Die Toten

Mit erstaunlicher Direktheit werden die Sorgen, die zuvor indirekt berührt werden, enthüllt – die Vergänglichkeit aller Dinge, darunter Liebe, die Umöglichkeit der Vergangenheit zu entkommen und insbesondere den Toten, die nicht auf ihren Friedhöfen begraben bleiben wollen, und die Beziehung zwischen dem Belebten und dem Unbelebten in der Natur, die nicht verstanden, sondern nur akzeptiert werden kann.
Vincent Canby, The New York Times

Die Erzählung des irischen Schriftstellers James Joyce spielt vor 100 Jahren in Dublin am 6. Januar 1904, ein kalter Wintertag voller Schnee. Die bereits älteren Schwestern Julia und Kate Morkan sowie deren Nichte Mary Jane laden traditionell wie seit vielen Jahren Gäste zu einer Epiphaniasfeier ein. An der Treppe empfangen die Schwestern ihre sehr unterschiedlichen Gäste, darunter: der Alkoholiker Freddy Malins und seine herrschsüchtige, streng katholische Mutter; der ältere Gentleman Mr. Browne, einziger protestantischer Gast auf der Feier; Mr. Grace, der ein trauriges Gedicht vorträgt; die für die Unabhängigkeit Irlands eintretende Molly Ivers; Bartell D’Arcy, ein bekannter Tenorsänger, der im Laufe der Feier der Vogelkundlerin Miss O’Callaghan näherkommt. Alle stammen aus der oberen Mittelschicht Dublins. Viele der Gäste hegen eine Begeisterung für Musik und Tanz, weshalb sie über Opern sowie verschiedene, teilweise bereits lange verstorbene Sänger diskutieren. Die nie verheiratete Tante Julia, die früher in einem Chor gesungen hatte, stimmt mit zittriger, aber doch berührender Stimme das Lied Arrayed for the Bridal aus ihrer Jugendzeit an.

Gabriel Conroy, der Neffe der Tanten, und seine Frau Gretta gehören ebenfalls zu den Gästen. Gabriel ist Journalist bei einer pro-britischen Zeitung und betrachtet die irische Kultur und Lebensweise mit einiger Distanz. In seiner Festrede lobt Gabriel seine Tanten, die für die Tradition der irischen Gastfreundschaft stehen würden, aber kritisiert auch, dass die Menschen – anstelle ständig in Erinnerungen an die Vergangenheit zu schwelgen – in der Gegenwart leben und dort ihre Aufgaben erfüllen sollten. Kurz vor dem Verlassen der Feier hört Gretta das von Bartell D’Arcy gesungene Lied The Lass of Aughrim, das sie an ihre Jugend im ländlichen Galway und ihre Jugendliebe, Michael Furey, erinnert. Von ihren Erinnerungen überwältigt berichtet sie ihrem Ehemann von ihren Gefühlen: Michael starb bereits mit 17 Jahren, eine Woche nachdem er – bereits schwer erkrankt – in einer kalten Winternacht voller Liebe an Grettas Fenster das Lied gesungen habe.

Gabriel wird schmerzlich bewusst, dass sie im Grunde immer nur Michael geliebt hat und ebenso von Erinnerungen dominiert wird wie die anderen Gäste der Feier. Auch bemerkt er, dass er selbst nie eine ähnlich intensive und todesmutige Liebe wie der verstorbene Michael gefühlt hat. Gabriel stellt sich die Zukunft und den bereits nahenden Tod der alten Tante Julia vor und das Ende der jährlichen Feiern, die Vergänglichkeit und Insignifikanz des einzelnen Menschen vor der Welt und schließlich auch, wie der Schnee über ganz Irland fällt, auch über das Grab von Michael Furey.

 

 

Die Toten, verfilmt von John Huston, 1987