Radioandacht

 

Den ganzen Tag lief normalerweise das Radio, nur wenn es wirklich zu viel wurde, machte er es auch schon mal leiser, der Konzentration geschuldet. Heute in jeder Sendung Rückschau auf den 11. 9. 2001. Zehn Jahre, viel Pathos, viele Gedanken und Analysen. Übertragung von Fragmenten der Gedenkfeier. Das Radio nicht ausgemacht, obwohl es unerträglich war, an sein eigenes Erleben erinnert zu werden.

Er war auf dem Weg in die Nachbarstadt gewesen, als die Nachricht bei Deutschlandfunk lief, kurz danach der zweite Einschlag. Seltsame Zeit für ein Orson-Wells-Remake hatte er zuerst gedacht, dann aber bemerkt, dies konnte nur echt sein. Er war zum Kettensägenfritzen gefahren, die geschärfte abzuholen. Hatte den Leuten gesagt, was in Amerika los ist, nichts geglaubt hatten sie und schelmisch gelacht. Das war einfach zu unglaubhaft, weit weg und da kommt so ein Spinner daher und erzählt Blödsinn. Fantastereien eines Wahnsinnigen. Den ganzen restlichen Nachmittag hatte er mit der Familie vor dem Fernsehgerät gesessen, ungläubig zugesehen, dass eine Idee zugrunde ging.

Nun, zehn Jahre später, gedachte man und hatte wohl verstanden, dies war ein Einschnitt gewesen. Die Terroristen hatten gesiegt, hatten es geschafft, unsere geglaubte Freiheit ein für alle Mal durch ein System ständiger Kontrolle zu ersetzen.

 

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Weiterführend →

Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter ist Mikroblogging eine auflebende Form. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein.