Die Angst perfekter Schwiegersöhne

 

Ganz ungewöhnlich eröffnete er an diesem verregneten Morgen die Unterhaltung mit der lapidaren Bemerkung:

„Ich heirate nächsten Monat.“

Damit hatte Herr Nipp nun wirklich nicht gerechnet, war dies doch nun und zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwarten gewesen. Als völlig abwegig albern hätte dies noch vor wenigen Tagen im ge- samten Bekanntenkreis kommentiert werden wollen. War Herr Nipps bester Freund doch allgemein bekannt dafür, dass er, sobald erste Tendenzen von Heiratswilligkeit bei einer seiner häufig wechselnden festen Lebensabschnittsbegleiterinnen, die von allen dann „Die Neue“ oder „Ich kann mir den Namen nicht merken“ genannt wurden, auch nur ansatzweise erschlossen wurden, sei es auch nur durch die Erwähnung von möglichen Kindern in einem Nebensatz, diese unter fadenscheinigen Gründen wie „Es passt einfach nicht“ oder „Du bist zu reif für mich“ verlassen wurden. Dann packte er gewöhnlich ohne große Szene seine Sachen und zog zurück in die ansonsten meist verlassen stehende Eigentums- wohnung. Das ging sehr schnell. Die Infrastruktur war vorhanden, das zählte.

In diesem Fall war er jedoch überrascht worden, zunächst war sie bei ihm eingezogen und hatte die Wohnung gründlich verändert, sogar wesentlich verbessert, sie hatten die Eltern der neuen Freun- din als Abstecher eines wundervollen Ausflugs in die Eifel be- sucht, nur um ein Stückchen Kuchen zu essen und dann nach Hause zu fahren. Nach höflicher Vorstellung (man kannte sich vor- her gar nicht) waren sie schnell in ein intensives Gespräch gekom- men, er hatte sogar richtiggehende Freude an dieser gepflegten und durchaus auch witzigen Konversation. Beide Eltern, äußerst weltoffen und gebildet, fanden ihn wohl nett. Nein, überaus nett. Aus dem Nachmittag wurde ein Abend und man kochte zusammen. Ein zwei Gläschen Wein wurden getrunken, die Gespräche vertieften und das gegenseitige Gefallen steigerte sich. Aus dieser Einvernehmlichkeit heraus und dem wohligen Gefühl in einer Familie geborgen zu sein machte er seiner Freundin ganz unerwartet und zauderfrei einen Heiratsantrag. Sie sagte „Ja“. Soweit, so gut. Jetzt plante man.

Mit völliger Begeisterung wurden Herrn Nipp die Vorbereitungen geschildert, er wurde als Trauzeuge vereinnahmt, sagte zu und die Unterhaltung nahm lustige Turbulenzen, die in dieser Genugtuung nur selten erlebt werden. Nur einmal erwähnte der Freund, er habe Angst, dass sie ihn nur deshalb heiraten würde, weil er der Mutter so gut gefallen habe.

 

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Die Angst perfekter Schwiegersöhne, von Herrn Nipp, Edition Das Labor 2011

Haimo Hieronymus ist ein Poet, wenn er Holzschnitte erstellt, und ein realistischer Träumer, wenn er mit Herrn Nipp kurze Texte verfaßt. Wie ein Dichter schreibt er nicht, dazu ist er zu nüchtern und zu lapidar; die Fiktion ist nicht seine Sache, es entstehen auch keine imaginären Welten. Die Wirklichkeit und die Erinnerung sind ihm rätselhaft genug. Herr Nipp betreibt das einfache, das wahre Abschreiben der Welt, er bewegt sich damit zwischen Ereignis und Reflexion und nähert sich einer Topografie der Melancholie. – Ein Sammlerstück ist die Vorzugsausgabe von Die Angst perfekter Schwiegersöhne. Hieronymus hat das Cover einer limitierten Auflage mit einem Holzschnitt versehen.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421