Touristen mit Fotoapparaten

Nick Hornby, den KUNO als Autor des Romans Fever Pitch schätzt, hat der ZEIT ein bemerkenswertes Interview gegeben. Hier ein Auszug:

ZEIT ONLINE: Wie beurteilen Sie als Fan die Entwicklung, dass Geld immer mehr zum alles bestimmenden Faktor des Spiels wird?

Hornby: Ich hasse es natürlich. Es nimmt jeglichen Wettkampf aus einem Turnier. Wer wird nächstes Jahr Meister in Frankreich, Deutschland, England, Spanien? Es ist langweilig. Und Fans, die längst wissen, dass ihre Mannschaft sowieso nicht gewinnen kann, müssen trotzdem lächerlich hohe Eintrittspreise bezahlen. Aber es wäre schön, wenn wir zumindest in demselben Wettkampf wären wie der Rest. Ich verspüre langsam eine allgemeine Entzauberung, ein Schwinden des Interesses. Es gab diese Saison eine Menge leerer Plätze bei Arsenal, und das nach Jahren restlos ausverkaufter Spiele. Und es gab viele Touristen mit Fotoapparaten, die einfach nichts zur Stimmung im Stadion beitragen.

Fußball ist das Crack des Volks

Terry Eagleton kommt im FREITAG zu einer ähnlichen Einschätzung:

Sie haben geschrieben, dass Fußball heute nicht nur das Opium, sondern das Crack des Volks ist. Das deutsche Champions-League-Finale in Wembley gucken Sie sich also nicht an?

Ehrlich gesagt, ich weiß nicht einmal davon. Ich habe auch oft Streit mit Taxifahrern, wenn die zu mir sagen: „Ah, Sie sind bestimmt wegen des Spiels in der Stadt.“ Dann sage ich: „Meiner Meinung nach sollte Sport einfach abgeschafft werden.“

Aus der Tiefe des Raumes

Falls die Beschreibung „Kaum jemand hat Literatur und Fußball so verbunden wie Sie.“ auf Peter Esterházy zutrifft, so sollte man im gleichen Atemzug auch den rheinisch/ungarischen Schriftsteller A.J. Weigoni nennen.

Unlängst hat Weigoni seine Proletenoperette »Tore : Punkte = Meisterschaft«, festiggestellt. Das Stück beschreibt eine Woche des fiktiven Vereins Borussia; die authentische Geheimsprache des Fussballs in einer abgeschirmten Welt. Und – was wir schon immer ahnten – die wahren Kulissenschieberinnen sind Frauen, die den Männern ihr Spielzeug grosszügig belassen, damit sie ihren Spieltrieb ausleben können. Das Stück ist keine Komödie; es muss mit vollem Ernst gespielt werden, um das Lächerliche dieser Tragödie darzustellen. Das Geschehen sollte nicht auf einer zentralen Bühne spielen, sondern an unterschiedlichen Spielstätten im Raum, mitten im Publikum. Die Gänge der Schauspieler sollten die Wege sein, die das Publikum auch nimmt. Das “Vereinsheim” sollte in der Halbzeitpause auch das Café für das Publikum sein.

Wie es auch bei Interview mit Esterházy anklingt, befindet sich diese traditionelle Sportart im Medienzeitalter einer Transformation. Der Sieg von heute gilt fast schon als Nachricht von gestern. Es zählt, was morgen auf der Tagesordnung steht. Pause machen nur Verlierer. Gewinner kennen nur die Verlängerung. Was zählt, ist längst nicht mehr das Fussball–Spiel, was sich rechnet ist der zählbare Erfolg.

Erfolg fehlt dem Verein Borussia, den Weigoni »Tore : Punkte = Meisterschaft« beschreibt, nach einem missglückten Saisonstart, und schon stellt sich ein unsichtbares Ritual ein: Krisenmanager sind im Vorstand gefragt. Viele Köche suchen nach einem Erfolgsrezept und probieren alte Mittel aus: Ein überraschender Transfer liegt in der Luft. Die passende Gelegenheit wird genutzt, um einen erfolglosen Trainer als Entwicklungshelfer in die Wüste zu schicken. Ein ehrgeiziger Altstar blüht nach einem Kreuzbandriss wieder auf. Der bisexuelle Jungstar findet nach seinem Coming–out aus der Formkrise. Und nicht zuletzt: ein neuer Trainer bringt frischen Wind mit alten Tugenden, um über den Kampf wieder zurück ins Spiel zu kommen…

Vertreten wird »Tore : Punkte = Meisterschaft« durch den adspecta-Theaterverlag. Ob es zu EM 2012 zur Aufführung gelangt, war nach Redaktionsschluß noch nicht zu erfahren, wir rechnen  mit einer Aufführung zur WM 2014.

 

 

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In diesem Zusammenhang sei auf ein KUNO-Gespräch mit Theo Breuer hinweisen.