Leopold Federmairs Erzählungen streben „Ins Licht“

 

Nichts bleibt, wie es ist – ein Wort, eine Feststellung, die Gnade und Grauen zugleich birgt. Womöglich ist es die Kunde vom „Irrlicht dieser Zeit“, wie es bereits im 17. Jahrhundert Andreas Gryphius im Angesicht der unglaublichen Gemetzel und ihrer langen Nachklänge des ersten Großkriegs der Neuzeit, formulierte, die diesen ambivalenten Sachverhalt punktgenau trifft. Und vielleicht ist Literatur in Zeiten des Abgleitens auf digitalen Splitterflächen sogar und reziprok ein Medium, sich zu besinnen, zur Besinnung zu kommen.

Zur Besinnung kommen, welch Wort angesichts der aufgeregten Hysterie dieser Jahre, die um uns eine zunehmend bedrückende Dünung rückerfinden. Und nicht zuletzt wirbt Leopold Federmairs Verlag eben mit den wuchtigen Versen Gryphius’, um diesem Buch einen Geruch, eine mentale Farbe mitzugeben. Es ist, auch das Cover redet davon, gedecktes Grüngrau, in dem der Ton dieser acht Geschichten sich dem Unabweislichem nähert. Das Unabweisliche ist Teil dessen, worauf man sich besinnt und das jedoch verloren ist …

So ist es lediglich die Aussicht auf die Erfüllung, wenn des Nachts der jugendliche Nachbar nackt an der Protagonistin einer der Storys vorüber tappt – der Blick auf den ‚herrlichen‘, ja, leuchtenden Schwanz des Jünglings nur die Vision eines (letztlich im Platonischen steckenbleibenden) Traums. Und es sind Fragmente des Stillstands und der Zögerlichkeit, die das gedimmte Leben des Personals von „Ins Licht“ ausmacht, ein Vexierspiel in melancholischen Ausfällen, gepaart mit der wackligen Ruhe verquerer Harmonien, an ehesten vielleicht den Talk-Talk-Songs der mittleren Phase („It‘s My Life“, „The Colour of Spring“) ähnlich, die die Bruchlandung in der Ewigkeit schon in sich tragen, sie aber noch nicht völlig vollziehen. Hinter Federmairs zunächst spröden Einlassungen verbirgt sich ein Kosmos aus feinem Erzählgespinst, das zwischen den Zeilen (zuweilen Schreckliches) weitererzählt.

Lebens- und Todeslust, hinter Gemäuern, im Kreisen von Erinnerungen und Wandvierecken, kommen in eins. Ver- und Entwirklichung gehen seltsame Symbiosen ein – das Erstrebte und das Erstrebenswerte verschwimmen, die Gründe sind schlammig, der Schlamm verfestigt sich mit zunehmendem Ruckeln, also wird stillgehalten. So gibt Leopold Federmair seinen Protagonisten genug Empathie, sich in einem Anti-Leben einzufinden. Tatsächlich sind dies Leben, wie sie der Feder von Mark Hollis entsprungen sein könnten, biegsam und tragisch, still und beredt zugleich. Aus dem Schatten des furchtbaren vorvergangenen Jahrhunderts auftauchend, üben sie sich im Finden von Halt und Zuversicht, engen den Blick gelegentlich, um nicht zu sehr in die Gebresten von Erinnerung und Verzweiflung, Entfremdung und Verlorengehen zu geraten. Es sind die Blicke, die sich, gleich ob sie in der Provinz auf eine gegenüberliegende Mauer treffen oder in einer Metropolis, beinahe immer ähneln.

Das jeweils innere Kreisen jeder dieser Erzählungen, das oft wie beiläufige Monologisieren ihrer ‚Helden‘ schafft paradoxerweise intensive Mikrokosmen des Abgleichs persönlicher Lebens-Geraden mit den Biegungen, Verzerrungen in der Brandung der Zeit. Die Geschichte, die exemplarisch „Zimmer“ heißt – jeder dieser Texte könnte den Namen, als Titel wie eine Art Gattungsbeschreibung, tragen – steht im Zentrum eines Oktetts aus Sichtschlitzen, Erwägungen angesichts dessen, was Wirklichkeit, logarithmisiert mit dem Charakter-Ruch des Schicksals, sein mag. Zunächst sperrig, entfaltet dieses Buch einen Flimmer, dessen notorischem Sog man sich mit „Mut im Bauch“ nur schwer verweigern kann.

Ein stilles Kompendium, ein Werk auf den zweiten Blick – aber was für ein Buch, wenn man sich hindurchgearbeitet hat. Ein Buch über die brüchige Zeit, in der wir leben, ohne eben diesem elenden Zeitgeist die Darmzotten zu massieren, im Gegenteil. Eine quasi achtarmige Vision dessen, woher wir kommen, was uns erwartet, und wie wir versuchen können, dem zu entkommen. Und was es uns kosten könnte, weiter ins Irrlicht zu gehn.

 

 

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Ins Licht, von Leopold Federmair. Otto Müller Verlag. 2015

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