Urheberrechtsreform

Spotify und YouTube sind keine Archive.

Pelle Snickars

Vor dreißig Jahren hat Tim Berners-Lee das World Wide Web erfunden, das er gerne neu justieren würde. Evgeny Morozov glaubt nicht daran, verkündet er in der NZZ. Bevor Berners-Lee neue Tools entwickelt, möchte Morozov in der NZZ nämlich erst mal festlegen, wer künftig noch was darf: „Es gibt keine digitale Ermächtigung ohne politische Ermächtigung – und die ist nur zu haben, wenn wir uns das World Wide Web nicht mehr als Medium oder Tool denken, sondern als Träger von Infrastrukturen, dank denen wir besser leben, arbeiten und kooperieren können. Zunächst brauchen wir eine Politik für diese Infrastrukturen, die auch Aspekte wie deren politische Ökonomie, die Besitzverhältnisse und die Verteilung der Risiken zwischen diversen öffentlichen und privaten Akteuren einbegreift. Erst dann können wir uns der profaneren Aufgabe zuwenden, die richtigen Mechanismen und Plattformen zu finden, um alle Bestandteile in eine gemeinsame Struktur einzubinden.“

Der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt ist ein kontroverser Entwurf in einem laufenden EU-Gesetzgebungsverfahren, der das Ziel verfolgt, das Urheberrecht der Europäischen Union an die Erfordernisse der digitalen Gesellschaft anzupassen. Der im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren entstandene Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments sowie der im Trilog ausgearbeitete Kompromiss wurde am 26. März im Parlament zur Abstimmung gebracht werden. Die Vorlage des Entwurfs gilt auch nach mehreren Revisionen weiterhin als umstritten.

Friedhelm Greis stellt bei golem.de einige fromme Lügen Mathias Döpfners zum „Leistungsschutzrecht“ richtig. Er bezieht sich dabei auf ein Interview Döpfners in Meedia (unser Resümee), in dem der Springer-Chef unter anderem behauptete, dass gerade auch kleinere und mittlere Medien vom Leistungsschutzrecht profitieren würden. Falsch, so Greis: „Döpfner bezeichnete in dem Interview den ‚Vorwurf‘, dass Axel Springer besonders von der neuen Regelung profitieren würde, als ‚absurd‘. Das ist er aber nicht. Denn die Vergütungen der Verwertungsgesellschaft (VG) Media richten sich zu 98 Prozent an den Klickzahlen der IVW aus. Daher würden die Angebote des Axel-Springer-Verlages wie Bild.de, Welt.de und viele weitere derzeit fast zwei Drittel der Einnahmen nach dem deutschen Leistungsschutzrecht verbuchen. Kleine und mittlere Verlage würden kaum vom Leistungsschutzrecht profitieren, falls es jemals zu nennenswerten Lizenzzahlungen kommen sollte.“  Ganz abgesehen davon, dass sie viele kleine Verlage die Mitgliedschaft in der IVW schlicht nicht leisten können und Blogger von dem Gesetz ganz ausgeschlossen sind!

Die SZ berichtet unterdessen, dass Bundesjustizministerin Katarina Barley der Regierung empfehlen wird, der EU-Urheberrechtsreform zuzustimmen.

Die EU-Urheberrechtsreform ist durch. Nun geht es um die nationale Umsetzung, schreibt Leonhard Dobusch bei Netzpolitik, der auf ein liberaleres Zitatrecht in Deutschland hofft. „In Deutschland sind die Grenzen des Zitatrechts äußerst eng gezogen. Erforderlich für ein rechtmäßiges Zitat ist, dass es als ‚Erörterungsgrundlage‘ für eigene Ausführungen dient (‚Belegfunktion‘) sowie der Umfang eines Zitats im Vergleich zur Länge des zitierenden Werks gering sein muss. Hinzu kommt, dass das Zitatrecht je nach Werksform – Bild-, Musik- oder Textzitat – unterschiedliche Maßstäbe anlegt.“

Friedhelm Greis versucht bei Golem Bilanz zu ziehen über die Niederlage der Netzkaktivisten gegen die „Internetgegner“. Der Geschmack ist bitter: „Die fehlende Evaluierung des Leistungsschutzrechts ist leider ein Beispiel dafür, dass die Debatte über die Urheberrechtsreform möglichst faktenfrei geführt werden sollte. Die ‚postfaktische Politik‘ gibt es leider nicht nur unter US-Präsident Donald Trump. Resultate, die den Reformbefürwortern nicht ins Konzept passten, wurden systematisch unterdrückt. Mahnungen und Kritik von Wissenschaftlern wurden komplett ignoriert. Das galt leider auch für die EU-Kommission.“

Manchmal kann man sich aber auch fragen, ob die Debatte um die Uploadfilter nur ein Paravent war, um die anderen Reformen möglichst widerstandslos durchflutschen zu lassen. Besonders deutlich meldet sich jetzt der Verleger-Ausschuss des Börsenvereins zu Wort, der wieder einen Anteil an den Ausschüttungen der VG Wort haben will – sämtliche Gerichte in Deutschland und Europa hatten die Betiligung der Verleger als rechtswidrig erklärt, bevor sie dann im neuen Gesetzentwurf für das EU-Urheberrecht exhumiert wurde. Nadja Kneissler, Sprecherin des Ausschusses, sagt im Börsenblatt: „Weder kann die Verwertungsgesellschaft Wort noch weitere zwei Jahre auf eine rechtssichere gemeinsame Rechtewahrnehmung warten, noch können die Verlage weiterhin auf ihren fairen Anteil  für die Nutzung der von ihnen verlegten Werke verzichten. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, die vom europäischen Gesetzgeber vorgenommene Korrektur in Bezug auf die Verlegerbeteiligung losgelöst von der Umsetzung anderer Vorschriften der Richtlinie unverzüglich vorzunehmen.“

„Netzaktivisten befürchten inzwischen, dass ähnliche Uploadfilter durch eine EU-Verordnung gegen Terrorpropaganda bald auch aus anderen Gründen eingesetzt werden könnten“, melden Markus Reuter und Alexander Fanta auf Netzpolitik und verweisen auf einen etwas älteren Artikel Markus Beckedahls zum Thema: „Ein Problem, vor dem wir schon lange warnen, sind unklare Definitionen, was Terrorismus-Propaganda ist. Bei Enthauptungsvideos des IS mag das noch offensichtlich sein, bei Klimaprotesten wie im Hambacher Wald ist das aber schon umstritten. Solche Debatten um die Bewertung, was Terrorismus ist, machen deutlich, dass hier schnell auch demokratischer Protest betroffen sein könnte, insbesondere wenn dieser Taktiken des zivilen Ungehorsams anwendet. Und dann gelten die EU-Regeln auch für immer autoritärer werdende Staaten wie Ungarn, wo es sicherlich auch unterschiedliche Interpretationen zwischen Sicherheitsbehörden und Opposition gibt, wer denn jetzt wieso ein Terrorist sein könnte.“

Ein Sinn der Urheberrechtsreform ist es, die Verbreitung kultureller Artefakte zu verhindern, um deren Urheber oder Verwerter zu schützen. In Artikel 13 heißt es, dass ein Unternehmen „nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen unternommen hat, um sicherzustellen, dass bestimmte Werke nicht verfügbar sind“. Für Spiegel-online-Autor Sascha Lobo folgt daraus, dass sich die Macht von Google, die angeblich eingeschränkt werden sollte, vergrößern wird: „Die ‚branchenüblichen Standards‘ für Uploadfilter setzt niemand anders als Google. Die Entwicklung von YouTubes Filtertechnik ‚Content ID‘ hat mehr als 100 Millionen Euro gekostet. Googles Wissensvorsprung eingerechnet könnte die Kreativwirtschaft auch mit 500 Millionen Euro diesen Standard nicht erreichen und stattdessen auf neue oder bereits existente, aber sicherlich nicht bessere Technik zurückgreifen.“

Worauf es bei der EU-Urheberrechtsreform hinausläuft, kann man indirekt einem Interview mit dem Sieger der Lobby-Schlacht Mathias Döpfner in Meedia entnehmen. Informationen, die im Netz noch frei zirkulieren, sollen monopolisiert werden: „Die Reform schafft die rechtlichen Rahmenbedingungen für journalistische Geschäftsmodelle im Netz. Damit entsteht mehr Anreiz, digitale Content-Startups zu gründen, Blogs zu schreiben und journalistische Projekte zu etablieren. Das erzeugt mehr Vielfalt, Innovation und Kreativität im Netz. Denn „das Gesetz etabliert das Prinzip, dass einer, der Inhalte Dritter für kommerzielle Zwecke nutzen will, sich mit dem Publisher auf eine Lizenzgebühr einigen muss.“ Was heißt „Inhalte Dritter für kommerzielle Zwecke“ nutzen? Dürfte der Perlentaucher dieses Interview erst nach Lizenzierung zitieren? Das werden wohl die Gerichte klären…

Friedhelm Greis meldet in golem.de unter Bezug auf ein Tweet von Wirtschaftsminister Altmaier, dass die Bundesregierung trotz ihrer Ablehung von Uploadfiltern der EU-Urheberrechtsreform zustimmte, um „wenigstens das Leistungsschutzrecht zu retten“.

Die Beschlüsse müssen nun in den kommenden zwei Jahren in nationales Recht übersetzt werden, und das wird ein langwieriger und chaotischer Prozess sein, schreibt Danny O’Brien in einer ersten Analyse bei der Electronic Frontier Foundation. „Leider ist es wahrscheinlich, dass die Richtlinie zuerst von jenen Ländern umgesetzt wird, die sie  am meisten verfochten haben. Die französischen Politiker haben sich stets für die schlimmsten Teile der Richtlinie eingesetzt, und die Macron-Regierung könnte versuchen, den Triumph der Medienunternehmen des Landes möglichst früh zu vollenden.“ Und noch ein Problem spricht O’Brien an: Die Direktive ist so vage formuliert, dass viele Streitfragen vor Gericht werden geklärt werden müssen. Doch „wer wird die Internetnutzer vor Gericht vertreten? Big Tech hat ein paar Motive und die Millionen, es zu tun, aber nach dieser schweren Niederlage können sich diese zunehmend defensiven Riesen durchaus entschließen, dass es besser ist, sich außergerichtlich zu einigen und den etablierten Medien ein Schutzgeld zu bezahlen.“

