herzwortweben

 

Dorothea Nürnbergs Publikationsliste ist lang und vielfältig. Sie schrieb Romane: Tochter der Sonne, Unter Wasser. Der Sterntänzer. Gestern vielleicht. – Erzählungen: Spiegelbilder. Poetische Reiseführer: in 18 Touren um die Welt. Sie schrieb Kurzweiliges und Eiliges, eine Gedankenversammlung. Und Meditationen aus Meer und Sand, Onda. Und die Gedichte: Der erste Gedichtband war BewusstSein im Werden.

Oft gibt ein brennendes Anliegen den Impuls zum Schreiben. Ihre beiden Amazonien-Romane (Tochter der Sonne und Unter Wasser) behandeln die Bedrohung und Zerstörung des Regenwaldes und die Vertreibung seiner Bewohner. Sie hat in langen und anstrengenden Reisen dies alles selbst gesehen und erlebt. Ihr intensiver Bezug zu Südamerika, besonders zu Brasilien, besteht schon seit Studienzeiten. Im Sterntänzer geht es um Sufi-Philosophie und die sehr differenzierten Situationen und Probleme der Moslems in Wien. Einen Einblick in diese Welt muslimischer Zuwanderer konnte Dorothea Nürnberg schon während ihres Studiums in Paris gewinnen.

Auch die Kunstfotografie gehört zu ihrem Leben und Schaffen – und diese gesamte Flut und Fülle von Bildern, Erlebnissen, Erfahrungen, Gedanken wirkt mit an dem Gewebe aus Worten, ist den Gedichten, die wir heute vorstellen, in abstrahierten, hochkonzentrierten, homöopathischen Dosen eingewebt. Und auch Dorothea Nürnbergs jahrelange Beschäftigung mit Malerei hat ihren Anteil daran. Wort und Bild durchdringen einander – da ist kein Zwischenraum.

herzwortweben. Es ist hervorzuheben und eine besondere Auszeichnung für Dorothea Nürnberg, dass sie mit diesem Gedichtband als erste österreichische AutorIn im Juni beim Festival Internacional de Poesia in Buenos Aires vertreten sein wird.

Ich habe den Begriff Wortkunst in Dorotheas Frankreich-Text in den 18 Touren um die Welt gefunden. Nicht Sprachkunst, Wortkunst. Und ich dachte, dass Dorothea, die französische Philologie studiert hat, von den Franzosen deren intensive Liebe zu ihrer Sprache auf ihre Weise in ihre eigene Muttersprache übernommen hat. Liebe, wie sie in ihren Werken zum Ausdruck kommt: das ist Leidenschaft, Zärtlichkeit, Verspieltheit, Sinnlichkeit, die gesteigerte Lebendigkeit aller Sinne und tiefer Ernst. – Herzwort

Die Worte in diesen Gedichten sind fast nie in Zeilen gefasst, sie stehen einzeln oder nur zwei nebeneinander. Sie stehen auch nicht untereinander in einer Reihe, linksbündig wie üblich oder zentriert. Jedes Wort möchte Platz haben um sich herum. Es steht ja nicht nur für sich und seine wenigen Buchstaben. Es hat Horizonte hinter sich und Schichten unter sich. Jedes ist wichtig in dem Gewebe, das nicht auseinanderfällt, nicht reißt. Schuss und Kette, Bedeutung und Klang. Karl Krolow meint, die Kraft eines Gedichtes hängt von den Worten ab, aus denen es besteht. „Aus dem Umgang der Worte miteinander, innerhalb eines Gedichtes, einer kurzen, intensiven, glaubwürdigen Verbindung.“ Der Faden des Gedankens, der Gedankenfaden läuft hindurch bis an sein Ende, traumwandlerisch und konsequent. Ein Gedicht muss zu Ende gedacht, besser gesagt ‚gedichtet‘, sein. Das ist die Energie seiner Struktur, seiner Komposition. Was aber die Verständlichkeit eines lyrischen Gedichtes betrifft, so spricht es für den Rang eines Textes, wenn er den Leser dazu animiert, sich im Dunklen, und auch im Unverstandenen, noch nicht Verstandenen einzurichten und aufzuhalten.

Die optische Erscheinungsform der Gedichte erinnert an choreografische Skizzen. Das Wort möchte sich bewegen mit der Ausdruckskraft des Tanzes, dieses ganz und gar Ganzen, Lebendigen . „tanzende / worte / suchen / gestalt // …“ , oder „alte tänze / weben / neue lieder.“ Das Gewebe ist flächig, der Tanz bedarf des Raumes, einer weiteren Dimension: Dynamik und Vitalität. – Diese Gedichte suchen nicht nur nach der Seele des Wortes, sie beschwören sie. „kranke worte / suchen / heilung.“ – „neue / worte / weben / am abgrund / zeit…“ „worte / weben / in perlmutt / und glas…“ – „schreiben / gegen / verstummen / angesichts / des / verwunschenen / wortes“

 

 

 

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Herzwortweben, Gedichte von  Dorothea Nürnberg. Ibera, 2017

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.