Rollenspiele

 

Da soll eine Schülergruppe eine Figur erfinden, eine Spielfigur, mit der sie in der virtuellen Realität gemeinschaftlich auftreten kann. Alles klar soweit und die jungen Leute beginnen herum zu spinnen, erfinden die wirrsten Dinge, Staubkorn, Nachkomme von Elfen und Trollen, vielleicht auch eine Außerirdische oder einfach irgendein Wechselbalg zwischen Tier und Mensch, diskutieren, nehmen die Spitzen zurück.

„Nein, das und das geht einfach nicht [einer zeigt auf die Punkte, die ihm nicht gefallen], das glaubt uns doch keiner.“

„Dann das aber auch nicht.“

Die Gruppe aus vier Jugendlichen diskutiert – zunächst sehr verwitzt und verulkt, dann immer tiefer. Die Charakterisierung nimmt langsam Züge an, scharfe Konturen einer so realistischen Spielfigur, dass man sich fragt, ob sie nicht wirklich existiert. Die Seite in einem sozialen Netzwerk wird eingerichtet. Da gibt es jetzt eine Julia Osthaus im Internet, ist sie wirklich vorhanden, irgendwo? Die jugendlichen Zwangssurrealisten haben einen riesigen ernsthaften Spaß. Dabei wollten sie doch zuerst etwas ganz Anderes, etwas Außergewöhnliches. Etwas, das umhaut. In diesem Moment sagt jemand vom Nachbartisch:

„So heißt meine Tante.“

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Seit 1994 veröffentlich Herr Nipp auf KUNO unerhörte Geschichten mit dem Titel Das Mittelmaß der Welt. In 2011 ist es soweit, sein erstes Buch mit dem Titel Die Angst perfekter Schwiegersöhne erscheint in der Edition Das Labor.

Haimo Hieronymus ist ein Poet, wenn er Holzschnitte erstellt, und ein realistischer Träumer, wenn er mit Herrn Nipp kurze Texte verfaßt. Wie ein Dichter schreibt er nicht, dazu ist er zu nüchtern und zu lapidar; die Fiktion ist nicht seine Sache, es entstehen auch keine imaginären Welten. Die Wirklichkeit und die Erinnerung sind ihm rätselhaft genug. Herr Nipp betreibt das einfache, das wahre Abschreiben der Welt, er bewegt sich damit zwischen Ereignis und Reflexion und nähert sich einer Topografie der Melancholie. – Ein Sammlerstück ist die Vorzugsausgabe von Die Angst perfekter Schwiegersöhne. Hieronymus hat das Cover einer limitierten Auflage mit einem Holzschnitt versehen.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421