Die Kiste V

 

Alle Möglichkeiten würden ihm in Zukunft offen stehen, zumindest solange die Kiste noch Blätter enthielt. Aber nach jetzigem Stand war die Leere nicht unbedingt zu befürchten, das würde sich in kurzer Zeit nicht ändern. Immer wieder sollte ein Zettel als Tagesmotto gezogen werden, hatte er sich überlegt. Zuweilen, das muss hier einfach mal gesagt werden, kam dabei auch grober Unfug heraus: ” – wie es ist – geht nur- aber – alles so zu nehmen- nun mein Rat “. Das hörte sich nach altertümlichen Floskeln an – auch wenn sie Herrn Nipp irgendwie etwas bekannt vorkamen, er konnte die Bedeutung nicht erschließen. An solchen Tagen, wenn sich ihm der Sinn partout nicht erschließen wollte, ging er zumindest etwas unglücklich aus dem Haus. Hatte er doch den Freunden gegenüber behauptet, jedes Zettelchen verberge einen Sinn. Nicht immer auf den ersten Blick, manchmal konnten erst Umstellproben darlegen, was hier gemeint war. Abends, wenn er dann heimkehrte, setzte er sich noch einmal in aller Ruhe nieder und machte seine Proben. Was, wenn man nur die ersten Buchstaben zusammenfügte, oder die zweiten, dritten. Nein, weigtnasznnmr sollte ebenso Blödsinn bleiben wie isseubloueuea. Spät abends dann im Theater ging ihm der Sinn dann aber auf, als Nathan der Weise seine Ringparabel zum Besten gab. Da heißt es: Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt, geht nur! – Mein Rat aber ist der: Ihr nehmt die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von euch jeder seinen Ring von seinem Vater, so glaube jeder sicher seinen Ring, den echten.

Der Verfasser der Kiste hatte also sich auch im reichen literarischen Schatz bedient, zu welchem Zwecke aber, sollte weiterhin schleierhaft bleiben. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, jedem Menschen aber seine Religion. Determinismus pur.

 

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Die Angst perfekter Schwiegersöhne, Edition Das Labor 2011

Weiterführend →

Dieser short-short gehört zu einer Reihe, die KUNO anläßlich des Erscheinens von Die Angst perfekter Schwiegersöhne präsentiert. Im kommenden Jahr erwartet die Leserschaft ein Zyklus, der nicht in diesem Buch zu finden ist. Das Taschenbuch ist schlüssigerweise kein Künstlerbuch. Was aber, wenn doch ein Originalholzschnitt auf dem Deckblatt der Vorzugsausgabe zu finden sind?

Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus ab 2017 Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.

Weiterführend → Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.

Die Künstlerbucher sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

 

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