Nimmersatte Liebe

 

So ist die Lieb‘! So ist die Lieb‘!

Mit Küssen nicht zu stillen:

Wer ist der Tor und will ein Sieb

mit eitel Wasser füllen?

Und schöpfst du an die tausend Jahr,

und küssest ewig, ewig gar,

du tust ihr nie zu Willen.

 

Die Lieb‘, die Lieb‘ hat alle Stund

neu wunderlich Gelüsten;

wir bissen uns die Lippen wund,

da wir uns heute küßten,

das Mädchen hielt in guter Ruh,

wie’s Lämmlein unterm Messer;

ihr Auge bat: Nur immer zu,

je weher, desto besser!

 

So ist die Lieb‘ und war auch so,

wie lang es Liebe gibt,

und anders war Herr Salomo,

der Weise, nicht verliebt.

 

 

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Vor 200 Jahren wurde Eduard Mörike geboren. Er wurde zu Lebzeiten als bedeutendster deutscher Lyriker nach Goethe bezeichnet. Trotz der späten Ehrungen erkannten aber nur wenige seine literarische Bedeutung. Mörike galt lange Zeit als ein typischer Vertreter des Biedermeier, der die vertraute und enge Heimat besingt. Georg Lukács tat ihn als einen der „niedlichen Zwerge“ unter den Dichtern des 19. Jahrhunderts ab. KUNO erkennt das Abgründige in Mörikes Werk und die Modernität seiner radikalen Weltflucht.

Weiterführend Die Redaktion blieb seit 1989 zum lyrischen Mainstream stets in Äquidistanz.

1995 betrachteten wir die Lyrik vor dem Hintergrund der Mediengeschichte als Laboratorium der Poesie