„Im Kino gewesen. Geweint.“

Es zeigt sich sich […], wie tief die Oper als Konsumgut ‑ auch darin dem Film verwandt ‑ mit Spekulationen aufs Publikum verfilzt ist.

Theodor W. Adorno

Nicht nur Franz Kafka ließ sich (siehe auch den Titel dieser reflektierenden Medienbetrachtung) von Filmen seiner Zeit mitreißen. Der als Autor überschätzte John Updike bemerkte:

„Jedenfalls hat das Kino mehr für mein spirituelles Leben getan als die Kirche. (…) Während sich die christliche Religion überall auf dem Rückzug befindet und immer mehr an Einfluss einbüßt, füllt der Film dieses Vakuum und versorgt uns mit Mythen und handlungssteuernden Bildern.“

In einer anderen analogen Galaxis … waren die Zauberlehrlinge von Hollywood einst Meister darin, mit bewegten Bildfolgen das Publikum gefühlsmäßig stark aufzuwühlen. Star War IV-VI löste spirituelle Erfahrungen bei U-Boot-Christen aus, die allenfalls noch die Christmette absolvieren.

Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben.

Theodor Fontane

Es ist ein alter Hut: „Jede wahre Einmaligkeit verlangt nach anderen Einmaligkeiten“. Das ist der tiefere Grund, warum es sich mit der Vollendung dieser Trilogie rückwärts zur Hexalogie und dann als Ennealogie nicht ausgeht. Das Problem von VII – IX, der Krieg der Sterne war bereits mit VI komplett auserzählt. Weil der Mäuse-Konzern jedoch vier Milliarden Dollar an Lucas gezahlt hat, kommt das Geld nicht mit dem Klingelbeutel nach dem Kinobesuch wieder rein, Kapitalismus muss sich rechnen. (Man sollte sich angelegentlich The Kinks anhören, die 1961 Give The People What They Want sangen.) Und genau das ist es, was man Jar Jar Abrams nicht zu Vorwurf machen sollte, er hat es sowohl der Filmproduzentin Kathleen Kennedy als auch dem großteil des Publikums recht gemacht und das Sequel gerettet.

Kinder, macht Neues! Neues! und abermals Neues! – hängt Ihr Euch an’s Alte, so hat euch der Teufel der Inproduktivität, und Ihr seid die traurigsten Künstler!

Richard Wagner

Glaubt man der Kolportage, so ist IX bei sechs Probevorführungen durchgefallen. Überarbeitungen waren von Nöten. Verwunderlich ist, daß die vielen Einflüße, obwohl nicht immer sachte in den Erzählfluss integriert, am Endprodukt keinen wirklichen Abbruch verursacht hat. Was auf der Leinwand zu sehen ist, faßt die Redewendung kleinster gemeinsamer Nenner zutreffend zusammen, das kann durchaus als Kompliment bezeichnet werden, wenn man sich erinnert, wie der letzte heiße Scheiß diesen Jahres von Benioff und Weiss vor die Wand gefahren wurde (Funfact: Die GoT-Macher sind beim Mäuse-Konzern wieder ausgesstiegen und haben einen Deal mit Netflix geschlossen.) Statt etwas Neues zu machen, bewegt sich Jar Jar Abrams zwischen Retro und dem, was Rosa von Praunheim mit dem Filmtitel „Unsere Leichen leben noch“ treffend auf den Punkt gebracht hat.

May the farts be with you

„Es farzt die Hexe, es stinkt der Bock“, heißt es bereits im Faust. Den Imperator wiederzubeleben ist insofern konsequent, weil das zombifizierte Hollywood mit seinem Wiedergängern aus prequels und sequels auf ein Publikum trifft, die das Ewig Gleiche wollen. Mehr haben die Hipster auch nicht verdient. Und die Nerds beschweren sich dennoch in ihren – wenngleich akademisch fundierten – dennoch systemimmanenten Videobotschaften darüber. Aber wie es mit Modebegriffen wie spoilerfrei und Fanservice so ist: sie drücken nichts aus, ausser eine große Verachtung für die Menschen, für die man vorgibt im Weltnetz kritische Öffentlichkeit herstellen zu wollen.

