Auch der Gelbe Hai hat Zähne

Das Ensemble ist beeindruckend. Es ist ein reiches Farbenspiel aus Texturen. Es spiegelt die Klarheit seines vollkommenen Wahnsinns und seiner Meisterschaft wider. Frank regiert mit Elmore James zu seiner Linken und Strawinsky zu seiner Rechten. Frank regiert und herrscht mit den seltsamsten Mitteln.

Tom Waits

Als ich Onkel Frank in den 1970-er Jahren erstmals in der Grugahalle sah, war ich etwas irritiert, denn der Bandleader führt sich teilweise wie ein Dirigent auf. Später erfuhr ich, dass Frank Zappas wichtigstes musikalisches Vorbild der Komponist Edgar Varèse war, der ihn mit seinen Werken und seiner Verwendung von Klangblöcken und komplexen Rhythmen besonders beeinflusste. Weitere Einflüsse waren der russische Komponist Igor Strawinsky mit seinen komplexen Metren und metrischen Verschiebungen sowie Anton Webern, der sich neben der Ordnung der Tonhöhen auch auf die Dynamik konzentrierte. Zappa integrierte Elemente der Neuen Musik und der klassischen Moderne in seine eigene Musik, die von Rhythm & Blues bis zur amerikanischen Avantgarde reichte.

Zappas Engagement für die Neue Musik führte zu einer Zusammenarbeit mit Ensembles wie dem Ensemble Modern und dem Ensemble Intercontemporain, was seine Verbindung zu dieser Musikrichtung unterstreicht. 

Vor zehn Jahren erschien mit The Yellow Shark ein Album mit der Orchestermusik des amerikanischen Musikers. Es erschien am 2. November 1993 und war Zappas letztes Album zu seinen Lebzeiten, fast genau einen Monat vor seinem Tod an Krebs, an dem er mehrere Jahre lang gelitten hatte. Es enthält Live-Mitschnitte von Zappas Aufführungen durch das Ensemble Modern aus dem Jahr 1992. In den Albumnotizen beschreibt Zappa The Yellow Shark als eines der erfüllendsten Projekte seiner Karriere und als beste Repräsentation seiner Orchesterwerke. Traut man den Erbsenzählern, so ist „The Yellow Shark“ Zappas 62. Album und eines der wenigen, auf dem er nicht als Musiker auftrat. Zappa komponierte die Musik, betreute die Aufführungen und produzierte die Aufnahme mit dem Ensemble Modern, einem klassischen Ensemble aus Frankfurt. Hörer, die Zappas skurilen Humor schätzten, waren vom klassischen Charakter von „The Yellow Shark “ zunächst abgeschreckt.

„Does Humor Belong in Music?“

FZ

Das Ensemble Modern bestand aus mehr als zwei Dutzend Musikern unter der Leitung des Dirigenten und Geigers Peter Rundel. „The Yellow Shark“ bietet nicht nur eine Fülle bisher unveröffentlichten Materials, sondern auch moderne klassische Bearbeitungen von Zappa-Werken aus seiner gesamten Karriere. Das Ensemble greift für eine gekürzte Version von „Uncle Meat“ (vom gleichnamigen Album, das selbst der Soundtrack zu einem Film war, der erst viele Jahrzehnte später erschien) bis in die späten 1960er Jahre zurück und widmet sich einigen anderen Kompositionen dieser Doppel-LP von 1969. Zappas Progressive-/Fusion-Phase wird durch „Be-Bop Tango“ repräsentiert, und sein Spätwerk – das zunächst größtenteils auf dem Synclavier und nicht mit klassischer Instrumentierung entstand – wird durch „G-Spot Tornado“ repräsentiert.

Strawinskys Musik inspirierte Zappa zu seinen charakteristischen „rhythmischen Kapriolen“, bizarren Marschthemen und abrupten Tempowechseln.

