beziehung auf den Vereinigungspunkt, wohin sie strebt), in den widerstreitenden fortstrebenden Akten des Geistes, wenn sie nur aus dem wechselseitigen Charakter der harmonischentgegengesetzten Stimmungen entstehen, daß gerade da das Unendlichste sich am fühlbarsten, am negativpositivsten und hyperbolisch darstellt, daß durch diesen Gegensatz der Darstellung des Unendlichen im widerstreitenden Fortstreben zum Punkt, und seines Zusammentreffens im Punkt die simultane Innigkeit und Unterscheidung der harmonischentgegengesetzten lebendigen zum Grunde liegenden Empfindung ersetzt und zugleich klarer von dem freien Bewußtsein und gebildeter, allgemeiner, als eigene Welt der Form nach, als Welt in der Welt, und so als Stimme des Ewigen zum Ewigen dargestellt wird.

Der Poetische Geist kann also in der Verfahrungsweise, die er bei seinem Geschäfte beobachtet, sich nicht begnügen, in einem harmonischentgegengesetzten Leben, auch nicht bei dem Auffassen und Festhalten desselben durch hyperbolische Entgegensetzung, wenn er so weit ist, wenn es seinem Geschäfte weder an harmonischer Einigkeit noch an Bedeutung und Energie gebricht, weder an harmonischem Geiste überhaupt, noch an harmonischem Wechsel gebricht, so ist notwendig, wenn das Einige nicht entweder (sofern es an sich selbst betrachtet werden kann) als ein Ununterscheidbares sich selbst aufheben und zur leeren Unendlichkeit werden soll, oder wenn es nicht in einem Wechsel von Gegensätzen, seien diese auch noch so harmonisch, seine Identität verlieren, also nichts Ganzes und Einiges mehr sein, sondern in eine Unendlichkeit isolierter Momente (gleichsam eine Atomenreihe) zerfallen soll, – ich sage: so ist notwendig, daß der poetische Geist bei seiner Einigkeit, und harmonischem Progreß auch einen unendlichen Gesichtspunkt sich gebe, beim Geschäfte, eine Einheit, wo im harmonischen Progreß und Wechsel alles vor und rückwärts gehe, und durch seine durchgängige charakteristische Beziehung auf diese Einheit nicht bloß objektiven Zusammenhang, für den Betrachter, auch gefühlten und fühlbaren Zusammenhang und Identität im Wechsel der Gegensätze gewinne, und es ist seine letzte Aufgabe, beim harmonischen Wechsel einen Faden, eine Erinnerung zu haben, damit der Geist nie im einzelnen Momente, und wieder einem einzelnen Momente, sondern in einem Momente wie im andern fortdauernd, und in den verschiedenen Stimmungen sich gegenwärtig bleibe, so wie er sich ganz gegenwärtig ist, IN DER UNENDLICHEN EINHEIT, welche einmal Scheidepunkt des Einigen als Einigen, dann aber auch Vereinigungspunkt des Einigen als Entgegengesetzten, endlich auch beedes zugleich ist, so daß in ihr das Harmonischentgegengesetzte weder als Einiges entgegengesetzt, noch als Entgegengesetztes vereinigt, sondern als beedes in Einem, als einig entgegengesetztes unzertrennlich gefühlt, und als gefühltes erfunden wird. Dieser Sinn ist eigentlich poetischer Charakter, weder Genie noch Kunst, poetische Individualität, und dieser allein ist die Identität der Begeisterung, ihr die Vollendung des Genie und der Kunst, die Vergegenwärtigung des Unendlichen, der göttliche Moment gegeben.

