Lyrische Landvermessung

Die amtlichen Bekanntmachungen für August 2010 auf der Homepage der Stadt Boppard beginnen mit „Änderung des Bebauungsplanes „Casinostraße / Herrenstücke““ und der „Meldung der Wein- und Traubenmostbestände“.

Sicherlich wäre es für den Lyriker Manfred Enzensperger ein Leichtes, jene Mitteilungen in Bürokratensprache für ein weiteres Gedicht über Boppard zu verwerten, sah er doch in seinem Gedicht zu der Weinstadt am Rhein mit „kopfschmerzpanorama eine „gedenkgaststätte“. Immerhin kann zuviel des Weines nach einem durchzechten Abend am folgenden Morgen durchaus eine Stadtbesichtigung mit Kopfschmerz nach sich ziehen.

Nicht gerade Kopfschmerzen, aber viel Kopfarbeit und Einfühlungsvermögen ist gefordert, um sich die Texte in Enzenspergers Lyrikband „endlich boppard“ aufzuschlüsseln. Seine Leser verführt er ideenreich zu einer Reise mit dem Finger auf lyrischen Landkarten. Ihre Regionen und Städte hat er lyrisch vermessen, um dann deren geographische Äußerlichkeiten auch auf emotionalen Innenweltkarten nachzuzeichnen.

Dieses dichterische Stadt-Land-Fluss-Spiel eröffnet einen „unverhofften horizont“ „vom startguthaben am kindheitstisch“ bis „abends noch die zecke in der wade“, von seiner Heimatstadt Leverkusen, von Köln, Oostende, Frankfurt und Paris bis ins Bergische Naafbachtal. Um nur einige Stationen zu nennen.

Der Autor hat „schlafende wörter geweckt“, lässt sie „zu duften“ beginnen und seine „aussicht ist an sich keine aussicht“, zumal es um Innensichten geht. Aber auch Inneres wird nach außen gekehrt, wenn „selbst das wort liebe klingt wie das telefonbuch“ seiner “lebensgewohnheiten“.

Am Ende der Reise durch den Gedichtband stehen jedoch weder Wein- noch Weltstädte. Ganz wie es sich für einen Lyriker gehört, der auch als Fachleiter in der Gymnasiallehrerausbildung dem deutschen Kultur- und Bildungswesen zu dienen versucht, kommt noch einmal das Schulleben als „die fortsetzung der realität mit anderen mitteln“ zu lyrischen Ehren. Diese schulische Wirklichkeit vertritt „der lehrer“, „ein in noten eingewickeltes stück fleisch“, wie der Autor behauptet.

Frei nach Ringelnatz wurde alles schon einmal geschrieben, nur nicht von jedem. Doch Manfred Enzensperger setzt originell mit Sprachwitz und –melodie Worte auf ungewohnt sinnstiftende Art zu- und hintereinander. Seine Leser kennen diese Sprache inzwischen aus vorherigen Gedichtbänden. In „endlich boppard“ wirkt sie allerdings noch ausgereifter und vermittelt bei „kafkacasting oder verkaufsoffenem jandl“  „jenes „kraftfahrende kunstheimweh“, das „ein eigenes „gefühl von wärme, schutz und geborgenheit“ aufkommen lässt.

Nicht zuletzt verdient der kleine, aber feine Horlemann Verlag ein besonderes Lob für den Mut zur Herausgabe dieses äußerlich ansprechend aufgemachten Lyrikbandes, den „freunde der geldliteratur“ vermutlich eher nicht beachten werden.

Schön wäre es dennoch, wenn sich einige von ihnen nicht nur durch die Verpackung zur Lektüre verführen ließen.

Für Lyrikfreunde und –genießer sowie für solche, die es werden wollen, für gestandene und Hobby-Lyriker aber kann „endlich boppard“ zu einem außergewöhnlichen Spracherlebnis werden.

 

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endlich boppard, Gedichte von Manfred Enzensperger Horlemann-Verlag, Bad Honnef, 2010, 87 Seiten

Weitere Einzeltitel (Auswahl)
* Zimmerflimmern. Gedichte (2007)
* Semiopolis. Gedichte (2002)
* Strich und Faden. Gedichte (2000)
* Sperrbezirk. Gedichte (1999)