Zwischen Konsonanz und Dissonanz

 

Eine schmerzlose Wiedergeburt, die mehrere Augenblicke der Größe aufweist.

Melody Maker

Dem Begriff ´Prog-Rock` konnte ich nie etwas abgewinnen, obzwar man das Album In the Court of the Crimson King wahrscheinlich dazurechnet. Was mich an den Klängen interessiert, die unter die Rubrik Rhythm & Blues fallen, sind die Klangexperimente, die Erforschung und Erweiterung der klanglichen Möglichkeiten, die sich jenseits der ausgetrampelten Pfade finden, die man landläufig unter dem unscharfen Begriff ´Pop` bezeichnet.

Zusammen mit Brian Eno entwickelte Robert Fripp 1972 eine als „Frippertronics“ bezeichnete Methode zur Klangerzeugung, mittels der die Tonband-Experimente von Steve Reich modifiziert wurden. Zur Erzeugung dieser „Frippertronics“ werden zwei Tonbandgeräte der Marke Revox A77 benutzt: Das erste Gerät zeichnet das von der Gitarre stammende Eingangssignal auf. Das Tonband durchläuft dann das zweite Gerät, von wo aus das Signal wiedergegeben und dem Eingangssignal im ersten Bandgerät beigemischt wird. Der ursprünglich erzeugte Ton wird dabei geloopt und durch den neuen Ton des Instruments ergänzt. Ein gutes Beispiel für die Frippertronics ist der Anfang des Titels Requiem vom Album »Beat« mit dem wir uns in diesem Artikel beschäftigen.

Nach der Auflösung der klassischen King Crimson Besetzung gründete Fripp 1981 eine neue Band mit Bill Bruford, Tony Levin und dem Gitarristen und Sänger Adrian Belew. Die Band, die sich zu Anfang ´Discipline` nannte, wurde zur Wiedergeburt von King Crimson und »Discipline« war das erste Studioalbum dieser Band. Fripp ersetzte die mechanische Loop-Technik der Frippertronics durch den Einsatz von Gitarren-Synthesizern und nannte die so erzeugten Klänge in Anlehnung an Murray Schafer Soundscapes. Bill Bruford hat sein Schlagzeug schon früh um diverse Klangerzeuger aus aller Welt sowie elektronisches Schlagzeug erweitert. Tony Levin benutze den so genannten Chapman Stick, außerdem spielt er seinen Bass gelegentlich mithilfe von Drumsticks. Stilistisch ganz anders als die 1970-er Crimsons, verband diese neue Besetzung Rock mit elektronischen Elementen, Funk, popmoderne Avant-Garde und eine komplexe Vielfalt musikalischer Texturen und Einflüssen. Dieses Album ist eines der Schlüsselalbum der frühen 1980er Jahre.

Auf »Discipline« und »Beat« befassen sich die Musiker in ihren Titeln intensiv mit der Überlagerung verschiedener Metren und Rhythmen. Dies wird oft dadurch erreicht, dass Fripp und Belew verschiedene, zuweilen an Minimal Music und Gamelan-Musik erinnernde Muster gegeneinander setzen (eine weitere Hommage an Steve Reich?!?). So spielt im Titel Neal and Jack and Me vom Album »Beat« eine Gitarre abwechselnd sich wiederholende Achtel-Figuren in Fünfer- und Achtergruppen, während die zweite Gitarre Dreiergruppen dagegen setzt, was zu einer laufenden Verschiebung der jeweils zusammentreffenden Töne führt.

Nach demselben Prinzip wechseln im Titel Frame by Frame auf »Discipline« sechs und sieben Achtel in der einen Gitarre gegen sieben Achtel in der anderen, was im Hörergebnis zu unmerklichen, fast wie „falsch gespielt“ wirkenden Verschiebungen führt. Wechselnde Taktarten während des Songs sind ebenfalls geläufig. So wechselt der Titel Larks’ Tongues in Aspic Part 2 häufig zwischen einem Vier-Viertel- und Fünf-Viertel-Takt. Brufords komplexes, oft durch elektronisches Schlagzeug und außereuropäische Schlaginstrumente angereichertes Spiel verstärkt noch den Eindruck rhythmischer Vielschichtigkeit.

Minimal Music trifft auf afrikanische Polyrhythmik. »Beat« baute auf den Stärken des vorherigen Albums »Discipline« auf, wobei die beiden Lead-Zwillinge Belew und Fripp quasi über der Kraftachse von Levin/Bruford schwebten. Belews Songs, die lose um seine Zuneigung zu Jack Kerouac und dessen Beat-Kollegen kreisen, verleihen dem Album eine Geschlossenheit und melodische Dynamik, die im Crimson-Katalog selten sind. Doch keine Angst, inmitten der Art-Pop-Balladen gibt es jede Menge wildes Instrumentalfeuerwerk, insbesondere in den wunderschönen, federnden Rhythmen von Sartori in Tangier und der von Fripp geprägten Fantasie Requiem. Die amerikanische Dynamik der Band gab Fripp viel Stoff zum Nachdenken, während Bruford in einem Rockkontext selten so befreit klang.

Der Sound von Beat ist nachvollziehbar einheitlich und schlüssig, dass die Songs dennoch alles andere als simpel sind, verstehen sich fast von selbst. Das geht los bei den umherstylenden Gitarren im Hintergrund von Neal And Jack And Me (das während diverser Gitarren-Kunstschleifen auch direkt in Frame By Frame von »Discipline« übergehen könnte) und endet bei der luftigen Belew-Ballade mit dem Titel Two Hands, die in dieser Weise nicht von irgendjemand anderem stammen könnten. Dazwischen wird’s mit Sartori in Tangier abermals orientalisch, Waiting Man punktet mit einem kontrastreichen Schlagwerk. Hinzu kommt der technische Aspekt, der schlicht deswegen nicht ins Auge fällt, weil die Songs eben viel zu gut ins Ohr gehen. Dass die Virtuosen, die die Mannen eben sind, ihre Fähigkeit aber durchaus präsentieren, lässt sich eher in abwechslungsreicher, bisweilen experimenteller Rhythmik als offensichtlichen Soli beweisen. Diese Ausflüge sind weder ausgedehnt, noch fällt auf, dass es überhaupt welche sind, da sie die aufgebaute Stimmung nur fördern und nicht aus dem Sound ausbrechen.

Weit entfernt davon, ein ´Konzeptalbum` zu sein, sollte man das Augenmerk auf einige Stücke richten, die auf die Beat-Poeten und insbesondere auf den Roman »On the Road« von Jack Kerouac sichten, der 25 Jahre vor der Produktion des Albums erschienen ist. Neal and Jack and Me bezieht sich auf den Roman On the Road und die Protagonisten Neal Cassady (im Buch Dean Moriarty) und Jack Kerouac aus der Sicht ihres Autos, eines 1952er Studebaker Starlite Coupé. Heart Beat ist der Titel eines autobiographischen Romans von Caroly Cassady, der Ehefrau Neal Cassadys. Sartori in Tangier ist die Abwandlung des Titels eines weiteren Buches von Jack Kerouac, Satori in Paris. Tanger war in den 1950ern ein beliebtes Reiseziel und Wohnsitz einige Beatniks.

Neurotica war der Titel eines kleinen Magazins, in dem Allen Ginsberg seine Gedichte veröffentlichte. The Howler bezieht sich selbstverständlich auf den Poeten Allen Ginsberg und die Hymne der Beatniks, das Langgedicht Howl. Eine hohe Anspielungsdichte also, die drei Ausreißer aus diesem Konzept, die unterstreichen, dass auch bei dieser Version von Crimson immer mit einer exzentrischen Note gerechnet werden muss, sind Neurotica, The Howler und Requiem. Ersteres geht zwar nicht ganz so auf die Psyche wie Indiscipline, zieht aber als quasi-Hörspiel die hektische, nervöse Instrumentierung über eine Großstadtneurose. The Howler und Requiem sind wiederum eher improvisationslustig verschrobene Nummern. Dennoch ist »Beat« im Vergleich zu »Discipline« grooviger, zusammenhängender und in sich logischer, es ist eine zeitgemäße Variante des Beat, der Verlorenheit des popmodernen Menschen in dem, was als ´Asphaltdschungel` seine Bezeichnung als Nicht-Ort erhalten hat.

 

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Howl and Other Poems, von Allen Ginsberg, published in 1956 as number four in the Pocket Poets Series from City Lights Books.

On the Road von Jack Kerouac, Viking Press 1957

Discipline, King Crimson, 1981

Beat, King Crimson, 1982

Weiterführend → Die Cowboy Junkies nahmen Blues, Country, Folk, Rock und Jazz und verlangsamten es und schufen dabei etwas Neues. Wir betrachten die Geburtshelfer der Americana. Des weiteren eine Betrachtung des tiefgründigen Folk-Songs: Both Sides Now. Wahrscheinlich hat selten ein Musiker die Atmosphäre einer Stadt so akkurat heraufbeschworen wie Dr. John. Die Delta-Blues-Progression des Captain Beefheart muss dahinter nicht zurückstehen, eine gute Einstimmung für sein Meisterwerk Trout Mask Replica. Wir lauschen der ungekrönten Königin des weißen Bluesrock. Und dem letzten Werk der Doors. Unterdessen begibt sich Eric Burdon auf die Spuren vom Memphis Slim. In der Reihe mit großen Blues-Alben hören wir den irischen Melancholiker. Lauschen dem Turning Point, von John Mayall. Vergleichen ihn mit den Swordfishtrombones, von Tom Waits und den Circus Songs von den Tiger Lillies. In der Reihe Meine erste Schallplatte würdigte A. J. Weigoni auf KUNO die Essenz des Pop in einer einzigen Band, Brian Wilsons Meisterwerk Smile.