Sie ist also nie bloß Entgegensetzung des Einigen, auch nie bloß Beziehung Vereinigung des Entgegengesetzten und Wechselnden, Entgegengesetztes und Einiges ist in ihr unzertrennlich. Wenn dies ist, so kann sie in ihrer Reinheit und subjektiven Ganzheit, als ursprünglicher Sinn, zwar in den Akten des Entgegensetzens und Vereinigens, womit sie in harmonischentgegengesetztem Leben wirksam ist, passiv sein, aber in ihrem letzten Akt, wo das Harmonischentgegengesetzte als Harmonisches entgegengesetztes, das Einige als Wechselwirkung in ihr als Eines begriffen ist, in diesem Akte kann und darf sie schlechterdings nicht durch sich selbst begriffen, sich selber zum Objekte werden, wenn sie nicht statt einer unendlich einigen und lebendigen Einheit, eine tote und tötende Einheit, ein unendlich positives Gewordenes sein soll; denn wenn Einigkeit und Entgegensetzung in ihr unzertrennlich verbunden und Eines ist, so kann sie der Reflexion weder als entgegensetzbares Einiges, noch als vereinbares Entgegengesetztes erscheinen, sie kann also gar nicht erscheinen, oder nur im Charakter eines positiven Nichts, eines unendlichen Stillstands, und es ist die Hyperbel aller Hyperbeln der kühnste und letzte Versuch des poetischen Geistes, wenn er in seiner Verfahrungsweise ihn je macht, die ursprüngliche poetische Individualität, das poetische Ich aufzufassen, ein Versuch, wodurch er diese Individualität und ihr reines Objekt, das Einige, und Lebendige, harmonische, wechselseitig wirksame Leben aufhöbe, und doch muß er es, denn da er alles, was er in seinem Geschäfte ist, mit Freiheit sein soll, und muß, indem er eine eigene Welt schafft, und der Instinkt natürlicherweise zur eigentlichen Welt, in der er da ist, gehört, da er also alles mit Freiheit sein soll, so muß er auch dieser seiner Individualität sich versichern. Da er aber sie nicht durch sich selbst und an sich selbst erkennen kann, so ist ein äußeres Objekt notwendig und zwar ein solches, wodurch die reine Individualität, unter mehreren besondern weder bloß entgegensetzenden, noch bloß beziehenden, sondern poetischen Charakteren, die sie annehmen kann, irgend Einen anzunehmen bestimmt werde, so daß also sowohl an der reinen Individualität, als an den andern Charakteren, die jetzt gewählte Individualität und ihr durch den jetzt gewählten Stoff bestimmter Charakter erkennbar und mit Freiheit festzuhalten ist.

(Innerhalb der subjektiven Natur kann das Ich nur als Entgegensetzendes, oder als Beziehendes, innerhalb der subjektiven Natur kann es sich aber nicht als poetisches Ich in dreifacher Eigenschaft erkennen, denn so wie es innerhalb der subjektiven Natur erscheint, und von sich selber unterschieden wird, und an und durch sich selber unterschieden, so muß das erkannte immer nur mit dem Erkennenden und der Erkenntnis beeder zusammengenommen jene dreifache Natur des poetischen Ich ausmachen, und weder als Erkanntes aufgefaßt vom Erkennenden, noch als Erkennendes aufgefaßt vom Erkennenden, noch als Erkanntes und Erkennendes aufgefaßt, von der Erkenntnis, noch als Erkenntnis aufgefaßt vom Erkennenden, in keiner dieser drei abgesondert gedachten Qualitäten wird es als reines poetisches Ich in seiner dreifachen Natur, als entgegensetzend das Harmonischentgegengesetzte, als (formal) vereinigend das Harmonischentgegengesetzte, als in Einem begreifend das Harmonischentgegengesetzte, die Entgegensetzung und Vereinigung, erfunden, im Gegenteile bleibt es mit und für sich selbst im realen Widerspruche. – Also nur, insofern es nicht von sich selber und an und durch sich selber unterschieden wird, wenn es durch ein drittes bestimmt unterscheidbar gemacht wird, und wenn dieses dritte, insoferne es mit Freiheit erwählt war, insofern auch in seinen Einflüssen und Bestimmungen die reine Individualität nicht aufhebt, sondern von dieser betrachtet werden kann, wo sie dann zugleich sich selbst als ein durch eine Wahl Bestimmtes, empirisch Individualisiertes und Charakterisiertes betrachtet, nur dann ist es möglich, daß das Ich im harmonischentgegengesetzten Leben als Einheit, und umgekehrt das Harmonisch-Entgegengesetzte, als Einheit im Ich erscheine und in schöner Individualität zum Objekte werde.)

a) Wie ist es aber möglich? im Allgemeinen?

b) Wenn es auf solche Art möglich wird, daß das Ich sich in poetischer Individualität erkenne und verhalte, welches Resultat entspringt daraus für die poetische Darstellung? (Es erkennt in den dreierlei subjektiven und objektiven Versuchen das Streben zu reiner Einheit.)

