Zeitzeichen: 100. Todestag von Karl May

trost einen Sprung über alle Argumentationen weg und riskiere die Form der wuchtigen These -: Richtig, >wirklich< wird sein, daß die >intensive Jugendlektüre<, May voran, bei Schmidt ums 12. bis 14. Jahr lag – und von da noch weit übers 20. Jahr hinausreichte. . . Weiter denn -: eine dritte Angabe steht wieder im auch sonst nicht gerade invarianten >Sitara<

Hans Wollschläger

 

Sitara, „Das Land der Sternenblumen“, ist eine immerwiederkehrende Landschaft aus den Romanen von Karl May. Die Sultanin dieses Reiches ist Marah Durimeh. Zu Sitara gehört auch das in Babel und Bibel erwähnte Gebiet von Märdistan, „in dessen Schlucht, wie man sich heimlich erzählt, die Geisterschmiede liegt, in der die Seelen durch Schmerz und Qual zu Stahl und Geist geschmiedet werden“ (vgl. Ardistan und Dschinnistan, Bd. I). Die Stadt Ikbal ist die Residenz von Marah Durimeh, in der sie ein Schloss aus weißem Marmor bewohnt.

Karl May, der letzte Grossmystiker der deutschen Literatur

In der Abhandlung Sitara und der Weg dorthin (Untertitel: Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung Karl Mays) will Schmidt unbewusste Abbildungen von Homosexualität in den Reiseerzählungen Mays nachweisen. Schmidt griff diese von dem Österreicher Paul Elbogen formulierte These auf. Schmidt verweist auf die stereotype Waffensymbolik, die Vorliebe für sadistische Szenen, auf die erotisch-liebevolle Darstellung der indianischen Edelmenschen, auf die Darstellungsweise der nächtlichen oder gemeinsamen Ritte sowie auf Transvestiten-Figuren wie Tante DrollHobble Frank oder Langer Davy. Außerdem hebt Schmidt die erotischen und latent phallischen Motive auf den Titelvorlagen Sascha Schneiders hervor, die umso erstaunlicher sind, als Schneider seinen Freund May niemals über seine (Schneiders) homosexuelle Orientierung im Unklaren ließ. Während Schmidts Thesen von der damaligen „bürgerlichen“ Karl-May-Forschung in den 1960er/1970er relativiert oder ignoriert wurden, hatte sie großen Einfluss auf die filmischen Interpretationen (Hans-Jürgen Syberberg, Michael Herbig) und auf die Integration der May-Werke in den akademischen Literaturkanon.

Sitara und der Weg dorthin überzeugte in den 1960er/1970er nicht viele Leser, gilt aber als ein wichtiger Baustein zu Schmidts Theorie der Organ-Abbildung in der Literatur. Nach dieser Theorie findet sich in der Literatur, besonders in der Trivialliteratur, als Subtext, beispielsweise in Landschaftsbeschreibungen, eine Beschreibung von Sexualorganen. Diese Theorie war für Schmidt eine Stufe zu seiner späteren Etym-Theorie in seinem Werk Zettel’s Traum.

 

 

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Weiterführend →

Die Redaktion hat eine Vorliebe für Trash. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Außerdem sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso endrücklich empfohlen wie das Vorwort zu Trash-Piloten von Heiner Link.

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