Sehr nützlich auch eine Anlayse von Friedhelm Greis bei Golem, der die gesamte Richtlinie durchgeht und Punkt für Punkt erörtert. Da die Debate in den letzten Wochen so geframet wurde, dass fast nur noch über Uploadfilter diskutiert wurde, aber nicht mehr zum Beispiel über die Leistungsschutzrechte für die Presse, hier Greis‘ Erläuterung zu diesem Artikel: „Er ist sehr stark an die in Deutschland gescheiterte Version des Leistungsschutzrechts angelehnt. Allerdings betrifft er nicht nur Suchmaschinen und Newsaggregatoren, sondern alle ‚Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft‘. Nicht lizenzpflichtig sind ‚die private oder nichtkommerzielle Nutzung von Presseveröffentlichungen durch einzelne Nutzer‘ sowie ‚die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Presseveröffentlichung‘. Hyperlinks bleiben erlaubt, sofern sie nicht mehr als einzelne Wörter oder sehr kurze Auszüge enthalten.“ Blogs sind von diesem Artikel ausgenommen, aber die Frage, was ein Blog ist mag dann erst duch langwieriege Prozesse zu klären sein.

Es gäbe weitaus bessere Wege, Google und Facebook zu regulieren, etwa die ePrivacy-Verordnung, schreibt Markus Beckdahl in einem großartigen Text auf Netzpolitik. Doch die wurde vertagt, „denn auf einmal standen Netzkonzerne und Verlage Seite an Seite, um ihr intransparentes Tracking gemeinsam vor Verbraucherrechten zu beschützen“. Beckedahl betont auch, dass die Urheber bei dieser Reform vielfach schlechter gestellt werden: „Beim Leistungsschutzrecht für Presseverleger hieß es lange Zeit, die Einnahmen würden zwischen Verlegern und Urhebern geteilt. Beim letzten Kompromiss sind die Ansprüche der Urheber dann ‚zufällig‘ zugunsten der Verleger und Medienkonzerne rausgeflogen.“

„Entscheidend .. ist nicht etwa eine Änderung des Urheberrechts – das bleibt in den Grundzügen, wie es war“, erläutert Finn Mayer-Kuckuck zu den Uploadfiltern in der taz: „Die EU-Richtlinie verlagert nun jedoch die Verantwortung für seine Einhaltung vom Nutzer zu den Plattformen. Google, Facebook und Co. sind künftig haftbar, wenn dort Beiträge mit geschützten Inhalten erscheinen. Der Richtlinie zufolge können sie zwar Lizenzen dafür erwerben. Die Befürchtung lautet jedoch, dass sie stattdessen das Hochladen verweigern werden. Jede Sekunde erscheinen 2.000 neue Fotos auf Facebook – wer soll einzeln über die Verwaltung der Rechte entscheiden?“

In Frankreich haben die eng mit dem Staat vernetzten Kulturindustrien extrem starke Lobbies, gegen die sich die Politik kaum zu stellen wagt. Was in Deutschland ein kräftiger Zubiss durch FAZ oder Bild ist, kann in Frankreich durch einen Streik der „Intermittents du spectacle“ ausgelöst werden – arbeitslose Schauspieler und Filmkünstler werden vom Staat bezahlt, wenn sie nachweisen können, wenigstens eine gewisse Zeit im Jahr gearbeitet zu haben. Eine Reihe von Künstlern hat noch am Sonntag im JDD einen Aufruf an die Bürger verfasst, in dem sie das Märchen vom guten Zwerg Google erzählen, der zum bösen Riesen geworden sei: „Wir verteidigen das Recht der Fantasie, das Recht, ein anderes Ende dieses Märchens zu erfinden. Wir verteidigen das Recht, unsere Geschichte zu schreiben und nicht die Geschichte zu leben, die die Riesen für uns beschlossen haben, wir verteidigen das Allgemeininteresse und nicht nur private Interessen, weil wir unser wertvollstes Gemeinwohl, eine gewisse Vorstellung von Demokratie, verteidigen.“

Die französische Wirtschaftszeitung Les Echos interviewt Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, der findet, dass die Reform das Pferd von hinten aufzäumt: „Es sind die Majors, die mehr und mehr wollen. Sie wollen mehr Macht, um mit YouTube zu verhandeln. Warum nicht? Wenn das Gesetz YouTube zwingt, mehr zu zahlen, ist das nicht mein Problem. Da haben wir es mit Verhandlungen zwischen Industriegiganten zu tun. Aber dies erfordert keine Regulierung des gesamten Internets.“

In der FAZ, die vor extrem tendenziösen, die Debatte aber stark beeinflussenden Debattenartikeln und „Recherchen“ (widerlegt hier) nicht zurückschreckte, schreibt Michael Hanfeld, „Von Europa lernen heißt Demokratie lernen“, und beschwert sich über den „Hass und die Häme, die den Befürwortern der Urheberrechtsreform entgegenschlagen“. In der SZ ist Thomas Kirchner hochzufrieden, dass die Reform durchgegangen ist, schimpft auf die Internetgiganten, lässt die Rolle der Verwerter bequemerweise unter den Tisch fallen und erklärt seinen ergrauten Lesern: „Nein, die EU hat keinen Schaden genommen, weil sich die Abgeordneten über den Protest von Millionen vor allem junger Bürger hinweggesetzt haben. Dieses Votum wird Europa stärker machen.“ Beim Springer-Konzern, der die Reform als Lobbyist maßgeblich mit vorangetrieben hat, versichert der umfassend informierte Welt-Redakteur Ulf Poschardt den „umfassend halb informierten jungen Menschen“, die gegen die Reform protestiert haben, sie brauchten keine Angst zu haben: Dies sei nicht das Ende des Internets.