a) Wenn der Mensch in diesem Alleinsein, in diesem Leben mit sich selbst, diesem widersprechenden Mittelzustande zwischen natürlichem Zusammenhange mit einer natürlich vorhandenen Welt, und zwischen dem höheren Zusammenhange mit einer auch natürlich vorhandenen, aber mit freier Wahl zur Sphäre erkornen voraus erkannten und in allen ihren Einflüssen nicht ohne seinen Willen ihn bestimmenden Welt, wenn er in jenem Mittelzustande zwischen Kindheit und reifer Humanität, zwischen mechanisch schönem und menschlich schönem, mit Freiheit schönem Leben gelebt hat, und diesen Mittelzustand erkannt und erfahren, wie er schlechterdings im Widerspruche mit sich selber, im notwendigen Widerstreite 1) des Strebens zur reinen Selbstheit und Identität, 2) des Strebens zur Bedeutenheit und Unterscheidung, 3) des Strebens zur Harmonie verbleiben, und wie in diesem Widerstreite jede dieser Bestrebungen sich aufheben und als unrealisierbar sich zeigen muß, wie er also resignieren, in Kindheit zurückfallen oder in fruchtlosen Widersprüchen mit sich selber sich aufreiben muß, wenn er in diesem Zustande verharrt, so ist Eines, was ihn aus dieser traurigen Alternative zieht, und das Problem, frei zu sein, wie ein Jüngling, und in der Welt zu leben wie ein Kind, der Unabhängigkeit eines kultivierten Menschen, und der Akkommodation eines gewöhnlichen Menschen, löst sich auf in Befolgung der Regel:

Setze dich mit freier Wahl in harmonische Entgegensetzung mit einer äußeren Sphäre, so wie du in dir selber in harmonischer Entgegensetzung bist, von Natur, aber unerkennbarerweise, solange du in dir selbst bleibst.

Denn hier, in Befolgung dieser Regel ist ein wichtiger Unterschied von dem Verhalten im vorigen Zustande.

Im vorigen Zustande, in dem des Alleinseins nämlich, konnte darum die harmonischentgegengesetzte Natur nicht zur erkennbaren Einheit werden, weil das Ich, ohne sich aufzuheben, sich weder als tätige Einheit setzen und erkennen könnte, ohne die Realität der Unterscheidung, also die Realität des Erkennens aufzuheben, noch als leidende Einheit, ohne die Realität der Einheit, ihr Kriterium der Identität, nämlich die Tätigkeit aufzuheben, und daß das Ich, indem es seine Einheit im Harmonischentgegengesetzten, und das Harmonischentgegengesetzte in seiner Einheit zu erkennen strebt, sich so absolut und dogmatisch als tätige Einheit, oder als leidende Einheit setzen muß, entstehet daher, weil es, um sich selber durch sich selber zu erkennen, die natürliche innige Verbindung, in der es mit sich selber steht, und wodurch das Unterscheiden ihm erschwert wird, nur durch eine unnatürliche (sich selber aufhebende) Unterscheidung ersetzen kann, weil es so von Natur Eines in seiner Verschiedenheit mit sich selber ist, daß die zur Erkenntnis notwendige Verschiedenheit, die es sich durch Freiheit gibt, nur in Extremen möglich ist, also nur in Streben in Denkversuchen, die auf diese Art realisiert, sich selber aufheben würden, weil es, um seine Einheit im (subjektiven) Harmonischentgegengesetzten, und das (subjektive) Harmonisch-Entgegengesetzte in seiner Einheit zu erkennen, notwendigerweise von sich selber abstrahieren muß, insofern es im (subjektiven) Harmonischentgegengesetzten gesetzt ist, und auf sich reflektieren, insofern es nicht im (subjektiven) Harmonischentgegengesetzten gesetzt ist, und umgekehrt, da es aber diese Abstraktion von seinem Sein im (subjektiven) Harmonischentgegengesetzten, und diese Reflexion aufs Nichtsein in ihm nicht machen kann, ohne sich und das Harmonischentgegengesetzte, ohne das subjektive Harmonische und Entgegengesetzte und die Einheit aufzuheben, so müssen auch die Versuche, die es auf diese Art dennoch macht, solche Versuche sein, die, wenn sie auf diese Art realisiert würden, sich selbst aufhöben.

