Ich las dieses berührende Buch sozusagen in einem Atemzug bis tief in die Nacht. Mir gefällt das Buch ganz besonders wegen der Offenheit, mit der die Autorin gleich zu Beginn die Karten auf den Tisch legt, wenn sie schreibt, dass sie den Mann, der sie mit einer jungen Frau betrog, trotzdem liebt und dass sie auch die Mitverantwortung für das Kind, das er mit der jungen Frau zeugte, übernehmen will. Das war 1999. Ein Jahr später erkrankt Axel, ihr Mann, und sie heiratet ihn. Sie geht konsequent den Weg ihrer Liebe weiter.
Die Nüchternheit in der Schilderung der zunächst langsam voranschreitenden Krankheit wird aufgewogen in der Balance mit den Nuancen bei der Beschreibung des Alzheimer-Prozesses und dem Herausarbeiten der Farben, die gegen das Grau des geistigen Niedergangs gesetzt sind. Neben vielen Passagen, Episoden und Gedanken gefällt mir besonders die Parkplatz-Episode gegen Ende des Buchs.
Axel schaut sich auf einem Parkplatz die Autos an und fragt sich, wer in den Autos sitzt. Er geht von einem Auto zum anderen und sieht durch die Scheiben nach innen. Seiner Frau sagt er, in jedem Auto sitze die gleiche Person …
Diese Episode spiegelt das ganze Problem mit Witz und ist zugleich bitter, außerdem übersteigt diese ‚Spiegelung’ die Realität und ist wie eine philosophische Parabel auf unsere Existenz überhaupt. Es ist keine intendierte Parabel, aber so lesbar. Hanna Kappus zeigt, dass das Leben auch jetzt noch groß sein kann. Was das wirklich bedeutet, bedeuten kann, frage ich mich. Die Antworten, die im Buch stehen, beruhigen und verunsichern mich.
Ich glaube, Hannas Weg ist richtig, auch wenn ich ihn nicht gehen könnte.
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Das Leben ist ein großes, von Hanna Kappus. Verlag: Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2012