Prog Rock

Progressiv bedeutet im Kontext von Musik, insbesondere im ´Progressive Rock`, eine ständige Weiterentwicklung und Erforschung neuer musikalischer Ideen.

Keith Emerson

Progressive Rock bedeutete für die Punks jedoch Regression. Mitglieder der Boy-Group Sex Pistols trugen ein „I hate Pink Floyd T-Shirt“. Selbstverständlich kann man die Floyds mit ihrer Space-Operette „The Dark Side of the Moon“ unter Prog Rock einordnen, doch dann überhört man die Texte, es spricht einiges dafür, dass Pink Floyd vier Jahre zuvor das Requiem auf die Protestkultur geschrieben hat.

Der Showbiz des Hässlichen

Selbstverständlich haben Rotzlöffelpunks mit ihren Provokationen auf die Verkrustung des Musikbetrieb hingewiesen, um sich selbst an die Spitze eine neuen Bewegung zu setzen. Der Showbiz des Hässlichen führt Rock wieder zurück auf das Eigentliche, die Musik war schnell, hat und laut. Musiker von Bands wie die Ramones waren technisch nicht in der Lage interessante Kompositionen abzuliefern. Nach „The Blitzkrieg Bop!!“ verwandelte sich Joey Rammone in den Dieter Bohlen des Punk. Die Guitarrensoli, die auf „Never Mind the Bollocks“ von den Sex Pistols zu hören sind, hat der Studiomusiker Chris Spedding eingespielt; aber auch mit fremde Federn fliegt es sich zu weilen gut.

Und damit zurück zum Eigentlichen.

Progressive Rock (kurz Prog oder Progrock) ist eine Musikrichtung, die Ende der 1960er Jahre entstand, als Musiker Rockmusik um stilistische Merkmale anderer musikalischer Gattungen ergänzten. Dabei wurden Kompositionsweisen und Harmonik aus der abendländischen Klassik einbezogen. Die Bands griffen auch auf Einflüsse aus Jazz (Jazzrock) und nicht-westlichen Formen zurück (Weltmusik). Eine Deutung des Begriffs wurde von Robert Fripp vorgeschlagen, Gitarrist des Genrevorreiters King Crimson. Er sieht Progressive Rock weniger als stringenten Stil denn als Haltung. Diese zeichne sich aus durch den Willen zur Neudefinition der stilistischen und konzeptuellen Grenzen der Rockmusik unter Anwendung prozeduraler Abläufe aus klassischer Musik und Jazz. An dem Zeitpunkt, an dem sich aus dieser Haltung heraus ein neues Gefüge von Konventionen eines eigenen Stils entwickelt hatte, betrachtete er den progressiven Charakter als hinfällig und beendete vorerst seine Aktivitäten innerhalb des Genres. Das geschah im Jahr 1974, als die erste Inkarnation des Genres noch in seiner kommerziellen Blüte stand. Mit »Disziplin« gelang Fripp in den 1980-er Jahren ein fulminanten Comeback, wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass er im Gegensatz zu Steve Jones ein guter Gitarrist ist.

Kaum eine andere Band war so stilbildend für das Genre Progressive/Artrock wie Yes.

Das das 3er-Live-Album »Yessongs« dokumentiert eine Tour durch Nordamarika und startet mit einem Auszug aus dem „Feuervogel“, eine Ballettmusik von Igor Strawinsky. Bereits in 1973 wird hier etwas vorweggenommen, was später als Symphonic Rock in eine Musikrichtung münden sollte, die Elemente der Rockmusik mit denen eines Sinfonieorchesters kombiniert. Dabei werden klassische Rockstücke neu interpretiert oder eigens für Orchester arrangiert, oft unter Verwendung von Elementen wie Streichern, Bläsern und Chören, frühe Ansätze fanden sich bereits bei der britischen Progressive-Rock-Band Emerson, Lake and Palmer, die mit „Pictures at an Exhibition“ ein Livealbum aufgenommen haben. „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky ist ein berühmter Klavierzyklus, der später von Maurice Ravel orchestriert wurde. Es gibt auch verschiedene freie Bearbeitungen, die von anderen Komponisten und Ensembles geschaffen wurden, um das Werk für unterschiedliche Besetzungen und Interpretationen zugänglich zu machen, so auch von ELP.

Der Sängern Jon Anderson nimmt seiner durch Brustresonanz verstärkten Kopfstimme die Wiederkehr der Countertenöre vorweg.

Das Album »Yessongs« wurde von vielen Fans als beste Live-LP der 1970-er Jahre gefeiert, weil die Platte wie aus einem Guss wirkt, der Hörer habe das Gefühl, einem kompletten Konzert der Band zu lauschen (sofern er die Geduld aufbringt die knapp drei Stunden in einem Rutsch zu hören!). Rick Wakeman und Steve Howe setzten die Akzente, einige Stücke werden musikalisch sogar besser als die Studioversionen. Wakemans grandiose Synthesizer-Einsätze sind mehr als nur texturiert und finden reichlich visuelle Übereinstimmungen mit Roger Deans kryptischem Cover. Diese Live-Band Yes gab sich vergnügt harmonischen und melodischen Exzessen hin und schufen sorgfältig geplante, vielschichtige Komplexitäten. „Roundabout“ war bis dahin der größte Hit der Band. Er erscheint hier originalgetreu wiedergegeben. Das führte aber auch zu Kritik an der Verfahrensweise der Erstellung des Albums, Dies wird vor allem bei dem Titel Yours Is No Disgrace deutlich, dessen Eingangspart original ist, dann in die im Studio erzeugte Aufnahme übergeführt wird, im Mittelteil wieder die Originalaufnahme enthält, um bis fast zum Schlussapplaus erneut die nachträgliche Studioaufnahme wiederzugeben. Der Grund hierfür war, dass Steve Howe seinen Kollegen kurzfristig angeboten hatte, in den Song als Solo-Part eine längere Gitarrenimprovisation einzubauen, durch die der Song fast doppelt so lang wurde, wie das Gegenstück aus The Yes-»Album«. Auch die Stücke The Fish; Perpetual Change und Starship Trooper weichen erheblich von den Versionen der Studioalben ab. Im späteren Verlauf des Albums intoniert Jon Anderson dann noch eine Passage aus Strawinskis Ballett »Le sacre du printemps«. Eines zeigte sich auf dem Album »Yessongs«, dass die Yes-Lieder live zu um die zehn Minuten langen Epen tendieren. Mit Ausnahme von Close to the Edge trägt jede LP-Seite praktisch nur zwei Songs. Mit Abstand gehört ist »Yessongs« ist ein Zeitdokument aus einem Paralleluniversum, einer anderen Welt, die es so nicht mehr gibt.

 

 

***

Yessongs, Erschienen 1973

Weiterführend Zählt das durchgeknallte Konzeptalbum »The Lamb Lies Down on Broadway« von Genesis zum Progressive Rock? War David Gilmour ein Krautrocker oder ein eher ein verkappter Blueser? – Und ist Syd Barrett nicht eher Psüchodelisch? Auch Dan Treacy von den Television Personalities ist ein Musterbeispiel für schmuddeligen, abgewetzten Außenseiter-Pop.

Inzwischen gibt es: Pop mit Pensionsanspruch, sowie eine Rock and Roll Hall of Fame. Daher der Schlussakkord: Die Erde ist keine Scheibe