Dies ist also der Unterschied zwischen dem Zustande des Alleinseins (der Ahndung seines Wesens) und dem neuen Zustande, wo sich der Mensch mit einer äußern Sphäre, durch freie Wahl in harmonische Entgegensetzung setzt, daß er, eben weil er mit dieser nicht so innig verbunden ist, von dieser abstrahieren und von sich, insofern er in ihr gesetzt ist, und auf sich reflektieren kann, insofern er nicht in ihr gesetzt ist, dies ist der Grund, warum er aus sich herausgeht, dies die Regel für seine Verfahrungsart in der äußern Welt. Auf diese Art erreicht er seine Bestimmung, welche ist – Erkenntnis des Harmonischentgegengesetzten in ihm, in seiner Einheit und Individualität, und hinwiederum Erkenntnis seiner Identität, seiner Einheit und Individualität im Harmonischentgegengesetzten. Dies ist die wahre Freiheit seines Wesens, und wenn er an dieser äußerlichen harmonischentgegengesetzten Sphäre nicht zu sehr hängt, nicht identisch mit ihr wird, wie mit sich selbst, so daß er nimmer von ihr abstrahieren kann, noch auch zu sehr an sich sich hängt, und von sich als Unabhängigem zu wenig abstrahieren kann, wenn er weder auf sich zu sehr reflektiert, noch auf seine Sphäre und Zeit zu sehr reflektiert, dann ist er auf dem rechten Wege seiner Bestimmung. Die Kindheit des gewöhnlichen Lebens, wo er identisch mit der Welt war, und gar nicht von ihr abstrahieren konnte, ohne Freiheit war, deswegen ohne Erkenntnis seiner selbst im Harmonischentgegengesetzten, noch des Harmonischentgegengesetzten in ihm selbst, an sich betrachtet ohne Festigkeit, Selbstständigkeit, eigentliche Identität im reinen Leben, diese Zeit wird von ihm, als die Zeit der Wünsche, betrachtet werden, wo der Mensch sich im Harmonischentgegengesetzten und jenes in ihm selber als Einheit zu erkennen strebt, dadurch daß er sich dem objektiven Leben ganz hingibt; wo aber sich die Unmöglichkeit einer erkennbaren Identität im Harmonischentgegengesetzten objektiv zeigt, wie sie subjektiv schon gezeigt worden ist. Denn, da er in diesem Zustande sich gar nicht in seiner subjektiven Natur kennt, bloß objektives Leben im Objektiven ist, so kann er die Einheit im Harmonischentgegengesetzten nur dadurch zu erkennen streben, daß er in seiner Sphäre, von der er so wenig abstrahieren kann, als der subjektive Mensch von seiner subjektiven Sphäre, eben so verfährt wie dieser in der seinen. Er ist in ihr gesetzt als in Harmonischentgegengesetztem. Er muß sich zu erkennen streben, sich von sich selber in ihr zu unterscheiden suchen, indem er sich zum Entgegensetzenden macht, insoferne sie harmonisch ist, und zum Vereinenden, insofern sie entgegengesetzt ist. Aber wenn er sich in dieser Verschiedenheit zu erkennen strebt, so muß er entweder die Realität des Widerstreits, in dem er sich mit sich selber findet, vor sich selber leugnen, und dies widerstreitende Verfahren für eine Täuschung und Willkür halten, die bloß dahin sich äußert, damit er seine Identität im Harmonischentgegengesetzten erkenne, aber dann ist auch diese seine Identität, als Erkanntes, eine Täuschung, oder er hält jene Unterscheidung für reell, daß er nämlich als Vereinendes und als Unterscheidendes sich verhalte, je nachdem er in seiner objektiven Sphäre ein zu Unterscheidendes oder zu Vereinendes vorfinde, setzt sich also als Vereinendes und als Unterscheidendes abhängig und weil dies in seiner objektiven Sphäre stattfinden soll, von der er nicht abstrahieren kann, ohne sich selber aufzuheben, absolut abhängig, so daß er weder als Vereinendes, noch als Entgegensetzendes sich selber seinen Akt erkennt. In diesem Falle kann er sich wieder nicht erkennen, als identisch, weil die verschiedenen Akte, in denen er sich findet, nicht seine Akte sind. Er kann sich gar nicht erkennen, er ist kein Unterscheidbares, seine Sphäre ist es, in der er sich mechanisch so verhält. Aber wenn er nun auch als identisch mit dieser sich setzen wollte, den Widerstreit des Lebens und der Personalität, den er immer zu vereinigen und in Einem zu erkennen strebt und streben muß, in höchster Innigkeit auflösen, so hilft es nichts, insofern er sich so in seiner Sphäre verhält, daß er nicht von ihr abstrahieren kann, denn er kann sich ebendeswegen nur in Extremen von Gegensätzen des Unterscheidens und Vereinens erkennen, weil er zu innig in seiner Sphäre lebt.

