Junkie-Ufer

 

Auf der Landkarte der Literatur ist es nicht weit von der „Straße der Ölsardinen“ (Steinbeck) bis zum „Junkie-Ufer“ des Kersten Flenter. Dutzende von Geschichten und Romanen berichten von diesem Freiraum, den es, vorzugsweise „On the road“ (Kerouac), buchstäblich zu erfahren gilt. Allen ihren Helden ist eins gemein: Sie bewegen sich (oder verharren) in einem geschlossenen System, in dem nur Kürze und Freaks sich auskennen: einem System, das sich vor allem durch Abgrenzung definiert: der Drop-out der Sixties ebenso wie die zeitlosen Gestalten, die hierzulande „vogelfrei“ und in den USA „outlaw“ genannt werden, sind anders (und werden als abartig verfolgt) in Denk- und Verhaltensweise, sind zerbrechlich, sehr zerbrechlich: aber sie strahlen eine Liebenswürdigkeit aus, die sich dem Gedächtnis des Lesers einprägt; und: durch sie gewinnt unsere „Normalität“ des Alltags einen Glanz (der auch: das Fremde des Abenteuers genannt werden kann), der Überleben erleichtert. Eine solche kleine Welt, nur bedingt schön, nur ungern als wahr akzeptabel, und gewiss nur für denjenigem, der relativ unbeschadet mitleiden darf, – einen solchen Topos des Verrückten (im tatsächlichen wie übergeordneten Sinne: Schief- & Schräglage signalisierend, die unser Wahrnehmungsvermögen, das festgefügte-geeichte, ins Wanken zu bringen vermag) hat auch der Hannoveraner Autor (Jahrgang 66) zu Tage gefördert. Er tut es mit einem Blick, der bei aller Übergangsstimmung, bei allem ausgespuckten Elend, bei allem Blues noch ein bisschen Sonnenschein fängt (Zeit für das missbrauchte Wort Menschlichkeit), mithin so einfühlsam, dass wir uns nicht verzaubert (und verschaukelt) vorkommen müssen, zudem nicht geblendet, sondern aufgefordert, uns wirklich berühren zu lassen (und nicht nur gerührt wie im Clinch, in Pose stecken bleiben). Die Momentaufnahmen, stets nicht mehr als ein paar Seiten lang, ergeben demzufolge auch weniger eine Erzählung (wie der Untertitel des Bandes suggeriert), vielmehr eine von vielen Brüchen fragmentierte Wegstrecke, in die sich der Autor einbezieht, ziemlich schonungslos, den Fluchtpunkt anstrebend. Sicherlich, die Gestrandeten, Ausgestoßenen, Verirrten, mit denen Flenter uns nahe tritt, taumeln zwischen Schattenhaftigkeit und Idyllik, zwischen Untergang und einem mühseligen Wiederaufstehen, und wir dürfen nicht in ihre Tiefen tauchen, bleiben fast voyeurhaft an ihrer rauen Haut hängen: Und das „Warum?“ ist dem Autor, so scheint’s, so lästig, dass er verzichtet, diese Frage auch nur anzutippen; aber gerade diese Ungereimtheit, dieses Kaputte im Text, es sagt mehr als ein Wortestrudel, der uns zum Faszinosum mitreißt – und dann unbefriedigt entlässt. Kersten Flenter kann und will nicht zufrieden sein. Weder mit sich, noch mit seinen überkandidelten, manchmal märchenhaft zurecht gesponnenen, bisweilen so scharf wie ein Krächz-krächz am frühen Wintermorgen die Illusion zerschneidenden Bruchstücken aus dem Leben von Junkies und Pennern, Schreibern und abgehalfterten Veteranen einer Subkultur. Das Unfertige, oder auch nur das Halbfertige, ist ihnen nicht Programm und Schönrednerei, Attitüde eben, es kommt indes aus einer Wahrnehmungsebene, die das vermeintlich Ganze aus dem Blick verloren hat, weil es in seinem Pomp nur jedes Teilchen, aus dem es besteht, zu verfälschen droht. Hologrammatisch, im Kleinen, unscheinbar, aber dennoch das ahnend, was im Innersten zusammenhält und gleichzeitig zu trennen vermag, werden wir nicht nur Zeugen für das, was Herzlichkeit sein könnte, und dünne Haut im Gegensatz zur Elefantenmentalität auszeichnet, wir werden zudem nicht Opfer eines Auffangprozesses, mit dem wir gemeinhin das Schicksal anderer medienbestimmt goutieren. Zart, aber nicht verzürtelnd, unbeugsam, aber nicht starr, verwittert, aber nicht wetterlaunisch, mit Schwachstellen durchsetzt, aber nicht schwächlich, ist JUNKIE-UFER Beleg für ein großes Talent. Kein Meisterwerk, aber ein Höhenflug. Zudem in wunderschöner, sorgsamer Buchgestaltung. Etwas, das man gernhaben kann.

(Dieser Text erschien zuerst in: Listen, Heft 61)

 

 

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Junkie-Ufer, von Kerten Flenter. Killroy Media, 2000

Eine Hinweis auf „Der Zeige­finger im Auge Oliver Hardys“ ist konsequente Underground-Poesie zu hören, die Kersten Flenter so gnadenlos wie stilsicher durchexer­ziert – wofür Kompromisse?

KUNO hat seit jeher ein Faible für Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Daher sei sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso eindrücklich empfohlen wie Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Ebenso verwiesen sei auf Trash-Lyrik.

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