Die Frühlingsfähren

 

Die Mühle zielt mit ihrem Flügel
Nach einem fernen Haselbusch,
Der Maulwurf gräbt und wirft den Hügel,
Als baue er den Hindukusch.
Und aller Bauern Güter gären,
Und alle Gärten kochen Seim,
Und rings gehn unsichtbare Fähren
In süßen Kurven nach Nirgendheim.

Im Walde springt es wie von Riegeln,
Da quillt das rote Harz vom Kien
Und hockt in Buckeln, Blasen, Spiegeln
An Stämmen, die gen Himmel ziehn.
Im Walde haust ein wildes Schwären,
Das rauscht bei Nacht wie offner Most,
Jetzt fahren unsichtbare Fähren:
Steig ein nach Süd! Komm mit nach Ost!

Wie Handwerksburschenträume tanzen
Die Wolken, seelenvoll besonnt,
Als berstend dickgefüllte Ranzen
Von Horizont zu Horizont.
Die Himmel werden weit und gären
Wie neuer Welten Sauerteig.
Hoch steigen unsichtbare Fähren
Entgegen jedem Zukunftsreich.

Die blaue Luft hat lauter Türen,
Und blaue Türen sind die Seen
In unsre Erde: sie verführen
Verliebte Menschen, einzugehn.
Und immer höher gehn die Fähren.
Mit Kraut verwächst, ein schlecht Idol,
Die Erde, doch von selgen Heeren
Schallts auf sie nieder: Fahrewohl!

Die Ströme ziehn wie blanke Seile,
Vor die ein Sturmpferd sich gespannt.
Und schleppen sie noch eine Weile,
So werfen sie ins Meer ihr Land.
Fast jeder keucht nach andern Meeren,
Die Wolga, der Guadalquivir.
Lass fahren hin, denn Himmelsfähren,
Gehn, Bruder, über dir und mir.

 

 

 

Oskar Loerke gehört zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Seine Gedichte werden in Anthologien unter den Stichworten Expressionismus, Naturdichtung oder Innere Emigration abgedruckt. Doch wird diese Reduktion der thematischen Vielfalt und dem Formenreichtum seiner Dichtung nicht gerecht, die weite geschichtliche, mythologische und geographische Räume umgreift. Ihr grundsätzliches Einverständnis mit der Welt erfährt in der NS-Zeit einen tiefen Riss, der auch durch offen eingestandene Wut und Verzweiflung am Weltzustand nicht mehr zu heilen ist.

Für Paul Celan war Loerkes ‚Pansmusik‚ das schönste Gedicht in deutscher Sprache.

Weiterführend  Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.