Eine Rückblende: 1991 wurde Zappa als einer von vier Komponisten für das Frankfurter Festival 1992 ausgewählt (die anderen waren John Cage, Karlheinz Stockhausen und Alexander Knaifel). FZ wurde vom deutschen Kammerensemble Ensemble Modern angesprochen, das daran interessiert war, seine Musik bei der Veranstaltung zu spielen. Obwohl er krank war, lud Zappa das Ensemble nach Los Angeles ein, um neue Kompositionen und neue Arrangements älteren Materials zu proben. Zappa war nicht nur mit den Aufführungen seiner Musik durch das Ensemble zufrieden, sondern verstand sich auch mit den Musikern, und die Konzerte in Deutschland und Österreich wurden für den Herbst geplant. Die neueren Kompositionen strahlen eine eindringliche, majestätische Atmosphäre aus. Der Titel „Outrage at Valdez“ bezieht sich auf eine Öltankerkatastrophe vor der Küste Alaskas; hier schafft Zappa ein Werk von atemberaubendem Ausmaß. Zappa arbeitete oft im ungeraden Takt (nach Rockstandards bedeutet das fast alles außerhalb des 4/4-Takts), und die Kompositionen hier setzen diesen Stil fort. Ein Beat – üblich im Rock und anderen Popmusikformen – ist jedoch oft kein wesentlicher Bestandteil dieser Darbietungen. Tatsächlich spielen nur zwei der rund 25 Musiker des Ensemble Modern Schlagzeug.

Welcome to the United States beginnt mit einem zünftigen Karnevalstusch und der Frage: „Wolle mer´n reinlasse?“

 Klagende, fast atonale Geigenklänge stehen im Mittelpunkt des kurzen „III Revised“. Die Komposition hätte auch gut in das ausgedehnte Stück Lumpy Gravy , den Soundtrack zu 200 Motels oder die Sessions aus den späten 1970ern gepasst, die schließlich als Lather neu zusammengestellt wurden. Die Dialogfetzen, die ein Merkmal vieler von Zappas modern-klassischen Werken waren, tauchen hier nur gelegentlich auf, vor allem in den Sprechkonzertstücken „Food Gathering in Post-industrial America, 1992“ und „Welcome to the United States“, zwei Kompositionen, die nachhallen.

Zappa verband die Techniken der Neuen Musik und der Klassik mit der Rockmusik und schuf so ein einzigartiges Werk, das zwischen den Genres changiert. 

Der kanadische Choreograf Édouard Lock, die kanadische Tänzerin Louise Lecavalier und seine Kompanie La La La Human Steps waren Teil der Show. Im September 1992 fanden die Konzerte wie geplant statt, doch Zappa konnte krankheitsbedingt nur bei zweien in Frankfurt auftreten. Beim ersten Konzert dirigierte er die eröffnende „Ouvertüre“ und das abschließende „G-Spot Tornado“ sowie die theatralischen Stücke „Food Gathering in Post-Industrial America, 1992“ und „Welcome to the United States“ (das restliche Programm dirigierte der eigentliche Dirigent des Ensembles, Peter Rundel). Das erste Konzert wurde live vom deutschen Pay-TV-Sender Premiere ausgestrahlt und vom „Special“-Moderator des Senders, Christian Eckert, präsentiert. Zappa erhielt 20-minütige Ovationen. Es sollte sein letzter professioneller öffentlicher Auftritt sein, da sich der Krebs bereits so weit ausgebreitet hatte, dass er zu starke Schmerzen hatte, um ein Ereignis zu genießen, das er sonst als „aufregend“ empfand. Aufnahmen der Konzerte erschienen auf The Yellow Shark, Zappas letzter Veröffentlichung zu Lebzeiten. Virtuose Respektlosigkeit und postserielle Introspektion bilden die perfekten Partner für dieses ehrgeizige Projekt, dessen Referenzpunkte Weill, Berg, Varese und Zappas eigenen Neo-Dada umfassen. Ein kraftvoller diskografischer Schwanengesang. Mit Abstand gehört, bleibt dieses Album eine spannende künstlerische Versuchsanordnung.

 

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The Yellow Shark, Frank Zappa and Ensemble Modern in Frankfurt am Main 1993

Weiterführend Der Musikkritiker Ben Watson bezeichnet „Zappas Mothers of Invention“ als „politisch wirksamste musikalische Kraft seit Bertolt Brecht und Kurt Weill“ wegen deren radikalem, aktuellen Bezug auf die negativen Aspekte der Massengesellschaft. So besehen war Frank Zappa neben Carla Bley einer der bedeutendsten und prägendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.