Im Tagesspiegel kritisiert Sebastian Christ die „unfassbare Art und Weise, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist“, in der jede Kritik an der Reform als von den Internetriesen gesteuert diffamiert wurde (wie zuletzt von Jaron Lanier in der Zeit): „Die Wahrheit ist, dass diesen Protestierenden fortwährend die politische Existenz abgesprochen wurde. Sie wurden von führenden Europapolitikern der Union als ‚Bots‘ oder als ‚Fake‘ bezeichnet, später dann noch als Krawallmacher und Quertreiber gebrandmarkt. Daniel Caspary, CDU-Europaabgeordneter aus Baden-Württemberg, schwadronierte in der Bild-Zeitung gar von ‚gekauften Demonstranten‘, die ‚zumindest teilweise‘ von amerikanischen Großkonzernen Geld bekämen. Doch auch die Sozialdemokraten haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Die Noch-Justizministerin Katarina Barley stimmt im EU-Rat erst für die Urheberrechtsreform, nur um dann später – als der Schaden kaum noch zu reparieren war – plötzlich an der Seite der Reformgegner aufzutauchen.“ Die ARD-Tagesthemen interviewen Sascha Lobo zur Abstimmung: „Das Vertraueneiner Generation in die demokratische Politik ist massiv beschädigt worden.“

Martin Sonneborn hat das Abstimmungsverhalten der EU-Abgeordneten getweetet. Am 26. Mai ist Europawahl, da sollte man diese Tabelle noch mal konsultieren. Die CDU hat fast komplett für die Reform gestimmt, die Grünen haben sich mit 5 Abwesenheiten und Ja-Stimmen gegen 6 Nein-Stimmen auch nicht mit Ruhm bekleckert.

Svenja Bergt und Anne Fromm diskutieren in der FAZ Alternativen zu Uploadfiltern. Eine davon wäre die bereits intensiv diskutierte „Kulturflatrate“, die nicht mehr über eine Geräteabgabe, sondern durch Internetnutzung erwirtschaft würde: „Pro Internetanschluss würde ein Betrag fällig, der zum Beispiel über einen der unten genannten Wege an die Urheber:innen fließt.  (…) Von Seite der Urheber:innen stellt sich darüber hinaus die Frage: Was wäre ihr Entgegenkommen? Bei Kassetten und CDs war es die Privatkopie, die damit geduldet wurde. Und heute? Wäre jegliche Nutzung im Netz legal? Der Gedanke, dass beispielsweise nicht nur jegliches Sampeln durch andere Musiker:innen sondern auch bislang illegales Filesharing damit straffrei sein könnte, sorgt für Kritik an diesem Modell.“

Dass Google gegen Artikel 13 (jetzt Artikel 17) ist, heißt nicht, „dass alles, was Google schadet, automatisch Künstlern hilft“, schreibt Alexander Fanta in Netzpolitik in einem abschließenden Kommentar zu der heute anstehenden Abstimmung über das EU-Urheberrecht: „Schon der behauptete Gegensatz ‚Konzernmacht gegen die Künstler‘ ist falsch. Auf beiden Seiten der Debatte um den umstrittenen Artikel 13 stehen Konzerne: Internetgiganten gegen Musik- und Filmindustrie. Vor allem die Rechteinhaber lobbyierten intensiv für die Reform. Das fertige Gesetz, die Urheberrechtsreform, trägt deutlich ihre Handschrift. Kapital kennt keine Grenzen und Konzerne haben keine Heimat. Es hat wenig Belang, ob die Konzerne, die von der Reform profitieren, in Kalifornien sitzen oder in Hannover. Ihr erstes Interesse gilt weder Kunstschaffenden noch Nutzerinnen und Nutzern.“

Verleger Jonathan Beck verteidigt im Interview mit der SZ die geplante EU-Urheberrechtsreform. Auch Artikel 13, der Internetkonzerne für die urheberrechtlichen Verstöße ihrer Nutzer haftbar machen will, sieht er gelassen: „Die deutschen Verlage müssen sämtliche Pflichten, die Artikel 13 jetzt auch den milliardenschweren Internetkonzernen auferlegt, schon seit sehr langer Zeit erfüllen. Wir müssen jede Nutzung abrechnen, wir haben Informationspflichten und so weiter. Als Verleger habe ich an Artikel 13 kein wirtschaftliches Interesse, aber es stört mein Gerechtigkeitsempfinden massiv, wenn es heißt, einer milliardenschweren Plattform sei das nicht zuzumuten. Das Content-Erkennungssystem von Youtube hat angeblich 60 Millionen Euro gekostet. Das ist für Google, was 200.000 Euro für meinen Verlag sind, so viel geben wir für eine Software für die Honorarabrechnung schnell aus.“

