Blade Runner · Re:Revisited

Kann das gelingen? Eine Fortsetzung von Ridley Scotts Science-Fiction Blade Runner. Denis Villeneuves „Blade Runner 2049“ braucht sich nicht zu verstecken

Kein Sonnenlicht, sondern lediglich die Scheinwerfer von Drohnen dringen im Los Angeles des Jahres 2049 durch den Smog. Die Stadt ist nicht nur von Menschen, sondern auch von Hologrammen und künstlichen Menschen, den sogenannten Replikanten, bewohnt, die ihnen jedoch nicht mehr als Sklaven dienen, wie noch Jahre zuvor. Der neue bioidentische Replikantentyp Nexus 9, der von der Wallace Corporation einige Jahre zuvor auf den Markt gebracht worden ist, hegt keinerlei Groll mehr gegen seine Erbauer. Er tut seinen Dienst nur so lange, bis seine programmierte Lebenszeit abgelaufen ist und stirbt dann. Da die Ökosysteme zusammengebrochen sind und es keine echten Tiere und keine Pflanzen mehr gibt, werden in weitläufigen Gewächshäusern vor der Stadt proteinreiche Käferlarven gezüchtet, von denen sich die Menschen ernähren.

Was unterscheidet die Menschen von den Maschinen? Von den Maschinen, die inzwischen aussehen wie sie, die bluten wie sie, auch wenn ihre Wunden schneller heilen, die sterben wie sie, auch wenn es länger dauert, und die sich an ihren, der Menschen, Erinnerungen, die ihnen implantiert wurden, festhalten, wenn sie innerlich verlorenzugehen drohen?

Verena Lueken

Auch wenn das Replikantenproblem der Vergangenheit weitgehend gelöst zu sein scheint, gibt es noch Replikanten-Jäger wie Officer K vom Los Angeles Police Department, der mit seinem Spinner, einem fliegenden Sportwagen, der von einer Drohne begleitet wird, seine Einsätze unternimmt. Der Officer, der selbst ein besonders hochentwickelter Replikant ist, versucht, im Verborgenen lebende Replikanten aufzuspüren, die wegen ihrer unbegrenzten Lebensdauer aus der Produktion genommen wurden, um diese „in den Ruhestand zu versetzen“, also zu töten.

Die Figur des K. könnte einem Roman von Kafka entsprungen sein

Officer K bewohnt ein kleines Apartment und wird von seinen Nachbarn als „Skinner“ nur wenig geschätzt. Entspannen kann er sich dank Joi, seiner holografischen Gespielin, die sich ihm in ständig wechselnden Outfits präsentiert, ihm abends Trost spendet und ein virtuelles Abendessen serviert. Eines Tages macht er ihr einen sogenannten Emanator zum Geschenk, mit dem sie die vier Wände zum ersten Mal verlassen kann. Mit Hilfe des Geräts spürt sie auf dem Dach des Hauses erstmals Regen auf ihrer holografischen Haut. Er teilt seine Geheimnisse mit Joi und sie bemüht sich umgekehrt im Rahmen ihrer Algorithmen, ihm eine echte Freundin zu sein. Doch sie kann ihm nicht für seine sexuellen Wünsche zur Verfügung stehen, weshalb sie eine Prostituierte für ihn anheuert, die sich später auch als Replikantin herausstellt.

Im Film zeigen wir, dass Replikanten und Menschen praktisch dasselbe sind. Der einzige Unterschied besteht darin, wie sie zur Welt kommen. Der Rest – die Gefühle, die Träume, der Wille zu leben – ist gleich. Tatsächlich zeigen Replikanten manchmal mehr Empathie und Barmherzigkeit als die echten Menschen.

Ana de Armas verkörpert im Film Joi

Auf dem Grundstück des von K getöteten Farmers Sapper Morton, an dessen Papiere er über einen Tipp gekommen ist, wird eine Kiste ausgegraben, die die Knochen einer Frau enthält. Niander Wallace, der die Tyrell Corporation nach ihrem Konkurs übernommen hat, wird auf diesen Fund aufmerksam. Die Überreste weisen einerseits eine Seriennummer auf, andererseits verraten sie, dass die Replikantin vor dreißig Jahren ein Baby entbunden hat und dabei gestorben ist. Dem Geschäftsmann Niander Wallace fehlt eine solche zeugungsfähige Replikantin noch in der Produktpalette.

