Ausfahrt

 

Auf einem anderen Blatt
steht: Dieses Blatt hier

hat der Reißwolf
sich geholt mitsamt

dem Herbst, in dem,
und allen Wolken,

aus denen
es gefallen ist.

(aus dem VII. Zyklus)

 

 

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Ausfahrt, Gedichte von Tobias Herold. Elfenbein Verlag, 2011.

Die Gedichte dieses Bandes sind Reisegedichte im wörtlichen Sinn: Sie reisen selbst – durch die Zwischenräume unserer Alltagssprache. Frei von Formalismus, raunender Verrätselung oder ironistischer Lakonie sind sie zurückhaltend, verschmitzt und von heiterer Traurigkeit – und mit der Beiläufigkeit und dem Humor, die ihnen eigen sind, lassen sie sich auch lesen.
Wir haben es mit Erfindungen aus Fundstücken zu tun: Material dieser Gedichte sind vorgefundene Dinge und Orte sowie vor allem die stehenden Wendungen und Bilder unseres alltäglichen Sprechens. Diese werden nicht poetisch verfremdet, sondern umgekehrt ganz beim Wort genommen und derart übereinanderbelichtet, dass sie sich auf unerwartete Weise rückverbildlichen.
Unmittelbarkeit und Sprachreflexivität verbinden sich in »Ausfahrt« im Aberwitz eines aus der Tradition herausgefallenen lyrischen Ichs, das verwundert spazierengeht durch eine verwinkelte Großstadt aus Sprache und das ausfährt in »ein ausstaffiertes Nirgends, / wo allen Ernstes Sprosse Wurzeln / schlagen, auf dass einmal ein / Blattwerk sei, welches sich am / Wind berauscht«.
Jenseits von Alltagspoesie folgen diese Gedichte einer Poetik der Verringerung: In ihnen verringert sich zugleich der lyrische Ton und der Abstand, in dem wir uns in der Lebenswirklichkeit zu dem befinden, was wir sagen. Sie sind Ausfahrten ins Unbekannte des allzu Vertrauten. 

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Poesie ist ein identitätsstiftende Element unsrer Kultur, lesen Sie auch KUNOs poetologische Positionsbestimmung.