Auf der Wirtschaftsseite der FAZ gibt es einen interessanten Hintergrund zum Gemauschel in der EU im Vorfeld der Reform. Demnach stimmt Deutschland ihr auch deshalb zu, weil Frankreich in der Frage der Gas-Pipeline Nordstream Zugeständnisse gemacht habe, so dass Deutschland bei der Urheberrechtsreform die rigide französische Position unterstützt: „Die Franzosen gehören in der EU traditionell zu den Befürwortern eines sehr strengen Urheberrechts. So ist es in Frankreich sogar verboten, Bilder mit Graffiti oder den beleuchteten Eiffelturm auf Foto-Plattformen hochzuladen. Beides wäre in Deutschland wegen der urheberrechtlichen ‚Panoramafreiheit‘ erlaubt.“

Außerdem in der Flut heutiger Artikel zum Thema: Bei heise.dewarnt Jörg Heidrich vor Uploadfiltern. In Zeit onlinesagt der CDU-Politiker Axel Voss, der die Reform maßgeblich betrieben hat: „Was YouTube macht, ist eine Art Enteignung.“ Die EU-Abgeordnete Julia Reda erklärt nochmal die grundsätzlichen Streitpunkte aus ihrer kritischen Sicht. In der FAZ verteidigt der Filmkomponist Matthias Hornschuh die Reform. Schließlich veröffentlicht das Marta Herford den „Herforder Appell“, einen dringenden Aufruf zu einer liberaleren Handhabung von Bildrechten, vor allem auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

Welt-Autor Thomas Schmid ist mit den Protesten gegen die EU-Urheberrechtsreform und die Position der Zeitungen nicht einverstanden: „Die Freiheitsideologie hat sich in diesem Milieu derart zu Beton verfestigt, dass man hier gegen Skepsis und Zweifel immun zu sein scheint. Nicht anders ist es wohl zu erklären, dass die Gegner der EU-Reform Gegenargumente vollkommen missachten und die Übermacht der Monopolisten lautstark beschweigen. Das hat fast etwas Masochistisches und erinnert beinahe an den Hurrapatriotismus junger Kriegsbegeisterter früherer Zeiten.“ Ähnlich sieht es in der SZ Heribert Prantl. Michael Hanfeld sieht es im Feuilleton-Aufmacher der FAZ ähnlich. Und die Europaabgeordnete der Grünen Helga Trüpel sieht es im Interview mit der FAZ auch so.

Und FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube benutzt den in der Debatte nun schon uralten Trick, „geistiges Eigentum“ mit materiellem Eigentum gleichzusetzen. Kateriana Barley und alle Gegner der Reform wüssten doch, dass Diebstahl verboten ist, schreibt er im Leitartikel auf Seite 1 der FAZ: „Und doch betreiben die genannten Politiker wie viele ihrer Parteigenossen das Geschäft von Leuten, denen das Eigentumsrecht gleichgültig ist. Sobald es sich nämlich um geistiges Eigentum handelt und sobald es im Internet kommerziell genutzt wird, finden Barley und ihresgleichen,  finden die FDP und die Grünen im Europäischen Parlament und andernorts den rechtswidrigen Zwischenhandel nicht so schlimm.“ Hilfe, das Internet hat Beethoven die Neunte gestohlen.

In Wirklichkeit ist es andersherum: Erst die Reform macht die Urheber ärmer. Die Demonstrationen am Samstag wandten sich vor allem gegen die drohenden Uploadfilter. Aber dies ist nicht der einzige Inhalt der Reform, schreibt Enno Park im Techblog t3n.de. Es geht auch um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage und Artikel 16 (ehemals Artikel 12, aber die Artikel wurden neu durchnummeriert), der Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften an Verlage ermöglicht und damit auf europäischer Ebene einen Zustand wiederherstellt, der zuvor vom Bundesgerichtshof als ungesetzlich veruteilt wurde. „Selbst wer eine Beteiligung der Verlage angemessen findet, muss zugeben: Die Urheberrechtsreform bricht ihr wie ein Mantra wiederholtes Versprechen, Urheber künftig besser zu stellen. Im Gegenteil: Die Situation von Urhebern verschlechtert sich. Während sie vom Leistungsschutzrecht nichts haben, werden sich durch Artikel 16 ihre Einkommen sogar schmälern.“

Marcel Weiß macht in seinem Blog die überraschende Feststellung, das Marktplätze von den strengen EU-Urheberrechtslinien, die Uploadfilter für Plattormen nach sich ziehen werde, ausdrücklich ausgeschlossen blieben: „Man muss nicht besonders zynisch sein, um eine direkte Verbindung zwischen diesen Ausklammerungen und der Tatsache zu ziehen, dass das das gesamte Geschäft des dominierenden Onlinegeschäft von Axel Springer seit langer Zeit selbst wiederum dominiert wird von Nischen-Marktplätzen. Wer weit über 70 Prozent seines Umsatzes außerhalb von Medien verdient, ist kein Presseverlag mehr. Bild und Welt helfen aber dabei, dieses Geschäft zu beschützen.“

