Gott ist tot! – Nietzsche bleibt unsterblich

Ich wohne in meinem eignen Haus, // Hab Niemandem nie nichts nachgemacht // Und – lachte noch jeden Meister aus, // Der nicht sich selber ausgelacht.“ – Ueber meiner Hausthür, (Motto auf der Titelseite),

Die fröhliche Wissenschaft enthält Gedanken zu unterschiedlichsten Themen in fast 400 Aphorismen von Friedrich Nietzsche in verschiedener Länge. Es gilt als abschließendes Werk der „freigeistigen“ Periode Nietzsches. In der Zeit um die Abfassung der Erstausgabe betonte Nietzsche oft, dass Die fröhliche Wissenschaft seine etwa 1876 einsetzende „freigeistige“ Phase abschließe. Er sah darin einen Ausdruck der Gesundung und nun die Möglichkeit, etwas Neues zu wagen.

Wer sich tief weiss, bemüht sich um Klarheit; wer der Menge tief scheinen möchte, bemüht sich um Dunkelheit.

Während der Vorbereitung der Neuausgabe meinte Nietzsche, das neue fünfte Buch gehöre „seinem Tone und Inhalte nach überdies mehr zu Jenseits von Gut und Böse“ und könne diesem Buch „mit mehr Recht“ hinzugefügt werden als der fröhlichen Wissenschaft. Nachdem sich allerdings ein Missverständnis zwischen Nietzsche und seinem Verleger, auf dem diese Überlegung basierte, geklärt hatte, wurde der ursprüngliche Plan beibehalten.

Das Leben ein Mittel der Erkenntnis

Nietzsche nimmt in diesem Buch die Stellung ein, als Philosoph sowohl über der Kunst als auch über der Wissenschaft zu stehen; andererseits greife er gerade in diesem Werk aufgrund seiner Kenntnis und Ablehnung der bisherigen Philosophie zu Methoden der Kunst und der Wissenschaft, um sich mitzuteilen. Schließlich sehen wir in diesem zerbrechlichen und in gewisser Weise unmöglichen Gleichgewicht eine neue Stufe von Nietzsches andauernder Suche nach Erkenntnis, deren höchste Verklärung sich in Abschnitt 324 („In media vita“) finde: „Das Leben ein Mittel der Erkenntnis“. Dass Nietzsche dabei schließlich auf den Gedanken der Ewigen Wiederkunft stieß, „eine Wahrheit, die schrecklicher ist als jede andere“, habe ihn bewogen, sich wieder der Kunst zu nähern, wie es die letzten beiden Abschnitte des vierten Buchs anzeigten.

Gott ist tot!

Es geht Nietzsche darum, die Freiheit im Denken auszuloten. Sein „Erkenntnisprogramm“ ist es, die Welt aus möglichst vielen unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen und sich dabei gleichzeitig der Beschränktheit jeder Perspektive bewusst zu sein: und gerade die Bejahung dieses Gegensatzes von Lebensverstricktheit und Erkenntnis sei „fröhliche Wissenschaft“. Die ersten drei Bücher führten an einigen Hauptmotiven in einer Vielzahl von Variationen vor, wie sich ein solches Wissen artikulieren könne. Die Eröffnung des vierten Buchs mit einem Aufruf zur Lebens- und Selbstbejahung ist nur konsequent, da vorher unter dem Motiv „Gott ist tot“ festgestellt wurde, dass das Christentum „Opfer seiner eigenen Negativität“ geworden ist.

 

 ***

Die fröhliche Wissenschaft, Aphorismen von Friedrich Nietzsche. Verlag E.W. Fritzsch, 1882 – 1887

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.

Friedrich-Nietzsche-1882-Photographie-von-Gustav-Adolf-Schultze

Friedrich Nietzsche ist ein Meister des Cynismus. Oft leisten seine Texte viel mehr: Aufschreckende Brüche und Diskontinuitäten im Sprachlichen, unruhige und gewagte Kombinationen und Schnitte, alchemistische Verbindungen von Kontexten, die man so nicht erwartet hätte. Neben dem Zeremonienmeister Lichtenberg (und, so wagen wir zu behaupten, Martin Walsers alter ego Meßmer) ist Nietzsche sicher ein interessanter Vorläufer der Form des – bei ihm noch wortmechanischen – Tweet.