Auf eine Brottüte notiert

 

Mit Nussbrot und mehreren Brezeln in der Tüte verlasse ich die Bäckerei. Am Ende der Straße sitzt ein Mann mit zwei Windhunden, die nicht umsonst so heißen. Dauernd ändern sie ihre Körperhaltung oder zumindest die Richtung ihrer Nasen und Blicke. Ganz anders der Mann. Er sagt nichts, verlangt nichts, schaut die Passanten nicht an. Der Mann mit dem erstarrten Lächeln ist kein Bettler. Anscheinend auch kein Straßenmusiker, jedenfalls kein gewöhnlicher. Zwar liegt eine Violine mit abgeblätterter Lackfarbe neben ihm auf dem Strandtuch, aber er fasst sie nicht an, scheint sie noch nicht einmal zu sehen. Ein Gegenstand, an dem er vielleicht hängt und den er in seiner Nähe wissen will. Oder er wurde gebeten, verpflichtet, sogar verflucht, diese Geige überallhin mitzunehmen. Nicht nur die Geige, eine ganze Geschichte scheint er mit sich zu tragen, von Ort zu Ort, ohne nur einen Augenblick etwas davon zu verraten. Nur die kleinen Wollknäuel in Gelb- und Rotocker oder anderen Erdfarben, die zum Verkauf zwischen ihm und der Geige hingestellt wurden, erinnern mich an die Nomaden, die durch unser Dorf zogen oder sich dort auf der Wiese eine Zeitlang aufhielten. In der Nacht, als ich fünfzehn wurde, versteckte ich mich unter der Plane eines Pferdewagens, der nur den Ältesten ihrer Sippe zustand, da ich glaubte, sie hätten keine so scharfen Augen und Ohren mehr. Ich wollte frei durch die Welt mitziehen und zwischendurch lernen, Teppiche in allen Farben zu weben. Sie waren schon lange weg, als jemand, der mich beim Eintauchen der Schafwolle in Zwiebel- und Nussblätterlauge sah, zu mir rief: Zigeunerin! Er wollte, dass ich im Mondlicht Nabel und Hüften entblöße und für ihn tanze …

Als ich ein Knäuel vom Boden aufhebe und gegen die milde Herbstsonne halte, zuckt der Mann mit den Windhunden, brummelt etwas in den Bart und wickelt die Wolle wieder auf.

 

Further reading →

Wir verleihen Francisca Ricinski in 2016 den KUNO-Prosa-Preis. Lesen Sie hier die Begründung.