Der Streit um die Uploadfilter ist auch ein Generationenkonflikt, der von der Politik nicht verstanden wird, schreibt Sidney Gennies im Tagesspiegel, wohl auch weil Politiker noch nicht zu der Generation gehören, in denen zwischen On- und Offline gar nicht mehr unterschieden wird: Und „weil Artikel 13 sich explizit an die großen Plattformen richtet, sollen ausgerechnet jene Netz-Giganten entscheiden, was in den digitalen Wohnzimmern und Nachbarschaften noch gesagt und geteilt werden kann, denen sonst zur Last gelegt wird, dass sie zu intransparent sind, ihre Nutzer manipulieren. Selbst Axel Voss gibt zu, dass womöglich ‚die Meinungsfreiheit auch mal eingegrenzt wird.‘ Daher der Furor.“

In der SZ vertritt der Feuilletonchef Andrian Kreye genau wieder jene Position, der Protest sei von außen gesteuert: „Jedoch findet sich das Wort ‚Filter‘ gar nicht im Text des Reformvorschlags. ‚Upload-Filter‘ ist genauso ein Kampfbegriff der Reformgegner wie die Floskel von der ‚Freiheit des Internets‘. Ausgedacht haben sich das auch keine Demonstranten, sondern Lobbyisten und Netz-NGOs, die in Europa Stimmung gegen die EU machen.“

Wenn junge Menschen fürs Klima auf die Straße gehen, werden sie von den Zeitungen gern als rebellische kluge junge Aktivisten gefeiert. Wenn sie gegen die EU-Urheberrechtsreform, an der die Zeitungen ein massives Interesse haben, auf die Straße gehen, beschimpft man sie lieber als Dummköpfe, die das Geschäft der großen Internetkonzerne besorgen. Die Zeit hat sich dafür Jaron Lanier geholt,  der einen „fiktiven Dankesbrief an die naiven Aktivisten“ schicken darf: „Ein großes Dankeschön aus dem Silicon Valley! Wir danken Euch Europäern, insbesondere Euch jungen Mitgliedern der Piratenparteien, dass Ihr die Linken unschädlich und uns damit reich machen wollt. Manchmal reißen wir Witze darüber. Die ganzen Kids, die das Internet frei und offen halten wollen, selbst wenn das, was sie propagieren, am Ende immer nur unsere geschlossenen, monopolistischen Plattformen stärkt. We love it!“

Die Freischreiber machen auf Artikel 12 der europäischen Urheberrechtsrform aufmerksam, die nächste Woche durchs Parlament  gehen soll. Er stellt jene Zustände bei den Verwertungsgesellschaften her, gegen die Martin Vogel erfolgreich geklagt hatte: „In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert die Debatte um Artikel 11 und 13. Dabei wird übersehen, dass vor allem Artikel 12 einer Enteignung von Autoren, Kreativen und anderen Urhebern gleichkommt. So ist darin eine pauschale Beteiligung von Verlagen an den Einnahmen aus Verwertungsrechten vorgesehen. Sowohl der Bundesgerichtshof als auch der Europäische Gerichtshof haben jedoch geurteilt, dass diese Einnahmen ausschließlich den Urhebern zustehen.“

„Wir brauchen ein ganz neues Urheberrecht“, ruft die Science-Fiction-Autorin Sina Kamala Kaufmann im Tagesspiegel: „Der Kern dessen, was Wikipedia, Open Source und Creative Commons ausmacht – also das Kollaborative und das Miteinander – sollte nicht die Ausnahme der Regel sein, sondern der ideelle und technische Standard. Für Bildung, Wissenschaft und Kunst, für eine offene Gesellschaft. Um das, was sich hinter der ideell-gesetzlichen Konstruktion des geistigen Eigentums verbirgt, auch zu erhalten. Alles andere ist alt-kapitalistischer, besitzstandswahrender Irrsinn.“

Im vorderen Teil der Zeit ist dem Thema eine Doppelseite gewidmet. Eine ganze Reihe von Redakteuren stimmt das in dieser Hinsicht sicherlich nicht übermäßig interessierte Publikum des Blatts auf die Position der Verwerterindustrien zu den umstrittenen Artikel 11 und 13 (12 erwähnt ja kaum einer) der EU-Urheberrechtsreform ein und beziehen sich dabei stark auf die Grünen-Politikerin Helga Trüpel die für die Position der „Kreativen“ kämpft: „‚Das ist ein gutes Gesetz‘, sagt Helga Trüpel.“ Als eigentlichen Treiber der Proteste gegen die Reform stellen die Autoren Susan Wojcicki, die Youtube-Chefin, dar. Dass bei der deutschen Politik die andere Lobby gesiegt hat, erwähnen die Autoren aber auch: „Eigentlich hatten CDU/CSU und SPD die Uploadfilter im Koalitionsvertrag ausgeschlossen. Dann aber stimmte die Regierung in Brüssel für die Reform des Urheberrechts und damit indirekt auch für die Filter.“

Julia Reda, ebenfalls Grünen-Abgeordnete in Brüssel und Gegenspielerin Helga Trüpels, rät den Verlagen in einem Interview mit Katharina Nocun von Netzpolitik, statt für Artikel 11, 12 und 13 zu lobbyieren, eher für die e-Privacy-Verordnung einzutreten, die personalisierte Werbung im Internet beschränken will – hier sind die Verlage aber auf der Seite von Google und Facebook.: „Die Umsatzeinbußen, die bei den Presseverlagen in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, haben nichts mit Urheberrechtsverletzungen zu tun, sondern mit den Verschiebungen auf dem Werbemarkt. Dass eben durch das Erstarken von Google und Facebook und deren Nutzung persönlicher Daten einfach die Werbung in der Zeitung nicht mehr so lukrativ ist.“

Auch Sascha Lobo wendet sich in seiner Spiegel-online-Kolumne nochmal gegen die umstrittenen Artikel der EU-Urheberrechtsreform. „Die alte Verwerterindustrie unterstützt ein Gesetzeswerk, das die Refinanzierung der Kreativität zur Industriesache macht. Das ist ein Gesetz des Kapitalismus: Große Konzerne profitieren von großen Strukturen, die nur sie selbst fachgerecht bedienen können. Die Verwerterreform soll in erster Linie klassische Verwerter alternativlos machen.“

In der deutschen Politik gibt es bei strittigen Fragen der EU-Urheberrechtsreform Unsicherheit. In Frankreich ist die Macht der traditionellen Lobbies – besonders der Filmindustrie – noch größer. Alexander Fanta  berichtet bei Netzpolitik, dass die französische Botschafterin in Berlin, Anne-Marie Descôtes, persönlich bei SPD-Abgeordneten für ein Ja vorstellig wurde. „Die Begegnung fand bei einem Europa-Abend der SPD am Donnerstag in Berlin statt. Botschafterin Descôtes bemängelte dort das ‚merkwürdige‘ Verhalten der Partei beim Thema Urheberrecht, berichtet ein Teilnehmer. Botschaftsangehörige verteilten demnach Flyer, die vor ‚falschen Interpretationen‘ der Reform warnen. Auf dem Flugzettel, der netzpolitik.org vorliegt, heißt es, Artikel 13 der Reform führe nicht zu Uploadfiltern. Der Text liest sich wortgleich wie einer des Rechteinhaberverbands GESAC.“

Eine Gefahr bei Artikel 13 (Uploadfilter) benennt Internetaktivist Joe McNamee ebenfalls in Netzpolitik: „In unserer Gesellschaft ist Freiheit die Vorgabe, und Einschränkungen, einschließlich des Urheberrechts, sind die Ausnahme. Deswegen sind Sonderregeln vorgesehen, um übermäßige urheberrechtliche Einschränkungen zu vermeiden. So gibt es beispielsweise im EU-Recht Ausnahmen, sogenannte Schrankenregelungen, für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Privaten, für Satire, Bildung usw. Nach Artikel 13 müssten Filter in der Lage sein, diese Ausnahmen zu erkennen. Doch das können sie nicht. Deswegen wird es unmöglich sein, diese entscheidenden Ausnahmen richtig anzuwenden.“

Und bei der Electronic Frontier Foundation schreibt Cory Doctorow zum geplanten europäischen Leistungsschutzrecht für Presseunternehmen: „Artikel 11 weist eine sehr beunruhigende Unklarheit auf: Er hat eine sehr vage Definition von ‚Nachrichtenseite‘ und überlässt die Definition von ‚Ausschnitt‘ der Gesetzgebung jedes EU-Landes. Schlimmer noch, der endgültige Entwurf von Artikel 11 enthält keine Ausnahmen zum Schutz kleiner und nicht kommerzieller Dienste, einschließlich Wikipedia, aber auch eines persönlichen Blogs. Der Entwurf gibt Medien nicht nur das Recht, Links zu ihren Artikeln in Rechnung zu stellen – er gibt ihnen auch das Recht, die Verknüpfung mit diesen Artikeln ganz zu verbieten (wo ein solcher Link ein Zitat aus dem Artikel beinhaltet), so dass Websites Kritiker bedrohen können, die über ihre Artikel schreiben.“

Brauchen wir Upload-Filter denn wenigstens, um rechte Hassreden im Netz zu löschen? Auf Netzpolitik hat Thomas Rudl auch nach dem Attentat in Christchurch seine Zweifel. Totschweigen funktioniert einfach nicht mehr: „In einer vernetzten Welt, in der kurz nach dem Anschlag Donald Trump weißen Nationalismus und rechtsextremen Terror als keine große Gefahr einstuft, um wenig später, in der Sprache des Attentäters, vor einer ‚Invasion‘ an der US-Grenze zu Mexiko zu warnen, in einer solchen Welt funktioniert es nicht mehr. Einen vorgeblichen ‚Bevölkerungsaustausch‘ beklagt auch der Täter in seinem 74-seitigen Pamphlet. Die deutsche Bundeskanzlerin steht deshalb ganz oben auf der Tötungsliste des weißen Australiers, weil sie ‚wie kaum jemand sonst Europa Schaden zugefügt und ethnisch von seinen Menschen gesäubert‘ habe. Ein Narrativ, das sich in derselben Form bei sogenannten Identitären findet wie auch bei Horst Seehofer, der Migration als ‚Mutter aller Probleme‘ bezeichnet. Mit Ansichten solcher Art dürften die meisten schon mal konfrontiert worden sein, ob im Netz oder offline. Kein Uploadfilter wird sie je aus der Welt schaffen.“