Star Wars war der Film, der das Herz und die Seele von Hollywood verschlungen hat.

Paul Schrader über das Ende von New Hollywood

Auch die affirmativen Analysejunkies bilden so viel wie eine Urlaubspostkarte ab, die versucht mit einem Sonnenuntergang die Wahrhaftigkeit über wahre Schönheit abzulichten. Jeder dieser, nach klickrates heischenden Filmbeschauer, bewegt sich jedoch in einer Filterblase (schon jetzt das Unwort des Jahres!). Man meint sich umgehen von Dümmlichkeitstwitterern und laberverblödeten Kulturvollzeitstädtern. Bei diesen Wiederkäuern ist unentwegt die Rede Heldenreisen, Begleitern und cosmogonic cycles. Die Dranginkontinenz ihrer Mitteilungskraft verdeckt ihr Ego nur unzureichend, hier zeigt sich das das mediale Stimmengewirr einer dauereregten Gesellschaft.

Campbells große Leistung besteht vor allem in der anthologischen Zusammenfassung und Durcharbeitung eines unendlichen Materials; aus einer unerschöpflich scheinenden Kenntnis der Mythen der ganzen Welt entwickelt er im vergleichenden Verfahren eine großartige und umfassende Monographie und Analyse des Heldenmythos.

Margarete Schüddekopf

Inhaltlich gibt es bei diesem halbwegs gelungenen Future-Recycling von Jar Jar Abrams eigentlich nicht mehr zu sagen (er hätte möglicherweise die abgegriffene Ausgabe von Georg Lucas TB Der Heros in tausend Gestalten lesen sollen – aber das wäre bereits durchgekautes Fanboywissen). Dieser Kinobesuch erinnert an die Fahrt mit einer Dampflokomotive (aka Millenium Falke) vom Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen über den längs gelegten Eifeltum, die Müngstener Brücke, man wird in die Zeit der Industrialisierung zurückversetzt. IX ist ein Film, der auf die Anfänge der Filmkunst zurückverweist, denn die Rolle des Spielleiters war zuerst die eines Mediums, welche das Transzendente erfahrbar macht und so die Welt in ihrem tatsächlichen Sein erschließt. Die Handlung von IX ist so hinreichend schwachsinnig, wie es bei einem Märchenfilm aus dem Sonntagsnachmittagsprogramm sein sollte, sodaß man gern, entspannt im Sessel zurückgelehnt, auf das erlösende Schlussbild mit Mary Sue auf Tatooine wartet, um kafkaesk eine Träne durchs Knopfloch zu drücken.

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Es gilt endgültig Abschied zu nehmen. Nicht nur von diesem analog weit entfernten Teil der Galaxis. New Hollywood sieht, trotz Industrial Light & Magic (ILM) und Computer Generated Imagery (CGI), alt aus. Wie keine andere Kunstform haben TV-Serien die Popkultur im 21. frühen Jahrhundert okkupiert und das Kino als Massenmedium hinter sich gelassen. Der Mäusekonzern hat das im Kielwasser von Netflix und Co mit Verspätung auch bemerkt und mit The Mandalorian einen TV-Star-Wars-Ableger vorgelegt, der erheblich besser funktioniert als IX. Nicht nur Benioff und Weiss haben trennscharf erkannt, daß das Lichtspielhaus nur noch als Glied in einer Verwertungskette dient, das Filmtheater ist zur Abspielstädte der Online-Anbieter geworden, um für relevanten Filmpreise in Frage zu kommen. Kino war das Neue Medium das 20. Jahrhunderts, daher sei Jean-Luc Godard die Nachbemerkung auf die Cinémathèque überlassen:

Kino nannten wir die Filme, die wir nicht sehen konnten. Kino war das Unsichtbare.

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