Adonis – der syrische Dichter und Intellektuelle zu Gast in Bonn

Immer wieder wäscht der Unbekannte sein Gesicht / mit meinem Gebet / in den Quellen meines Lebens. / Neben zwei Sternen / über meinem Volk aufgehend / in meinem Herzen / versteckt die Welt ihr Wesen. 1

So eines der programmatischen Gedichte mit dem Titel Verborgen des wohl bedeutendsten arabischen Dichters und Essayisten der Gegenwart, Adonis (bürgerlich Ali Ahmad Said). Schon seit längerem ist der in Syrien geborene, heute 83-Jährige im Gespräch für den Literaturnobelpreis. Hier in Deutschland bekam er bereits hohe Auszeichnungen, so 2001 die Goethe-Medaille, 2011 den Goethepreis der Stadt Frankfurt und jüngst, im April dieses Jahres, den Petrarca-Preis, der ihm am 22. Juni in München verliehen wird.

Im Rahmen des 7. Deutsch-Arabischen Lyriksalons hatte der deutsch-syrische Dichter Fouad El-Auwad den syrisch-libanesischen Intellektuellen nach Bonn ins Beethovenhaus eingeladen. Auf seiner Lesung in Bonn war auch das zitierte Gedicht zu hören, ein Bekenntnis des Lyrikers zu seinen Wurzeln, zu den „Quellen seines Lebens“. Über seinem Volk, so fühlt es der Dichter in seinem Herzen, gehen zwei Sterne auf, die islamische Religion als solche, vollkommen frei von jeglicher Instrumentalisierung, und die vom Laizismus getragene demokratische Republik. Die tatsächlichen Verhältnisse in der arabischen Welt, in der sein Heimatland liegt, sehen jedoch anders aus. Adonis sprach in der an die Lesung anschließenden Diskussion davon, dass die arabischen Gesellschaften seit einigen Jahren zwar ein kleines Stück nach vorn in Richtung Trennung von Religion und Staat gingen, aber immer wieder einen Schritt zurück machten hin zum religiösen Rechtsgelehrtenstaat. Sie blieben religiöse Gesellschaften, solange sie nicht „von Grund auf neu aufgebaut werden“, so der syrische Intellektuelle.

Mit dem poetischen Bild der Gespenster im Haus bringt uns der Dichter seine Sichtweise im Gedicht Haus sehr eingehend nahe:

Die Geschichte der Gespenster in unserem Haus / ist immer noch präsent. / Wir erzählen sie immer wieder. / Die Gespenster schwirren herum um den Pflug und auf dem / Dreschfeld. / Vor unserem Haus der leuchtende Horizont, / in ihm träumten wir einst von unbekannten Dingen. / Wir springen von einem Kosmos in den anderen. / Wir fliegen von einer Generation in die andere.1

Das klingt nach Resignation, doch die Schriftsteller in der arabischen Welt sollten sich nicht entmutigen lassen, so Adonis‘ Credo. Sie sollten unermüdlich ihre ureigene Aufgabe wahrnehmen, kreativ zu sein, Neues, Unerhörtes mit dem Wort zu schaffen, dann, so der Lyriker, könnten sie auch nicht instrumentalisiert werden. Auf diesem Weg – und diese Feststellung war Adonis sehr wichtig – schreiben sie Geschichte mit, unabhängig von der Politik.

Adonis geht es um eine grundlegendere Revolution, die nicht eine despotische Regierungsmacht durch eine andere ersetzt, sondern die, wie oben genannt, Staat und Religion trennt und insbesondere die Frauen, wie der Schriftsteller betonte, von den Gesetzen der Scharia befreit. Um diesem Ziel näherzukommen, sieht er für seine poetischen Werke auch eine aufklärende Aufgabe: „Ich spreche mit meinen Gedichten diejenigen an, die die Revolution vorbereiten und durchführen“, so Adonis. Natürlich mache er sich damit Feinde in der arabischen Welt; von den Politikern Westeuropas dagegen erwarte er viel mehr Unterstützung, so seine klaren Worte am Lesungsabend.

Ich reise nur / Von Traum zu Traum / Unsere Körper und ihre beiden Gesichter / Ein Lichtschwall und zwei Lieder / Ich reise nur, um Klarheit zu gewinnen / In unsren Körpern das Angesicht der Wahrheit / Traum und Wirklichkeit sind zweierlei Kinder: / Das eine ist Raum / Das andere Zeit“2

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1 ins Deutsche übertragen von Fouad El-Auwad; auf der Lesung am 5.6.2013 wurden zuerst die Gedichte in deutscher Übersetzung vorgetragen von F. El-Auwad und der Autorin, dann in arabischer Sprache von Adonis selbst

2 aus:Der Wald der Liebe in uns. Liebesgedichte (Jung und Jung 2013)