Friedhelm Greis zitiert bei Golem Äußerungen zur Debatte um Uploadfilter für Internetplattformen, unter anderem vom Verhandlungsführer des Europaparlaments, Axel Voss, dessen Interviewaussage bei der Deutschen Welle klingt, als wolle er Youtube ganz abschaffen: „‚Sie [Youtube] haben ein Geschäftsmodell auf dem Eigentum anderer Leute aufgebaut – auf urheberrechtlich geschützten Werken‘, sagte er dem Sender und fügte hinzu: ‚Wenn es die Absicht der Plattform ist, Leuten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken zu geben, dann müssen wir darüber nachdenken, ob diese Art von Geschäft existieren sollte.'“ Greis zitiert auch den UN-Sonderbotschafter für Meinungsfreiheit David Kaye, der Zensur fürchtet: „Ein solch großer Druck für eine Vorfilterung ist eine weder notwendige noch angemessene Antwort auf Urheberrechtsverletzungen im Internet.“

Während Facebook verstärkt auf „Dark Social„, also die private Kommunikation der User untereinander setzt, träumt Philipp Bovermann in der SZ von einer öffentlich-rechtlichenPlattform, in der eine demokratisch digitale Öffentlichkeit jenseits von Filterblasen moderat (und moderiert?) miteinander diskutiert: „Ein Anreiz, sich auf diesen europäischen – eventuell entlang der politischen Verwaltungsebenen untergliederten – Marktplatz zu begeben, könnten Formen der Bürgerbeteiligung sein: Umfragen zu politischen Sachthemen, öffentliche Diskussionsformate oder eine Petitionsplattform. Auf europäischer Ebene sind Bürgerinitiativen per Software bereits rechtlich möglich. Außerdem wächst die Zahl der Bürger, die sich nun endlich berechtigte Sorgen um ihre Daten machen. Als Nutzer eines öffentlich-rechtlichen Netzwerks würden diese nicht mehr bei einem halbseidenen Konzern jenseits des Atlantik landen.“

Die ePrivacy-Verordnung wird vor der Wahl des neuen Europaparlaments nicht mehr durchkommen, berichtet Alexander Fanta bei Netzpolitik. Sie würde es Nutzern erlauben, Tracking-Werbung im Internet ganz leicht abzustellen. Sowohl Datenkonzerne wie Google auch die Verlagsbranche sind dagegen: „Die Verzögerung der Reform erlaubt Datenkonzernen, so weiterzumachen wie bisher. Im Rat der Mitgliedstaaten ist das Gesetz blockiert, da einige Länder den Schutz für Nutzerinnen und Nutzer abschwächen wollen. Deutschland bekennt sich zwar grundsätzlich zu einer Stärkung des Datenschutzes durch ePrivacy, zugleich möchte die GroKo in Berlin ihre Freunde in der Verlagsbranche nicht verprellen.“

„Kommt das von der EU vorgegebene Urheberrecht, werden sich die Einnahmen der Autorinnen und Autoren merklich reduzieren“, konstatiert Wolfgang Tischer literaturcafe.de mit Blick auf den selten diskutierten Artikel 12 der EU-Urheberrechtsreform. Hier sollen die Verlage zurückbekommen, was ihnen in Deutschland durch die von Martin Vogel geführten Prozesse (mehr hier) genommen wurde, nämlich einen Anteil an den von Verwertungsgesellschaften verwalteten Einnahmen aus Kopien, Geräteabgaben und anderen Quellen. „Mit Artikel 12 der neuen EU-Urheberrichtlinie wäre die Verlegerbeteiligung nun sogar auf europäischer Ebene vorgeschrieben. Er trägt die Überschrift ‚Claims to fair compensation‘ (Ansprüche auf angemessene Entschädigung). Es ist davon auszugehen, dass die VG Wort versuchen wird, den derzeitigen freiwilligen Verteilungsschlüssel wieder grundsätzlich anzuwenden, so dass die Autorinnen und Autoren von Fachbüchern auf die Hälfte ihrer VG Wort Einnahmen verzichten müssten und Romanautorinnen und -autoren auf 30 Prozent, wenn die EU-Richtlinie nationales Gesetz wird.“

 

 

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Die aktuellen Krisen, die unseren Globus schütteln, sind begleitet von einer Krise unseres Denkens, die damit auch zu einer Krise unseres politischen, kulturellen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Handelns wird. Wir müssen unser Denken und Handeln verändern und weiterentwickeln. Das ist eine politische Forderung, die in nahezu allen Essays von Joachim Paul implizit enthalten ist.

TRANS- Reflexionen über Menschen, Medien, Netze und Maschinen Aufsätze 1996 – 2013 von Joachim Paul.