Der Replikant ist der an seiner Uneigentlichkeit und Versklavung, an seiner Fremdbestimmung und Unvollständigkeit leidende Mensch.

Georg Seeßlen

Ks Vorgesetzte Lieutenant Joshi, genannt „Madam“, ist über die Nachricht von diesem Fund besorgt. Die Chefin des LAPD glaubt, dass ein solches Kind einen Krieg oder ein Massaker auslösen könnte, wenn mit der Gebärfähigkeit der letzte Vorsprung der Menschen gegenüber den Replikanten verloren wäre. Officer K soll daher das Kind finden und eliminieren. Seine Suche führt ihn aus Los Angeles heraus, erst nach San Diego, das als riesige Müllkippe dient, dann zur geheimnisvollen Erinnerungskonstrukteurin Dr. Ana Stelline und schließlich nach Las Vegas. Das ehemalige Vergnügungsparadies liegt nach einem Atomkrieg und mehreren Nuklearunfällen inmitten eines radioaktiv verseuchten Sperrgebiets. Ein Blackout hat vor Jahren sämtliche elektronischen Daten gelöscht und damit auch einen großen Teil der kollektiven Erinnerung der Menschheit.

Wie gehen die Menschen um mit künstlicher Intelligenz, wie human zeigen sie sich im Umgang mit Replikanten?“

Jochen Kürten

In der Geisterstadt trifft er Deckard, der einst selbst ein Blade Runner war, nun aber ein Gejagter ist wie alle anderen Renegaten. Deckard versteckt sich dort seit dreißig Jahren in einem alten Casino. Bei der toten Replikantin handelte es sich um Rachael, die mit Rick Deckard viele Jahre zuvor vor den Killern der Tyrell Corporation geflohen war. Officer K glaubt nach seinem Besuch bei Dr. Stelline, dass er selbst das von Rachael geborene Kind ist.

Die Figur der Replikantin Rachael, die im Film als erste ihrer Art ein Kind zur Welt brachte, verweist auf die in der Bibel erwähnte Rachel. Während Jakobs erste Frau Lea mehrere Söhne gebar, blieb seine zweite Frau Rachel unfruchtbar, bis sie nach vielen Jahren doch noch schwanger wurde und Jakob die Söhne Josef und Benjamin schenkte. Rachel starb jedoch, wie Rachael im Film, bei Benjamins Geburt.

Luv, die Assistentin von Niander Wallace, die ebenfalls eine Replikantin ist, macht Deckard und Officer K in Las Vegas ausfindig, überwältigt K im Kampf und bringt Deckard zu Wallace. Währenddessen wird Officer K, der sich Deckard als Joe vorgestellt hatte, von einer geheimnisvollen Gruppe geborgen: Unter der Führung von Freysa ist es einigen Replikanten gelungen, sich zum Widerstand zu formieren. Sie verlangen von Joe bzw. K, Deckard zu töten, damit dieser sie nicht an Wallace verraten könne. Zur gleichen Zeit wird Deckard von Wallace verhört; als Tausch für die Information, wo sich sein Kind aufhält, bietet ihm Wallace eine Replik von Rachael an. Als Deckard ablehnt, tötet Luv die neue Rachael.

Wie jeder echte Held ist auch K auf der Suche nach sich selbst, forscht nach der Seele im Replikantendasein und versucht, seine eigene Herkunft zu enträtseln.

Martin Schwickert

Deckard wird abgeführt und es kommt zum finalen Duell zwischen Joe und Luv. Joe gelingt es schließlich, Luv zu töten. Anschließend führt er Deckard zum Haus seiner Tochter, der dieser nie zuvor begegnet ist. Es handelt sich um Dr. Ana Stelline. Joes vermeintliche Kindheitserinnerungen stammen in Wirklichkeit von ihr. Joe, im Kampf mit Luv schwer verletzt, verbleibt außerhalb des Gebäudes im Schneetreiben.

Replikanten, menschlicher als menschlich

Slogan der Tyrell Corporation

Der Film lässt wie bereits der Vorgänger offen, ob es sich bei Deckard um einen Menschen oder Replikanten handelt, was wiederum die Frage offen lässt, ob es sich bei Rachaels Kind um einen Hybriden handelt oder aber um ein von zwei Replikanten gezeugtes Kind.

 

 

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Blade Runner 2049. von Denis Villeneuve

KUNO hat ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Daher sei sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso eindrücklich empfohlen wie Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Ebenso verwiesen sei auf Trash-Lyrik.