Die Suche nach dem Glam

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Eine Reise beginnt. Die Suche nach dem Kitt. Die Suche nach dem Heroin. Die Suche nach dem Glam. Glam kurz für Glamour. Wo findet sich dieser Stoff, der alles besser macht, das Pulver, der Feinstaub, der alle Bedeutung erhöht? Der Zauberstoff, der festklebende Sternenstaub?

Ein Hotel am Rande der Stadt. Pink gestrichene soziale Räume. Verschwommene Möbel, Stehlampen, flüssige Musik. Von der Decke hängen Fotos von Paris Hilton. Auf eine Leinwand wird ein Bogart-Film projiziert, in rauchfreier Version (»Smoke-free edition«). Es ist ein schwüler Maitag am frühen Abend. Die Luft ist warm, aber sie steht nicht. Von oben kommen Knarzgeräusche, von draußen ein leises Zirpen. Kirsten kommt die Treppe herunter, auf dem Oberarm hat sie eine Palme tätowiert. Kirsten stöckelt durchs Foyer des Strandhotels und lächelt. In der rechten Hand, steif, hält sie eine Zigarette. Sie erkennt mich, ich sehe fremd aus. Ich stehe aus einem roten Ledersessel auf, strecke die Hand aus und wechsele ein paar Worte mit ihr. Kirsten frischt ihr Deutsch auf. Wir reden über ihre Großmutter, über weit entfernte Landschaften, über deutschen Kaffee und kalifornische Orangen, über ihre Filme reden wir nicht. Ich gebe ihr einen Zettel mit Sätzen. Sie wird sich, so hoffe ich, einige dieser Sätze merken. Wir verabreden uns für den nächsten Tag. Zum Abschied schenke ich ihr ein Buch: Der Tod in Venedig.

Im Originaldeutsch. Death in Venice, heißt das Buch auf Englisch, sage ich zu ihr, sie denkt an den Strand, an Venice Beach. Dann erinnert sie sich, den Film gesehen zu haben. In einem ehemaligen Pornokino in New York. Sie macht eine Geste, sie führt die Hand an die Stirn und lacht. Dann sucht sie einen Aschenbecher, ich sage, nehmen Sie den großen, das machen hier alle. Sie schüttelt den Kopf, undenkbar, den großen zu benutzen. Sie findet eine Vase.

Eine bleiche Frau, fast albinohaft. Mit wasserblauen Augen hinter einer runden Brille mit hellem, brauntönigen Rand. Sie ist etwas verhuscht, etwas schüchtern. Da ich sie will, da ich sie wirklich will, komme ich mit meiner eigenen Schüchternheit besser zurecht. Die Frage nach der Arbeit. Die Frage der Arbeit. Wie alle wünscht sie sich, weniger arbeiten zu müssen. Alle wollen weniger arbeiten. Weniger Arbeit. Die Hälfte der Arbeit, das doppelte Honorar. Man kommt auch schlechter in die Arbeit, je länger man fortgeblieben ist. Wir wollen weniger Pädagogik. Weniger Pädagogik und weniger Arbeit. Sie verschwindet, wie sie immer verschwindet, in einen Rückraum, oder auf den Rücksitz, oder die Treppe wieder hoch. Ich sehe ihr nach. Ich sehe ihr nach, wie ich ihr immer nachsehe. Am Ende haben wir uns geduzt, zumindest auf Englisch. Ich sehe die hellbraunen Sohlen ihrer Schuhe. Ich sehe ihre Waden, die selbstredend sexy sind. Schwitzt sie? Tropft es auf das dunkle Holz der Treppen?

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Auszug aus: Die Suche nach dem Glam, von René Hamann. edition taberna kritika 2017

“Alltag der Schriftstellerei: Fortwährender Abgleich von Realität, Leben und Text. Verfassen von Texten über Realität, Leben und andere Texte, Verfassen von Texten zum Abgleich von Realität, Leben und Texten. Texte über Souveränität. Texte über Kalamitäten, Empathie und Notwendigkeit. Vielbücherei. Zaubern können hieße, die eigenen Misanthropien auszuleben. Menschen verwandeln, Erziehung ohne Pädagogik, Verschönerung ohne Nachfrage. Die betuchteren Gebiete der Fantasie. Tatsächlich bekommt das alles etwas sehr Unwirkliches, verglichen mit der Realität. Sitzt man vor dem Café als Texter und begegnet den Textverwaltern, den Redakteuren, stellt sich ein Gefühl von unguter Beobachtung ein. Mein Gesang wirkt schief, undeutlich, im Grunde auch lächerlich (ich hüpfe probeweise in ein anderes Leben, als könnte ich nur noch extrem). Nie wieder ungerächte Geschmacksmusterver­letz­ung­en. Eine weiche Freiheit. Ein Kuss im Baumarkt, ein Rührfilm, eine schöne Gegend mit viel Natur. Die Feuilletonisten verhandeln mit den Obstverkäufern, eine gerettete Welt. Keine Bücher in schwarzen Umschlägen, keine schwarze Pädagogik. Urheberrecht für alle.”