Der Kaufmann im Dichter

 Jeder Autor hat seine eigne Weise, seine Waare an den Mann zu bringen; – Ich meines Theils, mag vor den Tod nicht gerne in einem dunkeln Laden stehn und um ein Paar Dukaten mehr oder weniger drücken und dingen.

Sterne, Tristram Shandy, I, 9

Den Dichter als Produzierenden unter die »Produzenten«, die »schaffen­den Stände« einzubegreifen, ist schlecht und recht angängig. Nur muß man freilich davon absehen, wieviel Mesquinerie und Frechheit unter dem Bilde des »geistigen Arbeiters« (wie Feuerwanzen unter einem Stein) sich verkriechen. Daß aber Dichter als Kaufleute dargestellt werden, ist neu, alles andere als Floskel und eine Wendung, unter der soeben in Paris – dieser einzigen Schule der guten Lebensart in der Kritik – eine elegante, treffende Variation der üblichen »Charakteristik« von Dichtern versucht wird.

Hat nicht der Dichter wirklich vom Kaufmann mehr als man wahr haben will – mehr als bisweilen vom Produzenten? Ohne Zweifel gibt es deren genug, die da als großer oder kleiner Händler uralte, edle Stoffe oder modische neue unter die Leute bringen und noch dazu den ganzen Apparat des Kaufmanns, das werbende Vorwort und die Schaufensterdekoration der Kapitelchen, das servile »Ich« hinterm Ladentisch und die Kalkulationen der Spannung, die Sonntagsruhe hinter jedem sechsten Einfall und das kassierende Inhaltsverzeichnis beanspruchen. Die Schriftsteller aber haben bei solcher Betrachtung mehr zu gewinnen als von einer Mystik der Produktion, die meistens dem Budiker entspricht.

Das alles steht nicht in dem Buch, von dem es gilt. Denn dieses hat den Vorzug, keinen Text zu besitzen. »Prochainement ouverture … de 62 boutiques littéraires présentées par Pierre Mac Orlan

Henri Guilac

Architecte

Simon Kra

Entrepreneur

– dies alles auf eine grüne Bretterwand, die der Buchdeckel darstellt, gepinselt, besagt zu deutsch: Henri Guilac hat dieses Buch gezeichnet, Pierre Mac Orlan es eingeleitet und Simon Kra es verlegt.1) Die Bildseiten aber stellen 62 französische Dichter vor ihren imaginären Kaufladen dar. Hier würde nun jeder Deutsche eine fulminante Satire erwarten. Ihn zu enttäu­schen ist an diesem Buch das Pariserische. Denn diese Blätter, durchweg mit der Hand, sehr sauber und sehr leuchtend koloriert, haben eine candeur, eine Gutherzigkeit, die sie beinah für alle 62, die davon betroffen werden, zu einem reinen Vergnügen machen muß. Sie stehen in Erwartung ihrer Kunden vor der Tür, sehen durchs Ladenfenster oder beugen sich über die Theke. Wie einleuchtend aber, daß niemand erscheint! Und dies schon in Frankreich! Wie ausgestorben müßten nicht bei uns solche Läden aussehen! Kunden zu malen, ging auch nicht wohl an: oder hätte man jedes Tausend der Auflageziffer durch ein Männchen, das einkauft, darstellen sollen? Wie dem auch sei, die Straße ist leer. Gide hat mit seinem Jugendwerk, den »Nourritures Terrestres«, sich eine Delikateßwarenhandlung eingerichtet, die Weine aus den »Caves du Vatican« zum Verkauf hält. Paul Morand steht als Schlepper in der Tür eines zweideutigen Etablissements, dessen rote Laterne »Ouvert la Nuit« (»Nachtbetrieb«) anzeigt. »F. Carco« – Spezialist in Apachenromanen – liest man auf einer grünen Marquise, in deren dürftigem Schutze »Rien qu’une femme« ihre Brüste am Fenster zeigt. So reiht sich Haus an Haus in dieser literarischen Schlaraffenstadt: Kofferhandlung (Colette), Parfümerie, Wechselstube, Bäckerei, Gartenwirtschaft (Eugene Montfort) und Reisebureau (Charles Vildrac). Am Ende rückt man in die banlieue hinaus, wo eine ganze Buden-Foire, ein Jahrmarkt mit Lottozelt, anatomischem Kabinett, einem Quacksalberstand, einer Wutbude (mit dem schmächtigen Jean Cocteau als Inhaber), ein Stand mit alten Büchern »Les livres du Temps« sich findet, vor denen Paul Souday, der Literaturkritiker des »Temps« placiert ist.

Man hört von einem alten, aufgegebenen Plan, literarische Marktschreier­buden in dieser Art wirklich zu bauen und den Dichter selber in ihnen aufzupflanzen. Mit Mac Orlan bedauert man, daß so etwas bei der Exposition des Arts et Métiers nicht zustande gekommen ist. Denn sicher hat die Vorrede recht, in der er die Schriftsteller darauf hinweist, sie könnten sich keinen Begriff davon machen, in welchem Grade, was sie tun, dem Volk belanglos scheint, und daß sie eines Tages dafür würden zahlen müssen. Solche ingeniöse Spielerei mit Literaturdingen könnte dem abhelfen, wenn sie bei allem Charme nicht sehr privat und sehr vereinzelt bliebe. So muß man sich denn ganz im stillen an ihr freuen, weil die Schwalbe, die keinen Sommer macht, das Haustier unseres Zeitalters ist.

 

 

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Prochainement ouverture … de 62 boutiques littéraires, von Henri Guilac und Pierre Mac Orlan. Paris: Simon Kra (1925)

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