Gedichte mit Arsch in der Hose

Das Lyrikdebüt des Berliners Tom Bresemann vor einigen Jahren wurde als das eines „zornigen jungen Mannes“ bezeichnet. Die Wut scheint noch nicht verflogen und hilft offenbar, inhaltliche Belang­losigkeit zu vermeiden. In seinem zweiten Band „Berliner Fenster“ hält Bresemann weiterhin Ohrfeigen und nasse Handtücher bereit. „stellt angestellte aus / und aufsteller ein! / karma kapitalismus:/ wieder so ein ohrwurm. / reclaim the claims. // im fernsehen grassieren flüchtlings- / camps, supported by Reebok. // du auf der couch, mit deinen tele- / prompteraugen, und ich / nebenan, als host- / age eines realityformats.“

Anglophilie mag bei manchem Stilmittel sein, um Texte auf­zuhübschen oder jugendliches Sprach­drauf­gängertum zu beweisen. Brese­mann dagegen entlarvt mit dem Denglisch-Sprech alltäg­liche Phrasen, sucht immer die Ironie als Spitze der geballten Faust, um mit jener seinen Unmut am Heute deutlich zu machen. Das belebt und reinigt das innere Ohr; die Mischung aus sinnigem Aus­sage­satz gepaart mit Wort­neuschöp­fungen á la „clip­moppge­klapper“, „assimi­lations­inschallah“ oder „kirmes­zicke­zacke“ tut dann ihr übriges, um immer wieder aufzu­rütteln. In ihrer Art haben die Gedichte gesellschaftliche Funktion, weil sie dazu auffordern, mitzu­denken, Fragen zu stellen, Realität zu reflektieren. Das ist eben auch Kunst: Sie piekt und bietet wenig Erquickung für Schutz­suchende oder Mondanbeter.

Die Realität im Allgemeinen und die Berliner Realität im besondern ist Bresemanns Referenz­material: sozialer Abstieg, Werbeflut, Migration, Gated Communities, happy Gleichgültigkeit – der Autor spricht den Leser an und spricht ihn wach. Das ist erklärtes poetologisches Ziel. In den Anmer­kungen nennt er seine Gedichte „unverhohlene Gesprächs­angebote“, die unbequem sein müssen, die „Arsch in der Hose haben“ sollen. Da fliegt das nasse Handtuch nach Berlin, ins „happy- / endantlitz der innenstadt“, in der man das „mediasexuelle topevent aus der deckung“ betrachten kann. Oder es fliegt in entgegen­gesetzte Richtung: „Oh große Bleiche West­deutschland / mit deinen a.D.-Nazimüllern, / deinen Vor­garten­rinkmännern! / O faule Leiche West­deutschland, / riechst aus dem Dortmund / wie aus dem Darmstadt“. Leider über­schlägt sich Bresemann manchmal vor lauter Spott und schickt seine Gedichte ins Kalauerhafte. Wenn sich der Autor zu sehr aufregt und dadurch sein Feingefühl für Kritik verlorengeht, kann es schon mal möchte-gern-poetisch werden („die karotten / unserer geschlechts­organik verreißen / den stammwuchs im eiswald“) oder eben reibungsarm, ergo platt („die welt war ein scheißhaus“).

Generell übertreibt Bresemann gern mit dem Griff unter die Gürtel­linie. Er mag genervt sein vom Lyrik-Lange­weile­schreiberling, vom Selbst­bespiege­lungs­monster deutscher Dichter­stätten, vom Wahnsinn der Welt: Seinem Protest verleiht man nicht mehr Ausdruck, indem man sprachlich in unteren Kategorien wandert. Je mehr Penisse, vaginale Ergüsse oder Sperma am Anus, desto weniger glüht der Leser mit. Dennoch überwiegt ein posi­tives Fazit, denn Bresemanns Gedichte haben oft unschlagbares Stichelpotenzial. Und auch, wenn es wieder sexuell wird, ein wenig davon steht den Gedichten des Wutschreiberlings Bresemann ganz gut zu Gesicht: „heute (…) putz ich meine schuhe, / fahr zum zoo und lass mir einen blasen – // so beginnt ein tag wohl / -gesetzten epigonentums, / und wenn schon – / wenigstens well dressed“.

Tom Bresemann
Berliner Fenster
Gedichte
Berlin Verlag 2011
94 S., 16 Euro