Fugenzeit

 

„Die Zeit ist in den Fugen.“ So beginnt die Sammlung mit den neuen Gedichten von Wolfram Malte Fues – unter dem Titel „InZwischen“ versammelt der deutsch-schweizerische Poeta doctus, emeritierter Germanistikprofessor der ehrwürdigen Basler Universität, sechzig Texte, die dem Gefüge Sprache in einer Weise auf den Grund gehen, dass es, will man dieses Buch als stille Expedition begreifen, eine gern einmal buchstabenklauberische, durch die Iden der Sprach-Brüche führende, oft aber eben auch sinnstellende Freude ist.

In den Fugen sein, welch Hoffnung, in einer Groß-Epoche des weltpolitischen Hackepeters. In gewisser Hinsicht gibt Fues damit, trotz des weitläufig experimentellen Charakters seiner Lyrik, seinen poetischen Fußabdruck unausgesetzt in der Spurrille der Aufklärung ab. Es ist, will man meinen, ein im besten Sinne doppeltes Spiel aus Behauptung und Hinterfragung aus diesen Gedichten zu erlesen, mit dem der Dichter nach den Volten früherer Verse eine Art Parklücke im Treiben des Äons, letztlichen Ausgleich in Sinn einer verlaufenden Welle sucht: „Feel the grooves / Versöhne dich mit Gott / während der Automat / deine Karte ausspuckt / die Schranke sich öffnet / und du / raus darfst“. Die Anwesenheit des Waltenden, Großen im gebügelten Irrsinn des Jetzt, sie mag der letzte Trost sein, wer weiß.

Fürwahr: Die Fues’sche Melange aus Wort und Wortmechanik, in den Vorausgängerbänden „Vorbehaltfläche“ (2007) und „dual/digital“ (2011) zur skeptischen Sprechübung ausgebaut, auf eine einsame Höhenpirouette gedreht, erfährt im neuen Zyklus „InZwischen“ (der Titel impliziert bereits eine sprachphysikalische Veränderung) eine mehr als merkliche Dimmung: gewissermaßen ‚entschrillt‘ treten die zumeist auf ein skelettiertes Gerüst geführten Texte in einer merkwürdigen Stille vor die Augen, sie halten den Hiatus zwischen Wahrnehmung und Klang-Echolalie eigentümlich eng, fügen die „Unter-“ und die „Oberschiede“ in eine Art der Beieinanderführung, die spiralig schwer erscheint und fedrig zugleich.

Seine teils mit den Mitteln von Ableitung, Cut und letterndrehender Kombinatorik gewagte Erkundung, Beschreibung der Welt speist sich, will man vermuten, an sich aus dem Zweifel an eben jener gern ins Strenge schwenkenden Vorgabe der Vernunft, des im Bewusstsein Gesetzten; dieses jedoch gibt zugleich einen möglichen Fonds der Rückkehr, Resurrektion des Nicht-Aufgebens von Sinn. Das mag den Aspekt des sich Innerhalb-der-Triftlinien-Haltens sich selbst ramponierend bedienen, ungewöhnlich ist es so oder so.

Einige Gedichte haben indes, so scheint es, das Ende des Sprachmöglichen besiedelt, steigen aus der poetischen Erwartung aus, um letztlich die Poesie ganz zu verlassen. Sie finden, will man meinen und fürchten, in dieser dem bedachten Wort bereits feindlichen Ära, auf neuen, anderen, sich womöglich wieder verschlüsselnden Ebenen statt: „Von x nach y. / Von y nach x. / ÖV, LV, PV / GV? // Bio- / Diversität / Leben / à discretion.“ Diese Gegenläufigkeit in der Bemühung Fues’ macht einen entscheidenden Reiz dieses Bands aus: Die Textur knirscht und knackt, ein Effekt, der von den oft wie hingeworfen inszenierten Zeichnungen von Thitz, die den ganzen Band durchziehen, Text für Text einen zusätzlichen Kommentar, eine Spiegelung oder gar einen Eingriff bis ins Letternwerk, bis ins Druckbild vornehmen, permanent gestärkt und unterstützt wird. Bereits das Cover des Buchs schmückt, abweichend von der sonstigen Gestaltung der Reihe, eine sichelnde Mond-Calzone des Künstlers.

Die kleinen Dinge sind es oft, an denen sich das Makrobische reibt und letztlich – erkennen lässt. Wolfram Malte Fues’ Versuchsanordnungen, die sein lyrisches Werk konsequent, wenn auch zugunsten einer genaueren Punktsetzung, etwas um die weiten Schwünge früherer Gebilde reduziert, fortsetzen, wirken nur zuweilen wie leichthin aus dem Setzkasten getupft, ja, sie berühren immer wieder, auf den zweiten Blick oder wie im Vorbeigehn, das Fragliche der Dinge, ihrer Zu- und Umstände („Jeden Morgen / mit dem Morgengrauen / der Anflug von Schweiß / auf der noch reimfreien Haut“). Die zum Teil äußerste Reduziertheit ihres Ausdrucks wird selten gebrochen oder aufgebogen („Die Nacht steht in den Bäumen“), der Band verdunkelt sich gegen sein Ende etwas, um eine ‚fremdkörperfreie‘ Sicht zu verkünden, die aus dem Nichts des Umkreisens einer Kartoffelpfanne, das wohl das Gebot einer Zeit ist, die wir kennen, auf die Poesie zielt:  „Zweifellos / eine Botschaft.“

Und wie ist es mit der Fährte, in der, wenn wir an den Anfang von „InZwischen“ kehren, sich die Zeit bewegt? Der Auftakt hebt an in possibler Hoffnung: Nach einer zarten Kavalkade aus Rechenoperationen beschließt das Papier, das den Versen vorläufig Ruhe verordnet, salomonisch: „Für Unbefugte / Zutritt geboten.“ Wobei man sich gern verliest und besser noch einmal hinsieht, damit die zuvor bemühte Frage-Formel „Den plus Die mal / Wurzel aus minus Ist / Fugen-Zeit?“ sich nicht erübrigt. In der Kunst des Hinsehens und Erwartens liegen eben immer auch die Möglichkeiten von Illusion/Desillusion dessen, was einen gerad noch umgibt, dicht beieinander: in einer wie gekäfigten Zeit zumal.

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InZwischen, von Wolfram Malte Fues. Lyrikedition 2000, 2014

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Poesie ist das identitätsstiftende Element der Kultur, KUNOs poetologische Positionsbestimmung.