Der Mensch sucht also in einem zu subjektiven Zustande, wie in einem zu objektiven vergebens seine Bestimmung zu erreichen, welche darin besteht, daß er sich als Einheit in Göttlichem-Harmonischentgegengesetztem enthalten, so wie umgekehrt, das Göttliche, Einige, Harmonischentgegengesetzte, in sich, als Einheit enthalten erkenne. Denn dies ist allein in schöner heiliger, göttlicher Empfindung möglich, in einer Empfindung, welche darum schön ist, weil sie weder bloß angenehm und glücklich, noch bloß erhaben und stark, noch bloß einig und ruhig, sondern alles zugleich ist, und allein sein kann, in einer Empfindung, welche darum heilig ist, weil sie weder bloß uneigennützig ihrem Objekte hingegeben, noch bloß uneigennützig auf ihrem innern Grunde ruhend, noch bloß uneigennützig zwischen ihrem innern Grunde und ihrem Objekte schwebend, sondern alles zugleich ist und allein sein kann, in einer Empfindung, welche darum göttlich ist, weil sie weder bloßes Bewußtsein, bloße Reflexion (subjektive, oder objektive,) mit Verlust des innern und äußern Lebens noch bloßes Streben (subjektiv oder objektiv bestimmtes) mit Verlust der innern und äußern Harmonie, noch bloße Harmonie, wie die intellektuale Anschauung und ihr mythisches bildliches Subjekt, Objekt, mit Verlust des Bewußtseins, und der Einheit, sondern weil sie alles dies zugleich ist, und allein sein kann, in einer Empfindung, welche darum transzendental ist und dies allein sein kann, weil sie in Vereinigung und Wechselwirkung der genannten Eigenschaften weder zu angenehm und sinnlich, noch zu energisch und wild, noch zu innig und schwärmerisch, weder zu uneigennützig, d.h. zu selbstvergessen ihrem Objekte hingegeben, noch zu uneigennützig, d.h. zu eigenmächtig auf ihrem innern Grunde ruhend, noch zu eigennützig, d.h. zu unentschieden, und leer und unbestimmt zwischen ihrem innern Grunde und ihrem Objekte schwebend, weder zu reflektiert, sich ihrer zu bewußt, zu scharf und ebendeswegen ihres innern und äußern Grundes unbewußt, noch zu bewegt, zu sehr in ihrem innern und äußern Grunde begriffen, ebendeswegen der Harmonie des Innern und Äußern unbewußt, noch zu harmonisch, ebendeswegen sich ihrer selbst, und des innern und äußern Grundes zu wenig bewußt, ebendeswegen zu unbestimmt, und des eigentlich Unendlichen, welches durch sie als eine bestimmte wirkliche Unendlichkeit, als außerhalb liegend bestimmt wird, weniger empfänglich, und geringerer Dauer fähig. Kurz, sie ist, weil sie in dreifacher Eigenschaft vorhanden ist, und dies allein sein kann, weniger einer Einseitigkeit ausgesetzt in irgend einer der drei Eigenschaften. Im Gegenteil erwachsen aus ihr ursprünglich alle die Kräfte, welche jene Eigenschaften zwar bestimmter und erkennbarer, aber auch isolierter besitzen, so wie sich jene Kräfte, und ihre Eigenschaften und Äußerungen auch wieder in ihr konzentrieren, und in ihr und durch gegenseitigen Zusammenhang und lebendige für sich selbst bestehende Bestimmtheit, als Organe von ihr, und Freiheit, als zu ihr gehörig und nicht in ihrer Beschränktheit auf sich selber eingeschränkt, und Vollständigkeit, als in ihrer Ganzheit begriffen, gewinnen, jene drei Eigenschaften mögen als Bestrebungen, das Harmonischentgegengesetzte in der lebendigen Einheit oder diese in jenem zu erkennen, im subjektiveren oder objektiveren Zustande sich äußern. Denn eben diese verschiedenen Zustände gehen auch aus ihr als der Vereinigung derselben hervor.

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Jubiläen und Gedenkjahre sind ritualisierte Konstrukte und Ereignisse der Kulturgedenkroutine. Oft überlagert die Eventisierung das Anregungspotenzial, das vom gefeierten Klassiker ausgehen könnte. Friedrich Hölderlins Leben ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Es gibt konkur­rierende Gesamtausgaben, die teilweise unterschiedliche Textgestalten präsentieren. In der sogenannten Frankfurter Ausgabe von D. E. Sattler finden sich Reproduktionen der Handschriften. Das Geburtshaus in Laufen am Neckar ist renoviert und zum Museum gestaltet, heute eröffnet es mit einer Ausstellung. Im Hölderlinturm in Tübingen, in dem der Dichter seine zweite Lebenshälfte verbrachte, ist eine neue multimediale Daueraus­stellung zu sehen. Im Marbacher Literatur-Archiv, das die vielfältigen Veranstaltungen zu „Hölderlin 2020“ koordiniert, eröffnete bereits gestern die Ausstellung „Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie“. Der 250. Geburtstag bewegt sich KUNO entlang der poetischen Hölderlinie und versucht sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern.

 

Weiterführend → Ulrich Bergmann hat das Stück „Der Tod des Empedokles“ neu gelesen und fand ein Gedicht.

 Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.

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Wir begreifen die Gattung des Essays auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen.