Autorengespräche

Das einzige, was ich mir wirklich wünsche, ist, zurückgezogen zu leben. Ich will nur in Ruhe gelassen werden.

Elfriede Jelinek

Carsten Gansel ist ein umtriebiger Mann. Er ist Autor von Monographien, Herausgaben, Editionen zur deutschen Literatur des 19. bis 21. Jahrhunderts. Er ist Mitherausgeber der wissenschaftlichen Reihen Deutschsprachige Gegenwartsliteratur und Medien, G.E. Lessing im kulturellen Gedächtnis. Zudem hat er mehr als 250 wissenschaftliche Aufsätze verfasst, die sich mit Autoren wie Gotthold Ephraim Lessing, Hermann Hesse, Erich Kästner, Hans Fallada, Johannes R. Becher, Erich Loest, Hans Werner Richter, Uwe Johnson, Christa Wolf, Brigitte Reimann, Günter Grass, Erwin Strittmatter oder Jenny Erpenbeck beschäftigen. Darüber hinaus hat er in Beiträgen unterschiedliche Literatursysteme untersucht, ist dem Verhältnis von Literatur und Gedächtnis nachgegangen oder hat sich auf der Grundlage der systemtheoretischen Arbeiten von Niklas Luhmann seit 2008 mit der Rolle von Störungen in Literatur- und Mediensystemen auseinandergesetzt.

Für mich hat jedes Buch eine andere Tonart. Und ich muss diese Tonart finden.

Peter Härtling

Der Band „Literatur im Dialog“ vermittelt anregende Einblicke in die Werkstatt der Schriftsteller. Herausgeber des Bandes ist Norman Ächtler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik der Universität Giessen, also ein Kollege von Carsten Gansel. Er liefert eine sehr gute Einleitung, in der er u.a. die Einwände gegen das Interview als Praxis der Erkenntnisgewinnung anspricht, selbstverständlich um sie zu dekonstruieren: Das Problem der Authentizität wird überwunden, indem die Zuverlässigkeit selbst zum expliziten Thema der Gespräche gemacht wird; dem Problem der Autorintention, der bekannten Gefahr, die „Polyvalenz literarischer Texte vermeintlich leichtfertig auf die Selbstaussagen des Autors“ zu reduzieren, wird entgangen, indem auf den augenfälligen Unterschied zwischen Theorie (Tod des Autors) und Praxis (Lesehaltung der meisten Leser) verwiesen wird. Diese „Literatur im Dialog“ fällt in den jeweiligen Antworten auf die wiederholt gestellte Frage nach dem Schreibprozess und der Bedeutung des Anfangs unterschiedlich aus.

Meine Texte sind ja auch Lesetexte. Also ich schreibe sie auch laut, ich schreibe ja nicht still, sondern ich spreche sie und korrigiere und höre, wie sie klingen.

Jutta Richter

Diese Gespräche mit Autorinnen und Autoren 1989–2014 liest KUNO als Gegenstück zu den Kollegengesprächen, die A.J. Weigoni zum 30. Jahrestag der VS gemacht hat. Zwischen 1995 und 1999 hat A.J. Weigoni im Rahmen seiner Arbeit für den VS Kollegengespräche mit Schriftstellern aus Belgien, Deutschland, Rumänien, Österreich und der Schweiz geführt. Sie arbeiteten am gleichen „Produkt“, an der deutschen Sprache. Die Publikation ist zum 30. Jahrestag des VS erschienen. Eines der wichtigsten Medien, die Aufschluß über Intentionen, Erfahrungen und Einstellungen von Autorinnen und Autoren gibt, ist heute beinahe völlig verschwunden. An die Stelle der Briefpost ist weitgehend die elektronische Mail getreten. Der Briefwechsel aus der Reihe Kollegengespräche demonstriert die kommunikative Bedeutung einer untergegangenen Kulturtechnik. Diese Dialoge sind zugleich literarische Dialoge und dialogische Literatur, wir lesen Dialoge der Schriftsteller auf die Spur dieser Beziehungen und Interaktionen in doppeltem Sinne. Die Kollegengespräche sind eine lesenswerte Parallelerzählung zu Biografie und literarischem Œuvre.

 

 

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Literatur im Dialog. Gespräche mit Autorinnen und Autoren 1989–2014 von Carsten Gansel. Herausgegeben und mit einer Einleitung von Norman Ächtler. Verbrecher Verlag, Berlin 2016.

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Um den Bücherberg nicht zu vergrössern waren die Kollegengespräche 1999 als Printing on demand erhältlich. Dieser Band ist als bibliophile, limitierte Vorzugsausgabe erhältlich vergriffen. Aus Recherchegründen hat der vordenker die Kollegengespräche zuerst ins Netz gestellt. Sie können hier abgerufen werden. Die Kulturnotizen (KUNO) haben diese Reihe in loser Folge ab 2011 fortgesetzt. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Druck und Papier, manche Traditionen gehen eben nicht verloren.