Wir machen uns was vor

Am Anfang war der Flirt. Die Funken sprühen wie schon lange nicht mehr. Aufregend. Schmeichelhaft. Wie zwei verknallte Teenager stehen sie am Ende des Abends vor dem wartenden Bus und knutschen, von drinnen schimpfen Rentner.

Herzklopfen. Können Körper irren? Sie finden atemlos begeistert zueinander, ertasten sich blind. Man verliegt sich hermetisch. Der Hofstaat beginnt zu tuscheln.

Kennenlernen. Bettgespräche. Irritationen. Lebenspläne, Zukunft, Perspektiven. Nichts Geringeres als das. Die Realität kommt dazwischen. Man wischt sie weg, küsst sie weg, seufzt sie weg. Man kann doch nicht irren bei all dem.

Und doch… Der Stachel bleibt, der Zweifel nagt, man denkt nicht mehr laut, fragt vorsichtiger. Zu fragil das Konstrukt in Schieflage. Schillernd und anziehend, aber zerbrechlich, befürchtet man. Und geht grübelnd nebeneinander her. Lass es uns lieber noch schwerbeherzt zuschweigen.

Ein Bruch im System. Der Glaube fehlt. Die Hoffnung fehlt. Vor allem an das dritte.

Und doch geht alles irgendwie weiter. Ein neuer Morgen, niemand haut ab, macht Vorwürfe, niemand weint. Man geht frühstücken und hält doch wieder vertraut die andere Hand. Das ist wohl erwachsen, denkt man. Das Leben ist halt kompliziert, denkt man. Und hält sich an Momenten fest, Augen zu vor dem Morgen.

Aktionismus. Man spielt Alltag, sieht sich ab und zu von außen an und schüttelt innerlich den Kopf. Wolltest du jemals Teil von so einem Paar werden, das sich gegenseitig Schatz nennt und samstags Möbelgeschäfte und Baumärkte durchkämmt? Und jetzt hast du heimlich Spaß daran. Wenigstens kurzfristige gemeinsame Ziele, die Illusion von Nestwärme.

Zu zweit kann man sich etwas vormachen, doch der Blick der Anderen zwingt zu mehr Eindeutigkeit. Das Konstrukt wackelt. Von albernen Klammerpärchen grenzt man sich augenrollend und prustend ab. Schade, dass nur einer sich wirklich in der Unkonventionalität wohlfühlt. Oder doch nicht? Das Selbstbild wackelt.

Das hier ist nicht erwachsen. Das ist oberflächlich. Keine Diskussionen, kein Streit, keine Reibung. Keine Chance zum Wachsen. Schöner Stillstand. Bei jeder runtergeschluckten Unstimmigkeit graben sich die Worte tiefer in die Gedanken: DAS HAT DOCH ALLES KEINE ZUKUNFT. Das Jetzt schafft es nicht mehr, sie auszublenden.

Der Riss im System. Unverheilter Bruch, dieselbe Stelle, derselbe Schmerz. Nicht mehr, nicht weniger. Was gibt es noch zu sagen, außer Wiederholungen. Man weiß um die Symptomatik. Niemand macht Vorwürfe, niemand haut ab, man geht duschen und frühstücken. Vielleicht ist das doch erwachsen. Immerhin ein paar Tränchen. Und nochmal sprühen Funken.

 

 

***

Weiterführend → Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers.