Tanz auf der Tierhaut. Lyrischer Essay mit verschiedenen Materialien

Anselm Kiefer, ein bildenden Künstler der von sich sagt, dass er in Bildern denkt, wobei die Gedichte ihm helfen, ist noch bis 29.5.2012 eine Ausstellung im Umfang von 15 Werken aus der Sammlung Essl bei Wien/Klosterneuburg gewidmet. In seinen raumgreifenden Bildern und Installationen, die sich nur mosaikweise erschließen lassen, in der stückweisen Annäherung des Betrachters wie an poetische Zeilen die das Rätsel des Inhalts hinter den Worten nicht gleich offenlegen, setzt er sich mit unterschiedlichen Grundtheman auseinander. Mich hat das Werk mit dem Titel “ tönend wie des Kalbs Haut die Erde“ besonders angesprochen. Über verbrannter Erde baut sich eine Berglandschaft auf, ein Stethoskop scheint den Klang der Erde nachzuspüren, der Titel ist einem Gedicht von Friedrich Hölderlin entlehnt.

 

tönend wie des Kalbs Haut die Erde, 2011
Öl, Emulsion, Acryl, Schellack, Kohle und Blei auf Leinwand
380 x 560 x 14 cm
© Anselm Kiefer
Fotonachweis: Ulrich Ghezzi courtesy Galerie Thaddaeus Ropac Paris · Salzburg

Der deutsche Kunst- und Theaterkritiker Peter Iden, der anlässlich der Eröffnung als Gastredner kam, spricht in die von Anselm Kiefer dargestelltem Werk verlangte Dringlichkeit an, alle nur erdenklichen Materialien als Werkstoffe in Anspruch zu nehmen, um das Vermögen der Kunst, selber eine Realität zu stiften, die von höherem Rang ist als die Wirklichkeit die uns umgibt, auszuschöpfen. Das Freilegen von Schichten des Vergangenen versteht Kiefer in der Ausführung Idens zugleich als Anstrengung als auch den einzigen Weg, Zukunft zu gewinnen. Dass der Künstler sich dabei nicht nur durch die Kunst entwickelt, sondern die Kunst durch ihn, wird spürbar angesichts des Sogs nach der Suche des Entstehungsprozesses am Bild/der Installation selbst. Die Suche nach einer Antwort beim ausstellenden Künstler überträgt sich auf die eigene des Betrachters, bei mir als Betrachterin:

Tanz auf der Tierhaut

Die Ankündigung. Nicht in einem Cafe mit Holztischen und Fensternischen mit Blick auf Altbauten, sondern auf einem Flachbildschirm. Die Idee. Nicht als Nachhall einer Erörterung zur Schreibkunst, sondern da wo ich bin, aus der lokalen Position, in der Ort und Einfall sich zugehörig fühlen wie eine sich befruchtende Doppelgestalt. Die Ausführung: Ich durchstreife meinen Blätterwald für die fast märchenhaft anmutende Aufgabe, einen alten Baum zu fällen und daraus einen nicht zu vermuteten Gewinn zu ziehen.

Säuberlich aufeinander gelegt liegen sie vor mir, sie, meine unzähligen Kinder. Sie, die in der Welt draußen nicht Fuß fassen konnten. Beschrieben sehen sie aus wie jedes andere Stück Papier. Doch diese hier sind bereits im gefragten Normseitenformat, um keine Anpassungshürde auszulassen, um gewiss in den Umlauf zu kommen. Gleichartig mit den anderen sein, und dennoch, dennoch einzigartig. Das ist das Kunststück, das sie mich Schreibversuch für Schreibversuch lehrten, eine Leistung, die meinen Erzeugern selbst nicht als Glanznummer in der Kinderstube gelungen ist. Die „Hochsprache“ mit der sie mich „großzogen“, deren Ausdrucksweise gar nicht zu den Spielen der Kindertage passten – ausgenommen Auszählverse und Kinderreime – hat mir zunächst auf der Randzone von Außenseitern meinen Platz zugewiesen, in der jedoch genug Raum gewesen ist für unzählige Eingebungen zum Erfinden von Geschichten. Und für erste Verständnisse über die Bedeutung von Sprache als Türöffner oder Riegel. Entgegen meinem rührigen Bestreben, meinen Textsprösslingen Form und Inhalt mit auf den Weg zu geben die aufeinander bezogen sind, sodass Rahmen und Stoff einander nicht umgebungsfremd abstoßen, schreit mir jede hier grausam zu: Was hast du mir mitgegeben auf dem Weg. Warum komme ich nicht an?

Vielleicht war es ja ein zu großer Blick auf die Voraussetzungen die erfüllt werden müssen, ein Zuviel an vorauseilender Umsicht und Vorsicht, wie Kuchen und Wein als Wegzehrung in fast jedem Märchen für die zunächst scheiternden Helden, um keinen Hunger und Durst leisten zu müssen, ja überhaupt erst nicht in die Nähe von Mangel zu kommen. Ich schalte das Ohr aus, das für den Empfang von Vorwürfen zuständig ist, und streiche zu meiner Beruhigung über den anderen Stoß auf meinem Schreibtisch. Dort strecken die erfolgreichen lyrischen Abkömmlinge meines schriftstellerischen Fleisches frech ihre Zungen hinaus. Lesezeichen aus Anthologien, Literaturzeitschriften und Kulturmagazinen von Gedichten und einer experimentellen, aber noch einsamen Kurzgeschichte, die sich fast fremdelnd zwischen sie zu schmiegen scheint. Ich denke mir, dass für Texte die ein Ganzes sind der Moment kommt, wo sie ein selbständiges Leben führen können, abgesetzt von meinem textenden Körper und zu Textkörper werden wie abgenabelte, unabhängiger gewordene Kinder.

Sämtliche Ratschläge auf diesem Weg dorthin muten mir im Nachhinein mehr als Schläge denn als Rat an, auch für mein kreatives Ego. Anders kann ich den ungleichen Transfer nicht erklären, der mittels der beiden Stapel vor mir sichtbar wird, ebenso wie in der Umkehr der Anzahl der gelesenen Bücher in Prosa, die bei weitem die der lyrischen Exemplare übertrifft. Ich würge und spüre in der Enge des Halses einen Widerstand, diese Erwägung hinunterzuschlucken. Ein kurzer Hustenreiz erlöst mich von dieser Absicht. Ein Griff in den Einkaufskorb, der als Ablage für angelesene Bücher neben den von Büchertürmen verbauten Schreibtisch herhalten muss. Obenauf Celan’s Gesammelte Gedichte. Umgeknickte Seitenecken hindern mich am freien Blättern. Ein Ruck, ein Halt, eine gekennzeichnete Stelle sticht mir farbgrell ins Auge: „Lies nicht mehr- schau!/ Schau nicht mehr – geh! // Geh, deine Stunde / hat keine Schwestern, du bist – / bist zuhaus

Ich stehe auf. Ich gehe. Zum Sofa. In kleinen Schritten. Rückwärts.

Das Gesamtgedicht entstammt dem Abschnitt des Bandes „Sprachgitter“, in der das Bemühen Celans um die Gewinnung einer individuellen, dem Moment verhafteten kreatürlichen Sprache sich mir repräsentativ für eine Auseinandersetzung mit der Sprache anbot. Ein Entwurf des nur im Sprechen – in der Sprache – existierenden Dichters, der die Muttersprache aus seinen leidvollen Erfahrungen heraus zu seinem Wohn-Raum erklärte. Das Buch von einem förderlichen Autor empfohlen, dessen These, dass Schriftsteller, die in der Sprache schreiben und nicht nur mit der Sprache, bei ihren Lesern und Leserinnen auch anders ankommen. Die Frage nach der Gültigkeit der Behauptung wird zur Versuchung – zum Versuch.

Ich bette das Buch. In meinen Schoß. Ein Nest. Gedankenvoll nestle ich entlang der papierenen Wohnstatt.

Im Zuhause meines Weltbildes können Menschen sowohl im realen Leben als auch lesehandelnd in Bewegung, in Berührung kommen, in einem Gefühlszustand sein. In der linearen Handlung der gesprochenen oder geschriebenen Sprache laufen Worte jedoch unseren Erfahrungen und Möglichkeiten nach. Erlebnisse werden nicht gleichzeitig verbalisiert, sondern in der Erinnerungsspur. Selbst auftauchende Bilder die sich als komplexe Gebilde anbieten, müssen in Einzelfäden der Erzählung zerlegt und zu neuem Erzählgarn versponnen werden. Von dieser allgemeingültigen Erfahrung ausgehend, scheint eine „In der Sprache sein“ – Konstellation schwer vorstellbar. In dieser Stillstand-Situation greife ich zum paradoxen Trick, eine Gegenprobe zu machen und die Frage zu stellen, was es denn heißt mit der Sprache zu sein. Zwei Personen erscheinen da vor meinem inneren Auge: die Sprache und die Person, die mit ihr ist. Sie gehören trotz jeweils eigener Identität verbindlich und partnerschaftlich zusammen. Das nächste Bild das sich fast natürlich daraus ergibt, ist das passende Gegenbild, in der die eine Peron in der anderen ist – gleichsam in der personifizierten Sprache. Dort, an einem verstandesmäßig schwer zugänglichen Ort, erscheint sie geborgen. Schon aus der Vielschichtigkeit der beiden vorgestellten Bilder wird mir – wieder einmal – ersichtlich, dass die deutsche Sprache, um sie in ihren Zusammensetzungen, Facetten und in ihren Tiefen auszuschöpfen, eines anderen Zuganges als des ausschließlich wissenschaftlichen oder literarischen oder psychologischen Standpunktes bedarf. Auch für mich halte ich es reflexiv notwendig, mich immer wieder von den Doppel- und Mehrdeutigkeiten von Worten und Begriffen anleiten, bei der Hand nehmen und in Räume führen lassen, die nicht nur jenseits des „Verworteten“ beheimatet sind, sondern überhaupt in Spielräume vorzudringen, die zunächst „undenkbar“ also eigentlich unvorstellbar sind.

Die dunklen Buchstaben auf dem hell gehaltenen Buchumschlag. Handschriftliches des Dichters. Sie zerlegen sich. Es demontiert sich. Etwas. Manches. Immer mehr flimmernde Einzelteilchen tauchen auf, stieben auseinander. Zu einem unlesbaren Brei. Töpfchen koch’. Töpfchen steh’. Ich gerate in einen gedankenfreien Durchschlupf. Undeutlich und verheißungsvoll wie das Fremde, noch Unentdeckte aus Kindertagen, spürt es sich an. Es bittet um einige Bissen Verpflegung. Ich gehe. Zurück. An den Schreibtisch und lege das Buch in den Korb. Dieses geflochtene Behältnis, wieder ganz voll. Ich stütze mein angefülltes Haupt, lehne die Stirn an meine Hände. Die Lust auf das Neue. Ein Greifen, ein Begreifen, zuerst nur äußerlich wie an meiner Schädeldecke um mich dann immer tiefer einzuwühlen wie in mein dichtes Haar.

Das Geschwisterpaar Vernunft und Verstand. Ihre Arbeitseinstellung hat dem Unbekannten, das aus dem Gehölz der schöpferischen Tiefe aufgetaucht war, den Wunsch an der Teilhabe an den Ressourcen, an genügend vorhandener Wegzehrung, abgeschlagen. Die beiden wiesen es mit Unfreundlichkeit zurück, die sich niederschlug ins eigene Bein das ein Fortschreiten, eine Entwicklung von Figuren verunmöglichte, die einfuhr in die Hand, welche die Handlungen wie zu einer unlösbaren, weil abgehackten Aufgabe werden ließ.

Ich spüre, wie sich vor meinen Augen etwas  vollzieht, eine Verwandlung wie in einem Märchen. Ich unterbreche mein Zwiegespräch mit mir. Ein Blatt Papier. Es hat sich aus der erdrückenden Lage zwischen den Büchern ein wenig hervorgeschoben. Ich nehme es auf, in meine Hände, taste mich vorwärts auf dem fast unleserlichen Notizzettel. Und entziffere mühsam, silbenweise:

Die Sprache von SchriftstellerInnen und DichterInnen, die Leser und LeserInnen berühren, ansprechen und ein Stück weit in einem Erkenntnisprozess mitnehmen und begleiten, ist eine, die in diesem für uns Menschen so wichtigen Spielraum verankert ist. Sie ist ähnlich der Kindersprache, die zu gewissen Zeiten Worte tatsächlich wie konkrete Objekte behandelt und über die Ebene des Fleisches hinaus, über sinnlich-konkrete Erfahrungen als kennzeichnende Kommunikation, läuft.

Da spricht etwas meine neugierige Seele an, da berührt verschiedenes mein literarisches Gemüt. Ich erinnere mich eines kleinen Taschenbuches einer Autorin, die ich im Literaturhaus persönlich kennen gelernt habe, eine recht bodenständig wirkende Frau, die mit Leichtigkeit, Humor und erfrischend originell schreibt. Mit Hilfe ihrer Erzählung Fleisch an die Rippen der Notizzeilen setzen. Für diese Überlegungen lasse ich den Plot des Prosabandes in meinem Kopfkino vorbeiziehen:

Ein Schriftsetzer namens Heinz Grünebaum, ein Mann der von Berufs wegen mit der Sprache zu tun hat, setzt taktil Buchstaben zu Wörter und Sätzen. Als Protagonist in Katja Lange-Müllers „Die Letzten. Aufzeichnungen aus Udo Prosbichs Druckerei“ kommt er auf die Idee, „Weiße Wörter“ zu kreieren, Aussparungen in den Zeilenabständen mit der Feile für seine Zwecke zu bearbeiten. Die Strukturen zwischen den Wörtern und Zeichen steuert er im Handsatz so, dass sich Formen ergeben, die er sich wünscht, sich vorstellt. Der Mann arbeitet recht konkret mit Sprache und geht anfangs ebenso gegenständlich in die Sprache hinein, zunächst in deren Wortzwischenräume. Er nennt es in besagter Geschichte sein „Ventil“, um seinen Affekten Ausdruck zu verschaffen. So wird ein Schriftsetzer zum Schriftsteller, dessen Not erfinderisch gemacht hat, die, wie jede Bedrängnis einen Weg findet, um sich Gehör zu verschaffen.

Der Denkraum, der mich in sich hält, ein Behälter. Klar spulen sich meine Ideen von einer Rolle ab, deren Kurbel ich nicht zum Stoppen bringe. Mich hingeben in den Prozess, aufgehen darin, das Denken und Schreiben vernetzen, ich fühle mich in einen milchigtrüben Zustand versetzt. Die Sätze gesetzter, Schritt für Schritt, eine Hochstimmung dennoch.

Hier scheint eine Schnittstelle zu sein. Sich versenken wie ein argloser Dummling, der zwar als solcher behandelt, sich dennoch nicht um die Einwürfe anderer kümmert. Vertrauensvoll im Leben stehen und entsprechend zuversichtlich in Kontakt mit sich und hilfreichen Gestalten bleibend, kommen die Elemente aus den Prüfungsaufgaben einem dabei zu Hilfe, um aus einer Situation auszubrechen.

Die Spitze der Feder birst ab. Die Schwärze der Schreibspur unterbrochen, die sich fließend ihr Bett in die Schichten des Pergaments gegraben hat. Ich suche. Nach meinem Federvorrat. Fieberhaft stöbere ich in der Schreibtischlade. Die Suche, sie erinnert mich an die Jagd nach manchem richtigem Wort, heftig schiebe ich die erste Lade zu, öffne die zweite, die dritte, die vierte. Im Arbeitsrausch, im Ausführungswunsch, fast suchtartig. Ich bin in einer Aufgabe. Doch bin ich auch in der Sprache? Die ursprüngliche Frage lässt mich aufblicken und nach dem nächsten Buch greifen das auf einem der Lektüretürme seit Monaten den Abschlussstein bildet, ein Gedichtband des Wiener Lyrikers Robert Schindel. „Wundwurzel“. Verlangsamt in meiner Untersuchung erfasst mich die Ahnung wohin Sucht, wie auch die Wortsucht eine ist , anstatt der Wortsuche, hinführt. So schreibt der Autor:

„Schließlich muss ich in der Sprache

Auf die Sprache losgehen, einzelne

Wörter aufschneiden, daweil mir das Blut

Gefriert, herausnehmen den Kristall

Aus dem Wort, eben den Unumstößlichen

Unangenehm ists ins Wort zu gehen

Anstatt ins Wirtshaus […]“

Hier agiert ein mich gleichzeitig abstoßender und anziehender Protagonist des Gedichtes – ein lyrisches Ich das sich von den anderen wehmütigen, hilflosen und ohnmächtigen des Gedichtzyklus des Bandes abhebt – die notwendige Trennungsaggression ziemlich blutrünstig, also auf einer archaischen Ebene aus. Jeder zu engen Bindung, wie das in einer Symbiose der Fall ist, wohnt diese natürliche Abgrenzungskraft zur Weiterentwicklung inne. So kann es auch der Sprache passieren, die sich wie eine bergende, nicht loslassende Höhle mit einem Daueraufenthaltsangebot anbietet. Der Dummling aus Grimms Märchen „Die goldene Gans“ verließ nicht nur sein Elternhaus – also anders als die heutigen „Berufsjugendlichen“ im „Hotel Mama“ – er bricht aus einer ihm zugewiesenen Situation aus um etwas zu schaffen, was den Geschwistern nicht geglückt ist. Er legt die Wurzeln des Baumes frei, den er gefällt hat. Und dort ist auch der Schatz, das Getier mit den begehrlich goldenen Federn.

Mein Blick. Ein Erblicken. Eine Ansichtskarte. Blauer Hintergrund, etliche schwarze Linien die verschiedenen Blauabstufungen Raum geben. Spielräume. Versuchsräumlichkeiten. „Aus der Dämmerung“, eine Erläuterung auf der Rückseite. Sie streift mich. Von draußen kriecht das Halbdunkel in mein Zimmer und wird vom Licht der Schreibtischlampe abgebremst. Ein kleines Sein unter erhellendem Schein. Das Bild ist von Paul Klee, einem Tagebuch führenden bildenden Künstler. Er schreibt über das geglückte Ende seines Ringens. Als er endlich in die Farbsprache der Malerei eingedrungen war, protokolliert er: „Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht mehr zu haschen. Sie hat mich für immer. Das ist der glücklichsten Stunde Sinn: Ich und die Farben sind eins. Ich bin Maler.“ Da drängt sich mir im Zusammenhang mit der Verbalsprache eine Analogie auf. So könnte auch ein Schreibender sagen:  Das Spiel der Worte hat mich. Ich brauche nicht mehr nach Worten zu haschen. Ich und die Sprache sind eins. Ich bin Dichter, ich bin Schriftsteller,…

Diese Zeilen. Ich gebe sie mir etliche Male. Sanft murmelnd. Wild hallend. Zum Schluss nur mehr in selbstredenden Gedankenbildern, deren Choreografie zu Papier gebracht werden will.

Irgendwie ist alles noch in Schwebe. Wassertropfen klopfen auf Terrassenplätze, und Nebelschwaden zerfetzen wie Papierschnipsel. Ich habe Glück im netten Dazwischen, das sich noch nicht festzulegen scheint. Gelingen anspielende Gegenüberstellungen von Wahrem und Erfundenem auch außerhalb von schwarzweißen Blättern? Die Wirklichkeit ist nicht definierbar. Sie macht sich aber erkennbar. Ich stelle mir vor, dass ich bin, also bin ich. Ich klicke auf Bearbeiten. Alles markieren lautet der Arbeitsauftrag. Und: Gehe zu. [Überschrift] Irgendwie ist alles noch in Schwebe. Mein Name sei Goldgans.

Das Geschriebene

Ich lese alles nochmals durch und gehe vertrauensselig in den Text. Der Rhythmus folgt mir, ebenso wie die Zwischentöne, die Einfärbungen des Geschehens. Die Szenenbilder hängen sich an, der Klang der Gefühle lässt nicht mehr los, desgleichen die Sinneswahrnehmungen genauso wie die Spannung die sich als Gang auf gestrafften Seilen erprobt, die im neuen Raum im Grunde noch keinen Halt haben. Und doch hält sie am Text fest so wie die Grenzen, die das Papier vorgibt. Sie waren ihrer nun sieben die dem Dummling in mir vertrauten, dass die gierigen Seiten des Lebens, die am Wegrand Bettelnden und vorwurfsvoll Schreienden, auch ihren Teil bekommen. In der Sprache. Die vielen möglichen Ausstiegsstellen, die dementsprechenden theoretische Orte im Leseprozess die den Leser herausholen aus dem übrigen Kontext, gleichsam der unlösbaren Aufgabenstellungen des abwehrenden Königs, vermögen zu wiederholten Einsteigstellen werden, die anregen, selber Ordnung in die eigenen Gedanken zu bringen, die einladen das Risiko einzugehen, selbst Teil eines Ganzen zu werden das mit der Klebkraft der Gans und allem was da so dran hängt und nach sich zieht, am Ende uns hat und nicht umgekehrt. Das nennt sich Hoch-Zeit feiern, wie die Königstochter und der Dummling im ergänzenden Widerspruch unserer Doppelgestalten, ähnlich der beiden Textstapel die nun geeinigt zueinander stehen. Der alte Baum ist zu Boden gegangen, die Wurzeln liegen offen. Eine Ankündigung.

 

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JuSophie Kerschbaumer, geboren in Wien wo sie auch lebt. Schreibt schon länger, Traumtagebücher, Lyrik und Prosa, Veröffentlichungen seit Februar 2011 in div. Zeitschriften und Anthologien (wie Reibeisen, Driesch, DRUM, Maulkorb, u.a.) sowie zwei wissenschaftliche Arbeiten im Zusammenhang von Bild- und Wortentwicklung, (Metaphern- und Bildanalysen). als Diplomarbeiten.